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Wissen und Technik - 27.06.2019

Ethikrat ist gegen Zwang zu Impfungen

Der Ethikrat spricht sich gegen eine allgemeine gesetzliche Impfpflicht aus. Er fordert aber wirksame „mildere Maßnahmen“. Die sollen die Impfquoten zu erhöhen.

Stichhaltig. Die Argumente für das Impfen sind überzeugend. Im Bild Kanülen und Spritzen für die Masernimpfung.

Der Deutsche Ethikrat spricht sich in seiner am Donnerstag veröffentlichten Stellungnahme gegen eine gesetzliche Impfpflicht aus. Das Gremium betont jedoch die große Bedeutung der Immunisierungen. Kaum eine Neuerung in der Medizingeschichte habe „in einem solchen Maße zur Verringerung der Kindersterblichkeit und zur Gesundheit von Erwachsenen beigetragen wie die Entwicklung von Impfstoffen gegen Infektionskrankheiten.“

Masern: ausrottbar, doch weiterhin Todesfälle

Als Beispiel führen die Mitglieder des unabhängigen Sachverständigenrates die Masern an. Sie sind eine objektiv gefährliche, sehr ansteckende Infektionskrankheit, die nur von Mensch zu Mensch übertragen wird und gegen die ein gut verträglicher, leicht zugänglicher Impfstoff existiert. Sie könnte somit ganz von unserem Planeten verschwinden. Tatsächlich aber fordert sie auch in Deutschland weiterhin sogar Todesopfer.

Das interdisziplinäre Expertengremium wählte für seinen Ausführungen auch deshalb die Impfung gegen die Masern, weil das Bundesgesundheitsministerium im Mai den Referentenentwurf für ein „Gesetz zum Schutz vor Masern und zur Stärkung der Impfprävention“ vorgelegt hat. Es ist eine heftig diskutierter Entwurf, der eine Impfpflicht für Kinder und Betreuer in Kitas und Schulen vorsieht.

Moralische Impfpflicht

Es gebe sie eigentlich längst, die Impfpflicht, heißt es in dem „Impfen als Pflicht?“ betitelten Papier. Denn verstehe man diesen Begriff nicht juristisch, sondern im philosophischen Sinn, dann könne man von einer moralisch-ethischen „Tugendpflicht“ des Einzelnen sprechen: „Seine Kinder impfen zu lassen bzw. sich selbst um seinen Impfschutz zu kümmern, sollte ein Element der Üblichkeiten präventiver Gesundheitsvorsorge sein.“ Man schütze damit schließlich zugleich sich selbst als auch diejenigen Mitglieder der Gesellschaft, die aus medizinischen Gründen keine Impfung bekommen könnten. Angesichts des mangelnden Impfschutzes von Erwachsenen der Jahrgänge ab 1970, die die „Kinderkrankheit“ meist nicht mehr durchgemacht haben, gehöre zu dieser Pflicht auch, sich „Klarheit über den eigenen Impfschutz zu verschaffen“, betont die Arbeitsgruppe, als deren Sprecher der Medizinethiker und Humangenetiker Wolfram Henn fungiert. Es ist eine deutliche Aufforderung, den Impfpass zu suchen.

Ärzte sanktionieren

Klar positionieren sich die Ethikrat-Mitglieder auch in einem weiteren Punkt: Gegen Ärzte und Ärztinnen, die öffentlich Fehlinformationen über die Masernimpfung verbreiten, sollten Landesärztekammern und andere verantwortliche Gremien berufsrechtliche Sanktionen vorsehen. Und mit Ausnahme eines Mitglieds spricht sich der Ethikrat zudem dafür aus, dass gegen ungeimpfte Mitarbeiter im Gesundheits-, Sozial- und Bildungswesen Tätigkeitsverbote ausgesprochen werden können.
Anders sieht es bei den Kindern aus: Als fragwürdig sieht der Ethikrat angesichts der allgemeinen Schulpflicht die Durchsetzung einer gesetzlichen Impfpflicht für Schülerinnen und Schüler an.

Um sie umzusetzen, würde eventuell sogar Zwang angewendet werden müssen. Traumatisierungen von Kindern könnten die Folge sein. „Wollte man die Forderung nach einer generellen Impfpflicht im Sinne einer strikten Rechtspflicht verstehen, so führte die Anwendung der dafür konstitutiven Attribute der Unentrinnbarkeit, Erzwingbarkeit und Eindeutigkeit zu einer Reihe von höchst problematischen Konsequenzen.“

Mehrfachimpfungen

Auch beim Besuch von Kitas und Einrichtungen der Tagespflege raten die Experten von einer generellen Verknüpfung mit der Impfpflicht ab. In besonderen Einzelfällen solle das aber zur Risikovorsorge möglich sein. Die verpflichtende Beratung vor dem Kita-Besuch sei als „rechtstechnische Stärkung einer moralischen Impfpflicht“ zu begrüßen.

Derzeit sind in Deutschland nur Kombinations-Impfstoffe gegen Masern, Mumps und Röteln oder Masern, Mumps, Röteln und Windpocken zugelassen, eine gesonderte Masern-Impfpflicht sei also schon „rein praktisch nicht präzise umsetzbar“, moniert der Ethikrat. Sollte es zu einer staatlichen Impfpflicht kommen, dann müssten Monopräparate verfügbar sein.

Praktische Barrieren wegräumen

Der Ethikrat ist sich allerdings sicher, dass die Schwelle gesetzlicher Zwangsmaßnahmen nicht überschritten werden muss, um den Bürgern gegenüber „moralisch wohlbegründete Erwartungen sowie die Missbilligung im Falle ihrer Enttäuschung zum Ausdruck zu bringen“. Um Daten zum Impfverhalten zu gewinnen, empfehle es sich, ein strukturiertes nationales Impfregister einzurichten, in dem alle Informationen gebündelt werden. Tatsächlich enthält die derzeitige Impf-Surveillance der Kassenärztlichen Vereinigungen nur Informationen zu gesetzlich Versicherten.
Wer Impfquoten verbessern wolle, müsse zunächst an den praktischen Barrieren ansetzen, welche Menschen davon abhalten, sich und ihre Kinder impfen zu lassen, mahnt der Rat. Zu den empfohlenen Maßnahmen gehören denn auch gezielte Informationskampagnen, besonders für Erwachsene, zudem offene, unkomplizierte Impfsprechstunden für Berufstätige, regelmäßige Impftermine in Bildungseinrichtungen von der Kita bis zur Hochschule, sowie Impf-Erinnerungssysteme in Hausarzt- und Kinderarzt-Praxen. Außerdem sollten alle angehenden Ärzte verpflichtet sein, Impfkurse zu besuchen.

Müdigkeit, nicht Gegnerschaft

Erst wenn solche „milderen Maßnahmen“ nicht verfangen und zu den von der WHO geforderten höheren Quoten bei der zweiten Masernimpfung für Kinder und zu höheren Impfquoten bei Erwachsenen führen sollten, könne an Kita-Verbote oder Geldbußen für Eltern schulpflichtiger Kinder ohne ausreichenden Impfschutz gedacht werden. Immer unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit von Mitteln und Zweck.
Der Ethikrat ist in dieser Hinsicht allerdings verhalten optimistisch: Immerhin bekommen schon heute 97 Prozent der Babys und Kleinkinder die erste Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln. Und die Zahl der Menschen, die Impfungen ablehnend gegenüberstehen, ist nach Daten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in den letzten Jahren merklich gesunken. Es scheint inzwischen eher die Impf-Müdigkeit zu sein, gegen die die Impf-Moral sich behaupten muss.

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