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Kultur - 13.11.2018

Micky Beisenherz über #UnfollowMe: Warum habe ich mich auf diesen Blödsinn eingelassen

Unter dem Hashtag #UnfollowMe fordern zahlreiche Nutzer dazu auf, ihnen in den sozialen Netzwerken nicht mehr zu folgen, wenn man Ausländer hasst. Auch Micky Beisenherz hat sich daran beteiligt.

Micky Beisenherz hat sich an der Hashtag-Aktion #UnfollowMe beteiligt.

Worauf hab ich mich da jetzt wieder eingelassen? (keine rhetorische Frage!) Tatsächlich ist es sehr spannend zu beobachten, was entsteht, wenn man sich zum Teil einer – nennen wir es mal – Bewegung macht, die unter dem Hashtag #UnfollowMe dazu ermuntert, einem in den sozialen Netzwerken nicht mehr zu folgen, sollte man zum Beispiel
– Ausländer hassen
– gleichgeschlechtliche Liebe für unnormal halten oder
– für einen selbst nur Deutsche zum Volk gehören

Die Reaktionen waren erwartungsgemäß sehr unterschiedlich. Die einen bedankten sich eifrig, als hätte ich im Alleingang ein Lepradorf geheilt oder ein #Nofilter-Selfie gepostet. Die anderen fragten mich, ob ich jetzt endgültig den Verstand verloren hätte. Beides Unsinn. Sogar Letzteres.

Micky Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier

Ich bin übrigens niemandem böse, wenn er das Gefühl hat, dass da wieder einmal ein Viertelprominenter mit ein bisschen Aufmerksamkeitsunterdeckung auf dem Ticket der Nächstenliebe durch die digitale Pampa reitet. Nix gegen ein bisschen Beachtung, aber ein wenig Leistung sollte schon erbracht werden. Zumal ich in MEINER Filterblase das Gefühl habe, eine derartige Aktion mit einem verhashtaggten Ausweis der vermeintlichen Bessermenschlichkeit gibt es jede Woche. An einem 9. November und in Zeiten, da in Polen 200.000 Neonazis durch die Straßen marschieren – kann es schaden, ein Zeichen zu setzen und zu sagen „Ich mach die Scheiße nicht mit“?

Offenbar schon. Zumindest, wenn dem Hashtag und einem einleitenden Satz keine weitere Erklärung folgt. Was ich erlebt habe, ist der vielfach geäußerte Vorwurf, mit der Beteiligung die Spaltung der Gesellschaft aktiv zu unterstützen. Hatte ich das vor? Sicher nicht. Die Unschärfe in der Deutung der Aussagen lädt zu großer Verwirrung ein. So erlebe ich, dass sich mit „wenn du Ausländer hasst“ Menschen in vorauseilendem Missverständnis angesprochen fühlen, denen es vor einiger Zeit nicht im Traum eingefallen wäre, auf so eine Anrede zu zucken. Da ziehen sich mitunter die Falschen ein Paar brauner Schuhe an. Die Imarschigkeit des Diskurses macht sich speziell an solchen Beispielen fest.

Moralisches Muskelspiel vor dem geneigten Stammpublikum

Klar, spätestens seit 2015 haben sich die jeweiligen Freundeslisten sowieso sehr stark gesinnungsbereinigt. Und Hashtags wie #wirsindmehr oder #UnfollowMe laufen immer Gefahr, zum moralischen Muskelspiel vor dem geneigten Stammpublikum zu verkommen. Warum also überhaupt der ganze Zirkus. Zumindest in meinem Falle gibt es berechtigten Anlass zu der Annahme, dass meine Filterblase sehr wohl noch durchlässig ist und andere Stimmen nicht ungehört verhallen. Ich finde das gut und richtig so. Allein, wenn ich beobachte, wie unterschiedlich innerhalb meiner Freundesliste ein simpler „FUCK AFD“-Aufkleber in einem Polizeiruf-Krimi aufgenommen wird – da lacht das Herz eines jeden Demokraten.

Wie so häufig kann ich übrigens beide Ansätze nachvollziehen. In meinem digitalen Resonanzraum finden sich einige, mit denen ich überhaupt nicht einer Meinung bin. Das tut teilweise richtig weh. Auf keinen Fall aber würde ich mich deren Blick auf die Welt gegenüber verschließen. Insofern ist #UnfollowMe das Letzte, das ich mir wünsche. (Manche scheinen das „Folgen“ auch eher im biblischen Sinne zu begreifen.) Mein Einzugsgebiet als Öffentlichkeitsarbeiter aber beschränkt sich naturgemäß nicht auf solche, die ich proaktiv als Freunde suche oder zumindest bestätige und DESHALB schien es mir angebracht, darauf hinzuweisen, dass es Ressentiments gibt, die man nicht von der Kette lassen darf.

Es gibt einen Unterschied in Sachen Dialogfähigkeit. Es ist nicht dasselbe, ob ich sage „die Migrationspolitik von Merkel ist eine Katastrophe aus diesen und jenen Gründen“ oder ob ich auf einer Demo oder in Kommentarspalten „Absaufen! Absaufen!“ brülle. Letzteren spreche ich alles ab, was ziviles Miteinander oder Kommunikationskompetenz angeht. So wie ich der festen Überzeugung bin, dass es einen fixen Prozentsatz von Extremisten in unserer, ja, jeder Gesellschaft gibt, mit denen eine Diskussion so lohnt wie einen betrunkenen Schimpansen „Inception“ analysieren zu lassen.

War es richtig, da mitzumachen? 

In meinem Falle bedeutet das also, dass mir beim #UnfollowMe-Post Adressaten vorschwebten, die des Lesens fast kaum mächtig sein dürften, mich aber ganz sicher als Marionette der linksgrünversifften Systemmedien kaum als relevanten Denkanstoßgeber akzeptieren werden. War so jemand meine Zielperson, schoss das ganze meilenweit vorbei. Und war dann aber irgendwie auch so stumpf selbstgefällig, dass die „Richtigen“ getriggert wurden.

Es ist nicht falsch, #UnfollowMe den Vorwurf zu machen, in seiner Aussage zu wenig konkret zu werden. Es ist auch richtig, dass wir gewiss nicht noch mehr Kommunikationsabbruch brauchen.

War es also richtig, da mitzumachen? Zum einen war es vor allem: risikofrei. Ich glaube kaum, dass außer einem milieuübergreifenden Unterhalter wie Til Schweiger zuletzt jemand wirklich ernsthafte Einbußen an Fans oder Ticketkäufen hatte, weil er sich politisch so klar positioniert hatte.

Ein nie wirklich ernst gemeintes Angebot zum Kontaktabbruch

Wenn es darum geht, dazu anzuregen, zu diskutieren, unterschiedliche Meinungen auszutauschen, Positionen und Standpunkte klarzumachen, dann ja. Wenn es ein ernst gemeintes Angebot zum Dialogabbruch mit Andersdenkenden war, dann nein. Aber ist der Dialog unter den Dialogwilligen und -fähigen tatsächlich abgebrochen? Nicht in meiner Wahrnehmung. Mag sein, dass nicht jede Auseinandersetzung fair oder frei von Spott und Herablassung geführt wurde. Dennoch: Es entstand eine lebhafte Debatte.

So ist #UnfollowMe eher als Provokation zu deuten. Als nie wirklich ernst gemeintes Angebot zum Kontaktabbruch. Im Grunde genommen ähnlich dem, wie Horst Seehofer Rücktritte versteht. Am Ende vielleicht ein bisschen bräsig oder selbstgefällig in der Ausführung – und doch geeignet, die eigene Position einer eingängigen Prüfung unterzogen zu wissen.

Sicher, die Aktion ist natürlich Pose. Nicht mal eine besonders mutige. Du machst dich zum Idioten für die Verkapselten, um von Gesprächswert für die zu sein, die sich eine Restbegabung zum Diskutieren erhalten haben. Ein „Ich sag dir jetzt mal, warum du selbstgefälliger Medientrottel falsch liegst“ ist auch eine Art Gesprächsangebot.

Und dann nehme ich das bisschen Beleidigung gerne in Kauf.

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