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Politik - 13.11.2018

Aus rechten Blogs in die Politik: Wie Österreich den UN-Migrationspakt verließ

Der Kanzler und sein Vize: Sebastian Kurz (l.) und Heinz-Christian Strache

Von Christian Bartlau, Wien


An der Seite von Ungarn und den USA boykottiert Österreich den UN-Migrationspakt – zum Jubel der europäischen Rechten. Ein „Vorbild“ sei Österreich, freut sich AfD-Spitzenfrau Weidel. Dabei ist unklar, warum genau die Regierung aussteigt.

Heinz Faßmann gehört zu der seltenen Spezies von österreichischen Politikern, die man in die Schlagzeilen schubsen muss. Seine Aufgabe als Bildungsminister erledigt der parteilose Wissenschaftler mit großer Nüchternheit, Aufsehen erregt er eigentlich nur durch seine Körpergröße: Seine 2,03 Meter überragen selbst den groß gewachsenen Bundeskanzler Sebastian Kurz. Ein stiller Riese also. Umso genauer sollte man hinhören, wenn er doch einmal etwas sagt, wie jüngst zum Ausstieg Österreichs aus dem vieldiskutierten UN-Migrationspakt.

Bundeskanzler Kurz begründete die Entscheidung mit der "Gefahr, dass unsere souveräne Migrationspolitik untergraben wird". Das fand vor allem, aber nicht nur unter Rechtspopulisten in Europa viel Beifall. AfD-Fraktionschefin Alice Weidel lobte Österreich als "Vorbild", der CDU-Politiker Jens Spahn forderte nach der Entscheidung seines Kumpels Sebastian Kurz eine neuerliche Diskussion über die deutsche Haltung. Nur: So eine Diskussion hat in Österreich nie stattgefunden. Auch nicht innerhalb der Regierung, sagte Bildungsminister Heinz Faßmann der Zeitung "Die Presse" am Wochenende: "Es hätte sehr viel früher, während der Verhandlungen, einen Diskussionsprozess geben müssen." Weil es den nicht gab, rätseln die Medien in Österreich fast zwei Wochen nach dem Ausstieg noch immer: Warum genau hat sich die Regierung aus dem UN-Pakt zurückgezogen?

Eine sehr plötzliche Entscheidung

Für gewöhnlich kommuniziert die türkis-blaue Regierung ihre Linie ohne jegliche Abweichung. "Message Control" lautet das Patentrezept für die überraschend konfliktarme Zusammenarbeit zwischen ÖVP und FPÖ: Ein Heer von PR-Profis versorgt alle Regierungsmitglieder mit Sprechzetteln, bislang wahren sie im Regelfall die Koalitionsdisziplin. Das Abrücken vom UN-Migrationspakt versetzte die Regierung jedoch in argumentativen Notstand – sie hatte das Papier von Anbeginn mitverhandelt, ab März 2018 sogar in führender Rolle, als Sprecher für die 27 beteiligten EU-Staaten. Sebastian Kurz selbst hatte 2017, noch als Außenminister bei der UN-Vollversammlung die Erarbeitung des Paktes "begrüßt" und gesagt: "Das wird sicherstellen, dass es eine geordnete internationale Herangehensweise an diese Herausforderungen gibt."

Am 13. Juli diesen Jahres kabelten die Diplomaten nach sechs Verhandlungsrunden den fertigen Text nach Wien. Wie das Nachrichtenmagazin "Profil" unter Berufung auf das Außenministerium berichtet, meldeten weder andere Ministerien noch das Bundeskanzleramt Bedenken an. Rund 100 Tage später steigt Österreich aus. "Nach eingehender Prüfung", wie Bundeskanzler Kurz sagte. "Wir sehen einige Punkte sehr kritisch, etwa die Vermischung der Suche nach Schutz mit Arbeitsmigration." Er wolle verhindern, dass sich ein "Völkergewohnheitsrecht" etabliere. Vizekanzler Heinz-Christian Strache von der FPÖ wurde grundsätzlich: "Österreichs Souveränität hat oberste Priorität."

Ein merkwürdiger Übersetzungsfehler

Wie die Zeitung "Österreich" berichtet, empfahl die von der FPÖ nominierte Außenministerin Karin Kneissl einen Beitritt, wurde aber von Parteichef Strache überstimmt. Das Außenministerium war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Auffällig ist: Im Ministerratsvortrag und in der Begründung findet sich ein Übersetzungsfehler, der auch auf rechtsradikalen Blogs und in den sozialen Medien kursiert. Der "Globale Pakt für sichere, geordnete und reguläre Migration" wird in den offiziellen Papieren (pdf) wiederholt als "Globaler Pakt für gesicherte, geordnete und planmäßige Migration" bezeichnet.

Man findet das Wort "planmäßig" im Zusammenhang mit Migration immer wieder auf rechtsradikalen und verschwörungstheoretischen Internetseiten und Blogs, etwa bei der Kleinstorganisation "Identitäre Bewegung". Von ihr ging ab September in Österreich die Kampagne gegen den UN-Pakt aus, die schnell auch FPÖ-nahe Medien erreichte, die im Internet viele Leser finden und gern von Strache für seine 800.000 Facebook-Follower geteilt werden. Auf dieser Seite deutet Strache erstmals Anfang Oktober einen möglichen Ausstieg Österreichs an.

Als schließlich auch das größte Boulevardblatt des Landes, die mächtige "Kronen-Zeitung", auf das Thema aufspringt und den Kritikern des Pakts über Wochen eine Plattform gibt, haben die Gegner den Kampf um die öffentliche Meinung gewonnen und die FPÖ unter Zugzwang gesetzt. Laut "Standard" verhandeln die Rechten hart mit der ÖVP, die sich in die Sache "hineintheatern hat lassen", wie die Zeitung einen Insider zitiert. Am Ende sieht der Deal wohl so aus: Bundeskanzler Kurz gibt nach, besteht aber auf Enthaltung bei der Generalversammlung statt einem Nein. Außerdem wird die FPÖ der ÖVP den nächsten Wunsch nicht abschlagen können.

Der FPÖ geht es ums Prinzip

Ein politischer Kuhhandel also, eingeleitet von rechtsradikalen Splittergruppen: Fakten wurden erst diskutiert, als die Entscheidung Ende Oktober schon getroffen war. Völkerrechtler, die darauf hinweisen, dass der UN-Pakt unverbindlich ist und eben kein Gewohnheitsrecht begründen wird, wurden im Vorfeld nicht angehört, genauso wenig wie ein Experte für Migration innerhalb der Regierung: Bildungsminister Heinz Faßmann, Humangeograf und lange Jahre Mitglied des Sachverständigenrates für Integration und Migration. Er halte den Pakt für "inhaltlich nicht ausgereift", sagte er der "Presse", aber nicht für unrettbar: "Er müsste weiterverhandelt werden. (…) Denn dass der globale Ansatz der richtige ist, steht außer Frage." Sorge um die Souveränität Österreich habe er nicht.

Eine Sichtweise, die zumindest die FPÖ-Kollegen im Kabinett nicht teilen dürften. Innenminister Herbert Kickl etwa nutzte die Ablehnung für eine prinzipielle Positionierung: "Österreich ist kein Einwanderungsland." Eine Bemerkung, bei der er innerlich zusammengezuckt sei, so Faßmann. "Das lässt sich, blickt man auf die empirischen Daten, nicht bestreiten." Tatsächlich sind 2017 laut Statistik Austria 140.000 Nicht-Österreicher ins Land gekommen, 90.000 haben es verlassen. In den letzten zehn Jahren waren es insgesamt 1,3 Millionen Zuwanderer und 750.000 Abwanderer – in einem Kleinstaat von 8,8 Millionen Einwohnern.

Selbst ein politischer Seiteneinsteiger wie Faßmann dürfte die Motive hinter den Wortmeldungen der FPÖ leicht verstehen: Die Partei verdankt einen Großteil ihres Wahlerfolgs dem Anti-Ausländer-Kurs und der Kritik am "Globalismus". Die Zustimmung zu einem internationalen Rahmenplan, in dem Migration nicht verteufelt, sondern geregelt werden soll, wäre für sie möglicherweise das, was Hartz IV für die deutsche SPD war. Und Bundeskanzler Kurz hat sich in seiner früheren Funktion als Außen- und Integrationsminister zwar immer wieder grundlegend positiv zu Einwanderern geäußert, diese Haltung aber spätestens im Wahlkampf dem Erfolg geopfert. Das Magazin "Profil" veröffentlichte gerade eine Umfrage, laut der die Mehrheit der Österreicher die Ablehnung des UN-Paktes begrüßt: 49 Prozent sind dafür, 29 Prozent dagegen, 24 Prozent sind unentschieden oder kennen das Papier nicht. Egal, wie Österreich zu der Entscheidung gekommen ist: Innenpolitisch hat die Regierung damit offenbar einen Erfolg gelandet.

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