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Politik - 23.11.2018

USA als unfreiwilliger Helfer: Der Jemen wird zum Nährboden für Al-Kaida

Ein Kämpfer der Salafi-Brigade von Abu al-Abbas. Die Miliz steht im Verdacht, gemeinsame Sache mit Al-Kaida zu machen.

Von Judith Görs


Vier Jahre Bürgerkrieg haben den Jemen ins Chaos gestürzt – und ein Machtvakuum geschaffen, in dem das Terrornetzwerk Al-Kaida wieder an Einfluss gewann. Anteil am neuerlichen Erstarken der Extremisten haben indirekt auch die Amerikaner.

Weitgehend unbeobachtet von der Weltöffentlichkeit erstarkt im Jemen ein alter Feind des Westens: Al-Kaida. Die Extremisten kämpfen in dem verheerenden Bürgerkrieg an eigener Front – und sollen enge Verbindungen zu Milizionären und Warlords pflegen. Seit 2015 ist es ihnen gelungen, große Gebiete in den Provinzen Abyan und Hadramaut unter ihre Kontrolle zu bringen. Auch in der einstigen 220.000-Einwohner-Stadt Mukalla hatte Al-Kaida ein Jahr lang das Sagen. Erst mit Hilfe der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) gelang es den Truppen von Jemens Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi, die Dschihadisten zu vertreiben. Doch von Erleichterung kann bei vielen Einwohnern zwei Jahre nach der Befreiung keine Rede sein. Denn mit den Regierungstruppen kam auch die Wirtschaftskrise zurück.

Einem Bericht des "Wall Street Journal" zufolge gingen zuletzt sogar viele Bewohner von Mukalla aus Wut über die schlechte Versorgung auf die Straße. "Die wirtschaftliche Lage hat sich seit dem Rückzug von Al-Kaida verschlechtert", zitiert das Blatt den 33-jährigen Salem Saeed. "Darum glauben die Leute, dass Al-Kaida einen besseren Job gemacht hat." Demos mitten im Bürgerkrieg. Das ist nur eine von vielen Absurditäten im Jemen. Schlimmer noch als die Gewalt- und Folterexzesse unter der Kontrolle der Terroristen wiegt für die Menschen offenbar der Mangel. Nach vier Kriegsjahren sind rund 14 Millionen Jemeniten von Hunger bedroht, auch 1,8 Millionen Kinder bekommen nach Einschätzung von "Save the Children" nicht genug zu essen – 85.000 sollen seit 2015 infolge von Unterernährung gestorben sein.

Al-Kaida hat das jahrelange Machtvakuum in dem Land genutzt, um sich neu zu formieren. Zwischen 4000 und 7000 Kämpfer sollen dem Terrornetzwerk im Jemen angehören – doch nicht alle kämpfen auch offen unter der Flagge der Extremisten. Viele sollen sich lokalen Milizen angeschlossen haben, die neben den Regierungstruppen ebenfalls gegen die Huthi-Rebellen vorgehen – darunter war bis August 2018 auch die Salafi-Brigade des Islamisten Abu al-Abbas. Dem Warlord aus Taiz, einer Großstadt im Grenzgebiet zwischen Süd- und Nordjemen, wird seit längerem vorgeworfen, gemeinsame Sache mit Al-Kaida zu machen. Auch Kontakte zum Islamischen Staat (IS) werden ihm nachgesagt. Abbas selbst bestreitet das. Im Sommer zog er sich nach Informationen von Associated Press mit seinen Kämpfern aus Taiz zurück.

Waffenlieferant für den Feind?

Dennoch steht sein Name auf einer Sanktionsliste des US-Finanzministeriums. Die Frage, wie weit genau der Einfluss des Al-Kaida-Ablegers auf der Arabischen Halbinsel tatsächlich reicht, beschäftigt längst auch das Pentagon. Und dafür gibt es gleich mehrere Gründe. Einerseits fürchten die Vereinigten Staaten, die Dschihadisten im Jemen könnten ähnlich gefährlich werden wie der Islamische Staat (IS) im Irak und Syrien. Andererseits gehören die VAE nicht nur zu den besten Kunden US-amerikanischer Rüstungsunternehmen, sondern sie versorgten auch Abu al-Abbas und seine Miliz mit Geld, Waffen und militärischer Ausrüstung. Das Risiko ist also hoch, dass US-Rüstungsgüter auf diese Weise womöglich auch in die Hände von Al-Kaida geraten.

Für Präsident Donald Trump wäre das überaus peinlich. Schließlich hat er die Unterstützung für die arabische Militärkoalition, zu der auch die VAE zählen, stets auch mit dem Kampf gegen den internationalen Terrorismus begründet. Tatsächlich schließen die USA nicht aus, dass Al-Kaida auch außerhalb des Jemen aktiv werden könnte. Im März 2017 verhängte das Heimatschutzministerium zunächst ein Laptop- und Tablet-Verbot auf Direktflügen aus acht arabischen Ländern – darunter Saudi-Arabien und die Emirate. Grundlage waren offenbar Informationen, wonach die jemenitische Al-Kaida Sprengsätze in Laptops verstecken könnte, um Anschläge auf Passagiermaschinen zu verüben. Später lockerte das Ministerium das Verbot, sofern die Flughäfen verschärfte Sicherheitsregeln einzuhalten bereit waren.

Das Scheitern Saudi-Arabiens

Den Jemen sehen die USA schon seit Jahren als zentrales Gebiet zur Rekrutierung und Ausbildung neuer Kämpfer für den IS und Al-Kaida an. Immer wieder führten US-Spezialkräfte auf dem Boden des Bürgerkriegslandes Militärschläge gegen Trainingscamps der Extremisten aus – nicht immer mit Erfolg. Für Schlagzeilen sorgte im Januar 2017 der erste von Donald Trump autorisierte Luftangriff auf Al-Kaida im zentraljemenitischen Jakla. Neben einem Dutzend mutmaßlicher Terroristen starben damals auch 16 Zivilisten sowie ein US-Soldat. Das Militär bedauerte den Vorfall später – und warf Al-Kaida vor, absichtlich Frauen und Kinder unter die Kämpfer zu mischen. Auf die Wahrnehmung vieler Jemeniten über die Rolle der Amerikaner in diesem Krieg haben solche Aktionen aber ohne Zweifel verheerende Auswirkungen.

Berichte über Gewalttaten von US-gestützten Milizen gegen Zivilisten sorgten zusätzlich für Unruhe, während sich die humanitäre und wirtschaftliche Not durch die teils noch immer geltende Blockade durch Saudi-Arabien weiter verschlimmert. All dies hat dafür gesorgt, dass viele Jemeniten nicht mehr Al-Kaida als Feind ansehen – sondern stattdessen die aus dem Ausland agierenden Mächte. "Für die Koalition und den Sicherheitsapparat wird sich das alles rächen", sagt der jemenitische Al-Kaida-Experte Ibrahim al-Yafae dem "Wall Street Journal". "Die Menschen werden immer größere Empörung und stärkeren Groll gegen die Regierung entwickeln – und dann wenden sie sich bewaffneten Organisationen zu."  

Judith Görs ist Redakteurin und Chefin vom Dienst am Newsdesk von n-tv.de und berichtet für die Politik vor allem über Frankreich.

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