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Politik - 30.10.2018

Ende einer Ära: Angela Merkel, die Entrückte

Angela Merkel will im Dezember nicht mehr für den CDU-Vorsitz kandidieren.

Ein Kommentar von Thomas Schmoll


Als große Geste wird der „selbstbestimmte“ Rückzug Angela Merkels aus der Politik gefeiert. Dabei hat sie nur eins und eins zusammen gezählt. An ihrem Politikstil des Machterhalts um jeden Preis hielt die Kanzlerin bis zuletzt fest.

Obwohl die Zeitumstellung schon über etliche Jahre hinweg heftig in der Öffentlichkeit diskutiert wurde, die Bundes-CDU 2014 auf einem Parteitag die Abschaffung forderte, schwieg die Kanzlerin eisern zu dem Thema. Bis sie sich Ende August bei einem Besuch Nigerias den Satz entlocken ließ. Sie persönlich habe "jedenfalls eine sehr hohe Priorität dafür", die Uhrendreherei sein zu lassen. Wie immer in ihrer bisher 13-jährigen Regierungszeit war Merkel auch hier nicht Lokführerin, sondern sprang auf den fahrenden Zug, der schon klar in einer bestimmten Richtung unterwegs war.

Kurz vor der deutschen Kanzlerin hatte sich die EU-Kommission für den Verzicht auf die Zeitumstellung ausgesprochen. Nun hatte plötzlich auch Merkel eine Meinung dazu. "Ich freue mich, wenn die Kommission dieses Votum ernst nimmt", sagte sie unter Verweis auf eine nicht repräsentative Online-Umfrage unter EU-Bürgern, die eine klare Mehrheit gegen das ewige Stunde-vor-Stunde-zurück ergab.

In diesen Verlautbarungen spiegelt sich der Politikstil Merkels wider: Abwarten, was die Mehrheit der Bevölkerung möchte, um daran die eigene Haltung auszurichten. Nur hat die Kanzlerin ihr bisher untrügliches Gespür verloren, zu welchem Zeitpunkt sie auf welchen Zug hopsen muss. Nachdem klar wurde, dass die Zeitumstellung nicht in einem politischen Schnellschuss beendet werden kann, weil der Tag-und-Nacht-Rhythmus in Finnland anders ist als in Spanien oder Griechenland – und Europa keinen Flickenteppich aus unterschiedlichen Zeiten haben möchte, verfiel Merkel wieder in das übliche Schweigen. Mal sehen, wie sich die Sache entwickelt und was die nächste Umfrage ergibt.

Merkels Politikstil funktioniert nicht mehr

Der scherzhafte Unterton bei der Bemerkung, sie wisse gar nicht, ob man sich in Nigeria darüber bewusst sei, "welches zentrale Problem die Menschen in Europa haben", sollte den Unterschied der Probleme zwischen den Kontinenten verdeutlichen. Dass sie ein Thema, das tatsächlich Millionen Menschen in Europa bewegt, mit Ironie versieht, ist auch Ausdruck einer gewissen Abgehobenheit, die im politischen Berlin häufiger anzutreffen und der Merkel nach und nach verfallen ist. Offenkundig weiß die Kanzlerin schon lange nicht mehr, was die Menschen umtreibt. Falls sie ihn jemals besaß, hat sie den Draht zur kleinen Frau und zum kleinen Mann verloren.

Die Konsequenz daraus ist: Merkels Regierungsstil funktioniert nicht mehr. Schon deshalb nicht, weil sie sich auf Umfragen nicht mehr verlassen kann. Meinungen ändern sich ständig, weil sich die Welt schneller dreht als je zuvor. Unzählige Leute sehnen sich nach klarer Kante, womit nicht allein Autokratie gemeint ist. Mit dem banalen Satz "Sie kennen mich doch" konnte Merkel bei der Bundestagswahl 2013 noch weite Teile der Bevölkerung an sich binden. Ihr gelang es, die Leute einzulullen und im Glauben zu lassen, Deutschland mit ihrer Politik des Abwartens fit für die Zukunft zu machen. Mutti macht das. Angst vor Veränderung treibt die Leute weg – dann also besser gar nichts tun.

Beschlüsse wie der Atomausstieg sind unglaubwürdig, wenn sie – leicht durchschaubar – vom Interesse des Machterhalts getrieben sind und nicht auf einer politischen Agenda beruhen. Den Kompass, wo es langgehen soll, hat Merkel nicht verloren. Konnte sie auch gar nicht: Denn sie hatte nie einen. So hat sich die Kanzlerin Stück für Stück in die schwerste Vertrauenskrise ihrer Amtszeit manövriert.

Lage im Flüchtlingsjahr falsch eingeschätzt

Die Ausnahme war die Flüchtlingskrise. Respekt dafür! Aber auch hier zeigt sie keine Haltung mehr. Ihr Motto lautet mittlerweile: 2015 darf sich nie wiederholen. Würde sie ihre Politik des Jahres 2015 konsequent verteidigen, müsste sie weiterhin allen politisch Verfolgten und anderen Auswanderwilligen zurufen: Kommt her! Wir nehmen euch auf! Sie müsste den Italienern anbieten: Schickt alle, die nicht bei euch bleiben wollen, zu uns. Wir schaffen das auch noch!

Davon ist Merkel aber Lichtjahre entfernt. Dass sie ihren Kurs von 2015 einkassiert hat, liegt daran, dass er nicht mehr populär ist und nicht zum Machterhalt beiträgt. Er ist ein zynisches Eingeständnis, die Lage vor drei Jahren völlig falsch eingeschätzt zu haben. Die große humane Geste, für die Merkel in die bundesdeutsche Geschichte eingehen wird, war das eine. Das andere war, dass sie die Bürger nicht mitgenommen, sondern in dem Gefühl zurückgelassen hat, dass Angela, die Entrückte, entschieden hat, was Deutschland guttue und was nicht, ohne das Parlament – also die Volksvertreter – zu fragen, wie sie die Sachen sehen. Bis heute ist Merkel eine Antwort schuldig geblieben, wer mit "wir" in dem Satz "Wir schaffen das" gemeint ist. Die AfD und ihre Wähler kann sie kaum gemeint haben.

Vor allem aber rächt sich nun Merkels Politik des Machterhalts um jeden Preis. Das System von Helmut Kohl hat sie perfektioniert. Mithilfe von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Kanzlerin die SPD in die Große Koalition getrieben, was die Sozialdemokraten dem Untergang ein Stück näher brachte. Sie unterschätzte, dass sie damit ihre CDU mit in den Abgrund zieht. Der maßgeblich unter Merkels Zutun entworfene Kompromiss im Streit mit Horst Seehofer, Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen – der übrigens immer noch im Amt ist – durch Beförderung loszuwerden, war der Gipfel politischer Lächerlichkeit. Merkel hat erst viel getan, die Politikverdrossenheit zu vergrößern und dann, die AfD zu stärken.

Geradezu ein Offenbarungseid war Merkels Appell kürzlich vor der thüringischen CDU, endlich wieder nach vorne zu schauen. "Wenn wir uns für den Rest des Jahrzehnts damit beschäftigen wollen, was 2015 vielleicht so oder so gelaufen ist und damit die ganze Zeit verplempern, dann werden wir den Rang als Volkspartei verlieren. Deshalb fordere ich, dass wir uns jetzt um die Zukunft kümmern." Es ist originäre Aufgabe der Kanzlerin, sich um die Zukunft des Landes, das sie regiert, zu kümmern. "​​W​ir haben aus der Bundestagswahl gelernt", sagte Merkel im hessischen Wahlkampf: "Ich glaube, wir haben den Weckruf verstanden."

Es mag sein, dass Merkel endlich die Signale gehört hat. Der Umgang mit ihrer Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer sprach allerdings eine andere Sprache. Selbst die ließ sie im Regen stehen und sich zum Gespött machen, als AKK nach dem CDU-Debakel in Hessen brav erklärte, Merkel werde sich im Dezember abermals zur Wahl der Parteivorsitzenden stellen. Was ist das für ein Umgang selbst mit einer ihrer engsten Mistreiterinnen? So verbrennt man sie. Und immerhin hatte Kramp-Karrenbauer auf den Ministerpräsidentenposten im Saarland verzichtet, um der Parteichefin in Berlin zu dienen.

Ob der der Verzicht auf den CDU-Vorsitz auf innerer Einsicht Merkels beruht, sei dahingestellt. Der Druck in den eigenen Reihen wuchs jedenfalls, wie die Andeutungen von Wolfgang Schäuble vor der Hessen-Wahl unschwer erahnen ließen. Die CDU hätte den Weg der SPD genommen, wenn Merkel an allen Ämtern kleben würde. Ihre Anhänger sollen sie deshalb gerne als klug und weitsichtig feiern. So dumm wie Helmut Kohl ist sie tatsächlich nicht. Der Merkel-Überdruss in Bevölkerung und Union nimmt trotzdem bereits Kohl-Ausmaße an. Die Verantwortung dafür trägt allein: Angela Merkel, die Entrückte.

Thomas Schmoll nörgelt gerne über schräge Entwicklungen in der Gesellschaft und ist zunehmend genervt von Berlin. Bekennt sich zu seiner Herkunft aus der Ostzone. Liebhaber der Barockoper und der italienischen Renaissance-Malerei.

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