Home Politik Gescheiterte Strategie im Jemen: „Die Saudis führen keinen klugen Krieg“
Politik - 14.11.2018

Gescheiterte Strategie im Jemen: „Die Saudis führen keinen klugen Krieg“

Kronprinz Mohammed bin Salman verfolgt außenpolitisch eine aggressivere Politik.

Um den Einfluss Irans auf der arabischen Halbinsel zu beschränken, greift Saudi-Arabien 2015 in den Jemen-Konflikt ein. Doch drei Jahre danach zeigt sich: Das Kalkül der Saudis ist nicht aufgegangen. Stattdessen vereitele Riad sogar die eigenen Kriegsziele, sagt Nahostexperte und Islamwissenschaftler Guido Steinberg im Gespräch mit n-tv.de. Für Kronprinz Mohammed bin Salman, den neuen starken Mann im saudischen Königshaus, ist es nicht der einzige außenpolitische Misserfolg seiner noch jungen Führungskarriere.

n-tv.de: Herr Steinberg, wegen der humanitären Lage im Jemen steht das saudische Königshaus international in der Kritik. Warum erst jetzt?

Nahostexperte Guido Steinberg.

Guido Steinberg: Kritik an der See-, Land- und Luftblockade gab es schon in den ersten Kriegsmonaten – allerdings eher von spezialisierten Organisationen und Personen. In der Öffentlichkeit fand das kaum Beachtung. Durch den Mord an dem saudischen Dissidenten Jamal Khashoggi wurde das Augenmerk jetzt aber insgesamt auf die saudi-arabische Politik und damit auf den Jemen-Krieg gerichtet.

Verstößt Saudi-Arabien mit der Blockade gegen das Völkerrecht?

Die arabische Militärkoalition unter Führung Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate versucht offensichtlich, über das Leid der Zivilbevölkerung Druck auf die gegnerische Kriegspartei auszuüben. Diese Blockade wird also als militärisches Mittel genutzt. Und das ist – unabhängig von der rechtlichen Bewertung – eine sehr zynische und sehr brutale Vorgehensweise. Es ist aber nicht so, dass an den Problemen im Jemen allein die Saudis und die Emiratis schuld wären. Die Huthi-Rebellen tragen ihren Teil dazu bei.

Welche Rolle spielte der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman für die Eskalation des Krieges?

In der Außenpolitik agiert die saudische Führung unter bin Salman deutlich aggressiver. Das zeigte sich bereits im Frühjahr 2015 mit der Entscheidung für diesen Krieg. Damals war der Kronprinz schon Verteidigungsminister. Seine Linie hat sich seitdem immer mehr durchgesetzt. Die saudi-arabische Führung ist offenbar der Meinung, dass sie den Luftkrieg im Jemen sehr lange durchhalten kann. Gemeinsam mit den Emiraten und anderen Verbündeten will sie demnächst die Hafenstadt Hodeida einnehmen. Damit soll der Druck auf den Gegner weiter wachsen. Gegebenenfalls führt sie den Krieg noch über Jahre weiter. Diese sehr entschlossene Vorgehensweise ist neu und hat viel mit der Person Mohammed bin Salman zu tun.

Bin Salman soll auf einer vertraulichen UN-Liste mit mutmaßlichen Kriegsverbrechern ganz oben stehen. Könnte ihm wegen des Vorgehens im Jemen ein Verfahren drohen?

Das halte ich eher für unwahrscheinlich. Vor Gericht landen in der Regel Personen, die erstens selbst Verbrechen begangen haben – und darüber kann man im Fall des Jemen-Kriegs der Saudis streiten. Zweitens sind es gemeinhin Verantwortliche in anti-westlichen Staaten. Und zu denen gehört Saudi-Arabien nicht. Das Land hat weiterhin wichtige Verbündete im Westen; allen voran die USA. Selbst wenn die Russen oder die Iraner eine Strafverfolgung vorantreiben würden, würde das sicherlich keinen Erfolg haben.

Welche Druckmittel hat Europa, um die arabische Militärallianz zur Aufhebung der Blockade zu bewegen?

Die Europäer haben da keine Handhabe. Saudi-Arabien und die Emirate haben in der Vergangenheit immer wieder klar gemacht, dass sie Europa nicht ernst nehmen. Dort ist eine neue Generation am Werk, die ausschließlich auf das Bündnis mit den USA und Präsident Donald Trump baut. Selbst wenn Europa jetzt sämtliche Waffenlieferungen einstellen würde – und das wird nicht passieren -, wäre es den Saudis gleichgültig. Sie würden sich die Waffen anderswo beschaffen. Wahrscheinlich in den USA.

Wie steht es um die Loyalität Donald Trumps für die Saudis seit dem Mord an Khashoggi?

Die saudische Führung baut auf Präsident Trumps Unterstützung und ist sich ihrer Sache sehr sicher. Das ist einer der Gründe, warum ihre Politik so aggressiv geworden ist. Der wichtigste Kontaktmann in Washington ist Jared Kushner, der Nahostberater und Schwiegersohn des US-Präsidenten. Und die Reaktionen aus den USA zeigen, dass die Trump-Administration keine wirklich einschneidenden Sanktionen will. Sie steht zwar nach den Kongresswahlen unter Druck, wird aber alles versuchen, um den Verbündeten Saudi-Arabien zu halten. Dennoch ist die Politik der Saudis zumindest unvorsichtig, denn beim Umgang mit Demokratien sollte man immer die nächste und übernächste Wahl im Blick haben.

Ursprünglich wollte Riad mit dem Eingreifen im Jemen verhindern, dass der Iran dort an Einfluss gewinnt. Ist dieses Risiko nach vier Kriegsjahren gebannt?

Nein. Die Iraner sind im Jemen mittlerweile sogar stärker vertreten als früher. Dafür gibt es eine einfache Erklärung: Die Huthi-Rebellen erfahren keinerlei ausländische Unterstützung – außer aus Teheran. Die Iraner schicken Waffen, Munition, Geld. Und sie schicken Ausbilder; das sind aber vor allem Libanesen von der Hisbollah.

Also haben die Saudis den Jemen eher näher an den Iran herangetrieben?

Die Huthi-Rebellen kämpfen im Nord- gegen die Regierung im Südjemen.

Ja, sie vereiteln gewissermaßen ihre eigenen Kriegsziele. Es ist kein kluger Krieg – wenn es denn so etwas überhaupt gibt.

Selbst wenn sich die Huthis an Friedensverhandlungen beteiligen: Kann es in diesem Konflikt überhaupt eine Lösung ohne den Iran geben?

Der Einfluss der Iraner ist begrenzt. Die Huthis sind keine jemenitische Hisbollah, sie sind Nationalisten. Zwischen ihnen und den Iranern gibt es große Differenzen in der Weltanschauung. Sie verfügen auch nicht über eine Truppenpräsenz im Jemen. Deshalb ist es natürlich möglich, dass der Iran aus einer Lösung für den Jemen herausgehalten werden kann. Das Problem ist, dass die Saudis das einfach nicht glauben. Sie behaupten mittlerweile seit 2004, dass die Huthis gefährliche Verbündete oder sogar Befehlsempfänger der Iraner seien. Deshalb richte sich der Krieg auch gegen den iranischen Einflussgewinn an der Südgrenze. In ganz kleinem Maßstab ist das zwar richtig, aber die Huthis sind primär ein jemenitischer Akteur und noch dazu weitgehend unabhängig.

Schon mit der Blockade Katars wollte Riad das Machtgefüge auf der arabischen Halbinsel verschieben – bisher ohne Erfolg. Wie gefährlich ist dieses Taktieren für die Stabilität am Golf?

Die meisten großen außenpolitischen Projekte der Saudis – beziehungsweise bin Salmans – sind gescheitert. Die Katar-Krise ist dafür ein gutes Beispiel. Ich kann mir sogar vorstellen, dass es den Saudis darum ging, den Emir von Katar zu stürzen. Das haben sie nicht geschafft. Katar ist weiterhin ein florierender Staat. Er verkauft sein Gas, investiert in europäische Unternehmen und die Fußball-Weltmeisterschaft wird 2022 dort stattfinden. Die Saudis haben nicht einmal eine Verhaltensänderung Katars bewirken können. Vielmehr sind die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Katar und dem Iran seitdem noch enger geworden. Die Saudis haben das unterschätzt. Wenn die meisten ihrer Schritte – im Jemen, im Libanon, in Katar – tatsächlich das Ziel haben, eine neue Front gegen den Iran aufzubauen, dann war die Katar-Blockade auf jeden Fall ein katastrophaler Misserfolg.

Trotzdem verkaufen auch deutsche Politiker die Saudis weiterhin als Stabilitätsgaranten für die Region …

Das ist sicher übertrieben, wenn man berücksichtigt, dass die saudische Politik der letzten drei Jahre zur Instabilität beigetragen hat. Solche Aussagen werden aber auch immer seltener. Sie haben damit zu tun, dass Saudi-Arabien bis 2017 ein sehr verlässlicher Partner des Westens war. Die Bundesregierung hat die Hoffnung offenbar nicht aufgegeben, dass Saudi-Arabien wieder zu einer etwas maßvolleren Politik zurückfindet. So etwas wie den Mordfall Khashoggi werden wir wahrscheinlich nicht mehr erleben. Andererseits ist ganz klar, dass die USA gemeinsam mit den Saudis und Israel weiterhin daran arbeiten werden, eine große anti-iranische Front zu bilden. Das ist letztlich auch das Motiv der Amerikaner für ihre pro-saudische Politik. Und die anderen westlichen Regierungen akzeptieren, dass sie kaum Möglichkeiten haben, sich dieser amerikanischen Linie entgegenzustellen.

Mit Guido Steinberg sprach Judith Görs.

Judith Görs ist Redakteurin und Chefin vom Dienst am Newsdesk von n-tv.de und berichtet für die Politik vor allem über Frankreich.

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