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Politik - 29.10.2018

Austeilen zwischen den Zeilen: Merkel macht Schluss

Merkel hat ihr eigenes politisches Ende besiegelt.

Von Benjamin Konietzny


Die Hessen-Wahl leitet nun doch das politische Ende der Ära Merkel ein. Sie gibt den Parteivorsitz ab, auch ihre Kanzlerschaft will sie nicht verlängern. Und während sie das erklärt, teilt sie zwischen den Zeilen aus.

Die Kanzlerin überrascht sie alle noch einmal. Vielleicht ein letztes Mal. SPD-Chefin Andrea Nahles gibt gerade ein kurzes Statement ab, da platzt die Nachricht dazwischen: Angela Merkel gibt den Parteivorsitz ab. Einen Kommentar gibt Nahles erst einmal nicht ab. Zeitgleich hält die AfD eine Pressekonferenz ab, während die Eilnachricht auf den Handybildschirmen auftaucht. "Ja, wir haben das auch gerade gesehen", sagt Partiechef Jörg Meuthen. Freude bei den ärgsten Gegnern der Kanzlerin, die deren politisches Ende wittern. Und auch in der CDU-Zentrale wirken sie überrumpelt. Die Vorstandsmitglieder Anja Karliczek und Carsten Linnemann kommen im Laufschritt zur Vorstandssitzung ins Konrad-Adenauer-Haus, auch Peter Altmaier ist in Eile. Alle verschwinden im Sitzungssaal, ernste Mienen. Fragen werden nicht beantwortet.

Und während Merkel sich drinnen erklärt, sickert nach draußen, wer künftig an der Spitze der Partei stehen könnte. Friedrich Merz wird beim Parteitag im Dezember kandidieren, Gesundheitsminister Jens Spahn und CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer. Dazu mehrere unbekannte Kandidaten ohne ernsthafte Chance. Dann folgt noch eine Nachricht: Merkel werde nach 2021 nicht mehr kandidieren, heißt es. Die Hessen-Wahl war doch mehr als ein blaues Auge. Es ist ihr Knock-Out. Umso erstaunlicher ist, was sie bei der anschließenden Pressekonferenz sagt – und wie sie es sagt. Als "enttäuschend" und "bitter" bezeichnet sie das Ergebnis der Landtagswahl.

Ihre "Freunde in Hessen hätten deutlich bessere Ergebnisse holen können ohne die Eindrücke der Bundespolitik", sagt Merkel. Ministerpräsident Volker Bouffier, der ebenfalls auf der Bühne steht, angesichts der Nachrichtenlage aber wie Beiwerk wirkt, horcht auf. Dann zählt die Kanzlerin auf: Hessen, Bayern, die "Verwerfungen zwischen CDU und CSU", die langen Koalitionsverhandlungen mit der SPD, die geplatzten Koalitionsverhandlungen mit FDP und Grünen. Man könne "nicht einfach zur Tagesordnung übergehen". Und sie wird noch deutlicher: "Das Bild, was die Regierung abgibt, ist inakzeptabel". Die Ergebnisse würden nicht wahrgenommen und das sei "nicht nur ein Vermittlungsproblem. Ich rede auch über die Arbeitskultur". Merkel gibt sich selbstkritisch: "Ich trage qua Amt die Verantwortung", sagt sie.

Bewegung bei Merkel, Stillstand in der SPD

Dann bestätigt sie, was zuvor die Runde gemacht hat: Sie werde im Dezember nicht wieder als Parteivorsitzende kandidieren. Und sie werde auch nicht noch einmal als Kanzlerkandidatin antreten, sei aber bereit, in der laufenden Legislaturperiode Kanzlerin zu bleiben. Danach werde sie überhaupt keine politischen Ämter mehr ausüben. Erstmals spricht sie aus, was in der Form gedacht, geschrieben, von ihr aber noch nie gesagt wurde: "Die CDU kann sich mit einer neuen Führung und einem neuen Grundsatzprogramm auf die Zeit nach mir vorbereiten." Merkel macht Schluss. Nach 18 Jahren gibt sie den Parteivorsitz ab und spätestens 2021 bricht auch im Kanzleramt eine neue Ära an.

Weil bald endgültig Schluss ist, kann sie zwischen den Zeilen austeilen. Gegen FDP-Chef Christian Lindner und den Grünen-Vorsitzenden Anton Hofreiter, denen sie die geplatzten Jamaika-Verhandlungen zu verdanken hat. Wen sie wohl beim Stichwort "Arbeitskultur" angesprochen hat? Horst Seehofer vielleicht, der inhaltliche Arbeit mit seinem Aufbegehren gegen die Kanzlerin immer wieder blockiert hat. Und von wem spricht sie, als sie betont, man könne nicht einfach zur Tagesordnung übergehen? Ein paar Straßen weiter hat kurz zuvor der Koalitionspartner SPD beschlossen, dass die lawinenartigen Stimmverluste bei der Hessen-Wahl keine personellen Konsequenzen haben werden.

Dann wird sie nach den Kandidaturen von Kramp-Karrenbauer, Spahn und Merz gefragt. Das sei nun ein "demokratischer Prozess", den sie nicht kommentieren wolle, entgegnet Merkel. Man könnte es aber auch so verstehen: Es ist nicht mehr ihr Problem. Plötzlich spricht sie ganz gelöst davon, dass nun "ein schöner Prozess der Erneuerung" bevorstehe. "Den hatten wir jetzt seit 18 Jahren nicht mehr". Erleichterung, dass es vorbei ist? Eine weitere Spitze gegen den Koalitionspartner SPD? Von beidem ein bisschen. Merkel wirkt müde, sie ist erkältet, die Nase ist verstopft. Und doch ist sie ganz befreit.

Und es gibt noch eine Überraschung: Die Entscheidung, nicht mehr für den Parteivorsitz zu kandidieren, habe sie schon nach der Sommerpause gefällt. Seit fast vier Monaten weiß sie das bereits. Es war aber ihr Geheimnis. Selbst ihre Generalsekretärin hatte am Sonntagabend noch bekräftigt, Merkel werde sich noch einmal zur Wahl aufstellen. "Es gibt Entscheidungen, mit denen hilft man niemandem, wenn man sie ihnen mitteilt", sagt die Kanzlerin. Noch am 29. September, also vor nicht mal vier Wochen, hatte sie erklärt, dass Kanzlerschaft und Parteivorsitz nach ihrem Verständnis untrennbar zusammengehören.

Interessant im Zusammenhang mit dem heutigen Tag ist auch das, was sie 2004 über Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder gesagt hat. Dessen Rücktritt vom SPD-Parteivorsitz bezeichnete sie damals als "Autoritätsverlust auf ganzer Linie" und als "den Anfang vom Ende von Kanzler Gerhard Schröder". Beide Äußerungen können ihr nun im Prinzip egal sein. Sie erwartet nichts mehr, hat nichts mehr zu befürchten. Denn ihr eigenes, geordnetes politisches Ende hat sie heute selbst eingeleitet.

Benjamin Konietzny ist Politik-Reporter bei n-tv.de.

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