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Kultur - 23.10.2018

„Gegen Judenhass“ – Interview mit Oliver Polak über sein neues Buch

„Juden wollen immer Mitleid“ – Oliver Polak hat die Schnauze voll von solchen Sätzen. Weil er nicht länger nur zusehen will, wie sich Antisemitismus in Deutschland ausbreitet, hat er ein Buch geschrieben. Wir haben mit ihm über „Gegen Judenhass“ gesprochen. 

Oliver Polak spricht im stern-Interview über sein neues Buch „Gegen Judenhass“ und Antisemitismus in Deutschland. Polak selbst ist als Sohn eines Holocaust-Überlebenden im norddeutschen Papenburg großgeworden.

2017 gab es in

Deutschland jeden Tag im Schnitt vier Angriffe auf Juden. Für den Komiker und Buchautor Oliver Polak großer Grund zur Sorge. Deshalb hat der 42-Jährige etwas unternommen und ein Buch über seine persönlichen Erfahrungen mit Judenhass in Deutschland geschrieben. Im stern-Interview spricht er über sein neues Buch, Judenwitze, den Echo-Eklat und seine 90-jährige Tante in New York.

Oliver Polak

Herr

Polak, wir leben in politisch bewegten Zeiten. Wie wohl fühlen Sie sich aktuell in Deutschland?

Ich merke, dass ich mich hier schon seit längerer Zeit grundsätzlich nicht mehr wohl fühle. Jahrelang wurde einem suggeriert, dass man sich keine Sorgen machen muss. Aber vieles ist ins Wanken geraten. Die AfD sitzt mittlerweile im Bundestag und sie bekommen immer mehr Zustimmung. In Deutschland werden wieder öffentlich

Neonazi-Konzerte abgehalten. Leute marschieren wieder durch Straßen und zeigen offen den Hitlergruß. Scheiben von jüdischen Restaurants werden eingeworfen und jüdische Restaurantbesitzer werden in Berlin wieder bedroht. Jüdische Schüler werden über Schulhöfe gejagt. Flüchtlingsheime werden angezündet. Das bringt einen zum Nachdenken.

Sie haben sich sehr kurzfristig entschieden, Ihr neues Buch „Gegen Judenhass“ zu schreiben. Dafür haben Sie sogar Ihre Tour verschoben. Warum hat es dieses Buch so eilig?

Ich war gerade in der Vorbereitung zu meiner Show „Der Endgegner“ und dann häuften sich die eben genannten Sachen. Im Frühjahr gab es dann noch den Eklat bei der Echo-Verleihung. Am Ende dachte ich mir: „Das kann es doch echt nicht sein. Wo bitte sind wir hier denn gerade gelandet!?“ Und als ich gehört habe, dass Juden über Schulhöfe gejagt werden, habe ich mich daran erinnert, wie das bei mir damals war. Wenn sonst niemand mal was schreibt oder öffentlich was zu dem Thema sagt – auch ein bisschen intensiver als Sätze wie „Das darf nie wieder passieren“ oder „Wehret den Anfängen“, was ohnehin nur leere Worthülsen sind, wie man nach 80 Jahren sieht –, dachte ich mir, ich versuche mal, das sehr düstere und schwere Thema auf das Wesentliche herunterzubrechen. Ziel war es auch, einen leichteren Zugang zu dem Thema zu ermöglichen. Deshalb auch ein dünneres, kleineres Buch in einer leuchtenden Signalfarbe für wenig Geld. Meine Hoffnung ist es, dass viele junge Leute das Buch in die Hand nehmen und ich wünsche mir eigentlich auch, dass es irgendwann vielleicht auch in Schulen gelesen wird.

 Das Buch „Gegen Judenhass“ (Suhrkamp) von Oliver Polak ist ab dem 1. Oktober 2018 im Handel erhältlich

Für alle Leser, die das Buch noch nicht kennen – in einem Satz: Worum geht es in Ihrem Buch?

Ein notwendiges Statement gegen erstarkenden und wiederkehrenden

Antisemitismus in Deutschland.

Angefangen mit Ihrer Kindheit und bis zur Gegenwart: Anhand von persönlichen Geschichten aus Ihrem Leben zeigen Sie, wie Sie im Alltag

Judenhass erleben. Inwieweit und wo nehmen Sie heute besonders eine Zunahme von Antisemitismus in Deutschland wahr?

Überall. Nehmen wir das Beispiel aus Dortmund. Dort marschieren Neonazis und rufen „Wer Deutschland liebt, ist Antisemit“. Dass solche Leute ungehindert durch die Straßen laufen können. Wenn man die Polizei fragt, wird gesagt, dass das ja nicht strafbar und rechtlich schwer zu verfolgen sei. Oder Araber verbrennen im Beisein von Linken am Kurfürstendamm Israel-Fahnen und rufen „Juden ins Gas“. Es gibt mittlerweile einfach eine Salonfähigkeit für Judenhass, obwohl es in diesem Land einmal hieß „Nie wieder“. Das ist einfach nur noch bitter. Es leben noch sehr viele alte Menschen, die den Holocaust überlebt haben. Meiner Meinung nach ist all das für die so, als ob man sie nochmal ermorden wollen würde.

Das ist ein gruseliger Cocktail: Die letzten Zeitzeugen sterben und extrem rechte Bewegungen sind im Aufwind. Dazu kommt noch der arabische Antisemitismus und die Israelkritik der Linken, hinter der sich auch ein Antisemitismus verbirgt. Im Duden gibt es das Wort „Israel-kritisch“. Das Wort „Boko-Haram-kritisch“ findest du dort nicht. Da kann jeder selbst eins und eins zusammenzählen. Und wenn man mal etwas dagegen sagt, heißt es immer „Jaja, ihr Juden müsst ja immer Opfer sein“. Es ist doch so: Entweder der Jude ist das Opfer oder er wird übermäßig groß gemacht und kontrolliert die Welt. Egal, was du sagst: Es ist falsch.

Haftbefehl, Jakob Augstein, Kollegah: Sie beschreiben in Ihrem Buch, wie alle drei antisemitische Vorurteile bedienen und sie Ihnen teilweise auch persönlich entgegenbringen. Doch Sie nennen ihre Namen nicht. Warum?

Das habe ich von Anfang an so geplant. Ich wollte keine Prominenten nennen, weil ich nicht möchte, dass nachher abgelenkt und über Namen gesprochen wird. Es geht um Antisemitismus und der soll nicht vergessen werden. Ich wollte einfach die Geschichten abbilden und für sich stehen lassen. Bei einigen Dingen wie der Echo-Debatte ist ja ohnehin klar, wer gemeint ist Aber bei vielen Personen weißt du nicht, wer gemeint ist.

Deutsche haben häufig ein verkrampftes Verhältnis zu Juden. Sie wollen den Umgang normalisieren. Dürfen sich Deutsche denn überhaupt über Juden lustig machen? Und wenn ja, wie?

Wer bin ich, das zu entscheiden. Meistens, wenn Leute Witze über dich als Jude machen wollen, haben sie nur die komischen Nazi-Klischee-Bilder im Kopf. Es ist einfach sehr wahrscheinlich, dass Witze über Juden in eine sehr unangenehme Art und Weise abdriften. Wenn jemand zu mir kommen würde, nur mal als Beispiel, und sagen würde: „Wie kannst du denn zum auserwählen Volk gehören? Ihr wisst doch nicht mal, wie ein Cheeseburger schmeckt.“ Dann ist das ein guter Witz. Der hat etwas mit Tradition und jüdischen Gesetzen zu tun. Aber das ist etwas ganz anderes als Witze wie: „Mein Vater ist auch im KZ gestorben. Besoffen vom Wachturm gefallen.“

Ich kann nicht beurteilen, wer welchen Witz wann und wo machen darf

Aber ich kann nicht beurteilen, wer welchen Witz wann und wo machen darf. Es kommt doch immer auf den Kontext an. Wenn die Rapper Kanye West und Jay-Z von der Bühne kommen und gerade „Niggas In Paris“ performt haben, dann gehe ich ja auch nicht hin und begrüße sie mit „Hey Niggas“.

Ihr Buch zeichnet ein düsteres Bild von weit verbreitetem Judenhass in Deutschland. Ist wirklich alles schlecht oder sehen Sie irgendwo auch Dinge, die gut laufen?

Die deutsche Schuld und die Scham wurden nie wirklich verarbeitet, sie durften sich nicht weiterentwickeln, es gab kein Update. Sie wurden in Denkmälern festzementiert, genau wie das Eingeständnis ihrer Existenz. Aber ich finde, das ist alles so theoretisch. Was fehlt, ist das wirklich Praktische. Empathie. Gefühle. Ich habe manchmal irgendwie das Gefühl, dass viele Menschen es hier nie so richtig geschafft haben, mal empathisch zu sein. Es gibt nichts, wo ich jetzt sage „Oh, da funktioniert es super“.

Dann nochmal anders gefragt: Welchen konkreten Appell richten Sie an die deutsche Gesellschaft? Welchen Handlungsaufruf haben Sie?

Es gibt zwei Ebenen. Einmal die Politiker und den Staat. Und jeden einzelnen Menschen als Individuum. Es gibt hier Dinge wie Rassismus, Homophobie, Sexismus, Antisemitismus und so weiter. Ich glaube, das Ende von dem Ganzen beginnt mit den Menschen selbst. Ein bisschen wie in Michael Jacksons „Man In The Mirror“: „If you want the world to be a better place, take a look at yourself, and make a change.“ Man muss selbst anfangen und ein Bewusstsein schaffen. Man kann beispielsweise auf einem Rettungsschiff im Mittelmeer mitfahren und dort einfach mal mithelfen. Oder man versucht, ein Buch über dieses Thema zu schreiben und viel darüber in der Öffentlichkeit zu reden.

Aber natürlich wünsche ich mir auch vom Staat eine Klarheit. Klarheit – das ist das Stichwort. Momentan ist offensichtlich sehr viel fehlgeleitet. Wir sehen Neonnazis, die mit Hitlergrüßen durch die Straßen laufen. Da muss es knallharte Strafen für geben. Und wir müssen natürlich mehr in die Bildung investieren, gerade auch im Osten. Es gibt doch genug Geld in diesem Land. Das muss nur vernünftig eingesetzt werden.

Am Ende Ihres Buches stellen Sie sich selbst die Frage, warum Sie überhaupt noch in Deutschland leben – und Sie kommen zu dem Schluss, dass Sie zumindest eigene Kinder hier nicht großziehen würden. Ist das wirklich so?

Im Moment kann ich mir das nicht vorstellen. Ich habe eine Freundin und die lebt im europäischen Ausland. Und da lebe ich fast schon zur Hälfte. Zur Hälfte bin ich also schon gar nicht mehr hier. Primär bin ich noch zum Arbeiten hier in Deutschland. 

Ist Judenhass also ein speziell deutsches Problem? Frankreich hat ja zum Beispiel auch große Probleme mit Antisemitismus.

2015 sind in Frankreich 9000 Menschen jüdischen Glaubens nach Israel ausgewandert. In Ungarn hast du Leute wie Orban. In Österreich die FPÖ. Klar ist mir bewusst, dass Judenhass ein europaweites Phänomen ist. Aber ich lebe ja hier in Deutschland. Das ist meine Heimat. Hier wurde ich geboren. Ich dachte immer, das alles kann nicht noch einmal passieren. Aber dem ist nicht so. Ich war gerade in New York und da hat meine 91-jährige Tante, die selbst Holocaust-Überlebende ist, mir erzählt, dass sie in den über 60 Jahren, die sie schon in den USA lebt, noch nie Erfahrungen mit Antisemitismus erlebt hat. „Never.“ Das war ein krasser Moment für mich. Wenn ich ihr erzähle, was hierzulande gerade los ist, dann kann sie das alles gar nicht glauben.

Wenn ich Sie richtig verstehe, sehen Sie Deutschland nach rund 100 Jahren wieder am Scheideweg im Umgang mit Juden. Was wünschen Sie sich für die Zukunft unseres Landes?

Ich wünsche mir, dass die Menschen aufhören zu hassen und aufeinander zugehen. Ich wünsche mir, dass sie wieder empathisch werden und keine Angst mehr haben, dass ihnen irgendwer irgendwas wegnimmt.

Vielen Dank für das Gespräch.

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