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Wissen und Technik - 05.03.2019

Das ausgesperrte Virus

Bislang halten Medikamente HIV nur in Schach. Doch es gibt Ansätze, den Erreger zu vertreiben – mit Gentherapie.

Das Immunschwächevirus HIV (hier in 240 000facher Vergrößerung) ist mit 120 Nanometer Durchmesser etwa 7000 mal kleiner als die…

Schätzungsweise 80.000 Menschen in Deutschland leben laut Robert-Koch-Institut mit einer Infektion des Aids-Erregers HIV. Ein Gemisch mehrerer Medikamente kann die Vermehrung der Viren zwar so weit hemmen, dass die Immunschwächekrankheit Aids nicht ausbricht. Doch damit werden die Patienten die Viren nicht los. Sie müssen ein Leben lang die Medikamente schlucken und Nebenwirkungen in Kauf nehmen.

„Das birgt die Gefahr, dass die Medikamente nicht regelmäßig eingenommen werden und sich im Laufe der Jahre resistente Virusvarianten entwickeln könnten“, sagt Toni Cathomen vom Institut für Zell- und Gentherapie der Universitätsklinik Freiburg. Die Suche nach neuen Therapieansätzen sei nötig, um dem Virus einen Schritt voraus zu sein. Jetzt sieht es so aus, als ob Forscher einen Weg gefunden haben, mit dem Infizierte eines Tages gegen das Virus resistent gemacht werden könnten und keine Medikamente mehr einnehmen müssten.

„Berliner Patient“ hatte Glück

Die Idee ist simpel. Das Aids-Virus befällt spezielle Blutzellen, die T4-Abwehrzellen des Immunsystems. Dabei nutzt es ein Schlupfloch in der Zellmembran, CCR5 genannt. Wer dieses Einfallstor schließen oder entfernen kann, sperrt HIV aus. Die T4-Zellen werden resistent gegen das Virus, das Immunsystem funktioniert wieder und kann die Viren aus dem Körper scheuchen.

So weit die Theorie. Dass diese Idee nicht völlig aus der Luft gegriffen ist, zeigt das inzwischen berühmte Beispiel des „Berliner Patienten“. Der US-Amerikaner Timothy Brown bekam 2007 an der Berliner Charité Blutstammzellen eines Spenders transplantiert, dessen Blutzellen das Viren-Schlupfloch CCR5 fehlt. Etwa ein Prozent der Europäer hat eine Genmutation, wodurch das Tor für HIV geschlossen bleibt und diese Menschen resistent gegen das Virus sind.

Brown hatte großes Glück. Denn es ist noch unwahrscheinlicher als ein Lottogewinn, unter den Stammzellspendern einen zu finden, dessen Gewebetyp zum eigenen Körper passt und der auch noch HIV-resistent ist.

Um diese Lotterie zu umgehen, hatten Ärzte am Brigham and Women’s Hospital in Boston bei zwei Patienten einen anderen Weg versucht. Zunächst hatten sie sämtliche – teils infizierten – Blutstammzellen im Knochenmark zerstört und dann die Stammzellen eines gesunden Spenders transplantiert. Danach konnten die Ärzte monatelang kein Virus mehr bei den beiden Patienten finden, setzten die antiviralen Medikamente ab und hofften schon auf eine Heilung. Doch Ende 2013 war HIV zurück. Auch der Versuch, Neugeborene, die sich bei ihrer Mutter angesteckt hatten, mit einer besonders aggressiven medikamentösen Behandlung von HIV zu befreien, scheiterte. Seitdem ist klar, dass wohl nur eine Gentherapie sinnvoll ist, die das CCR5-Schlupfloch stopft und Blutzellen resistent gegen HIV macht.

Genscheren machen Blutzellen resistent

Dazu braucht es winzige molekulare Scheren, mit denen die Geninformation für das CCR5-Tor aus dem Erbgut der T4-Zellen von HIV-Infizierten herausgeschnitten werden kann. Eine Sorte Schere sind „Zinkfinger“, zinkhaltige Eiweißmoleküle der kalifornischen Biotech-Firma Sangamo. Im März erschien das Ergebnis einer Sicherheitsstudie an zwölf HIV-Infizierten im „New England Journal of Medicine“. Der Mediziner Carl June von der Universität Pennsylvania in Philadelphia hatte T4-Zellen aus dem Blut der Patienten gewonnen und mit der Zinkfinger-Technik das CCR5-Gen aus dem Erbgut geschnitten. Dann bekamen die Patienten jeweils zwei Milliarden dieser manipulierten T4-Zellen zurückgespritzt. Bei sechs Patienten wurde sogar die antivirale Therapie unterbrochen.

Obwohl die Studie nur zeigen sollte, dass das Verfahren sicher ist, zählten die Forscher nach einer Woche etwa dreimal so viel T4-Zellen im Blut wie zuvor: 1500 statt 450 Zellen pro Mikroliter Blut. In der Regel geht es HIV-Patienten umso besser, je mehr T4-Zellen im Blut vorhanden sind. Bei einem Patienten ging sogar die Zahl der messbaren Viren im Blut deutlich zurück. Doch heilen konnte der Therapieversuch keinen Patienten. Am Ende mussten alle wieder Medikamente nehmen.

„Die Studie hat gezeigt, dass die gentherapeutische Veränderung der T4-Zellen für die Patienten kein besonderes Risiko birgt“, sagt Cathomen, „doch die Ergebnisse sind ein wenig enttäuschend.“ Das Problem sei, dass die Zinkfinger-Scheren in den meisten T4-Zellen nur eines der beiden CCR5-Gene aus dem Erbgut schneiden konnten. „Es müssen aber sowohl das mütterlich als auch das väterlich vererbte CCR5-Gen inaktiviert werden, damit die Zellen resistent gegen HIV sind“, sagt Cathomen. Das habe die Studie bestätigt. Dem Patienten, der am besten reagierte, fehlte zufälligerweise bereits eines der beiden CCR5-Gene, so dass die Zinkfinger-Scheren häufig auch das zweite entfernen und viele T4-Zellen HIV-resistent machen konnten.

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