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Wissen und Technik - 26.02.2019

Angela Merkel eröffnet neues Forschungszentrum in Berlin-Mitte

Mit Mini-Organen gegen Krankheiten: In neuen Institutsgebäuden in Berlin Mitte will man sich der Hirnforschung und anderen komplexen Fragen der Biologie widmen.

Klare Linie außen, Komplexität innen. das BIMSB in Berlin Mitte

Er misst nur einen Millimeter – der weißliche, unscheinbar in einer Nährlösung schwimmende Zellhaufen. Doch er stellt einen so wichtigen Fortschritt für die biomedizinische Wissenschaft und ein so zentrales Forschungsobjekt des Berliner Instituts für Medizinische Systembiologie (BIMSB) dar, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel am Dienstagnachmittag bei der Eröffnungsveranstaltung des neuen BIMSB-Gebäudes in Berlin-Mitte einen Blick auf dieses „Hirnorganoid“ werfen soll.

Das BIMSB soll Science Fiction wahr machen

„Grenzen aufbrechen“ soll das Institut, das in den vergangenen drei Jahren für rund 41 Millionen Euro (davon knapp eine Million vom Berliner Senat) auf einem von der Humboldt Universität für einen symbolischen Euro zur Verfügung gestellten Gelände an der Hannoverschen Straße entstanden ist. Diese Philosophie des BIMSB-Gründers und -leiters Nikolaus Rajewsky passt nicht nur zu Berlin, weil das Gebäude neben dem Ort steht, wo zu Mauerzeiten die Bundesrepublik ihre „Ständige Vertretung“ hatte.

Aus Hautzellen von Patienten lassen sich erst Stammzellen und daraus dann „Miniatur-Gehirne“ züchten, sogenannte „Hirnorganoiden“…

In Rajewskys Forscherwelt sind es vor allem die Grenzen zwischen den Disziplinen, die es zu überwinden gilt. Denn es brauche Zusammenarbeit von Biochemikern ebenso wie Zell- und Molekularbiologen mit Experten für die Analyse großer Datenmengen oder Nanotechnologen, um technische Realität werden zu lassen, was vor einigen Jahren noch Science Fiction war: jede einzelne der Abermillionen Zellen eines Organs wie Hirn oder Leber separat untersuchen zu können.

Den Zellen bei der Arbeit zuschauen

Tatsächlich können die rund 250 Forscher des BIMSB inzwischen – im Labor – genau das. Sie können ein Gewebe zu einem beliebigen Zeitpunkt – etwa wenn es zu erkranken droht – in einzelne Zellen „auflösen“ und mit modernen Erbgutsequenziermethoden nachschauen, welche Gene in diesem Moment aktiv waren. „Wir schauen den Zellen gewissermaßen bei der Arbeit zu, also wie sie im Erbgut, im Buch des Lebens lesen – und das simultan für Millionen von Zellen“, sagt Rajewsky.

Dabei fallen massenhaft Daten an, weshalb das neue Gebäude nicht nur Labors, sondern auch viel Platz für Computerarbeitsplätze für die Datenanalyse bietet. „Wir wollen lernen und dann vorhersagen können, wie sich eine Zelle im Verlauf einer Erkrankung verändert.“ Diese massenhafte „Einzelzellsequenzierung“ kürte das Fachjournal „Science“ als einen der technischen Durchbrüche des Jahres 2018 – und damit auch die Entwicklungsarbeit der BIMSB-Wissenschaftler, die nun vom Standort des Max-Delbrück-Centrums in Buch nach Mitte ziehen.

Aus Haut mach Hirn

Dort wird die Bundeskanzlerin beobachten, wie die Forscher Tausende von Zellen durch feine Kanäle schleusen, um dann die darin enthaltenen Erbgutmoleküle zu sammeln und zu analysieren. Das Miniaturgehirn, das auch auf diese Art untersucht wird, ist eine Replik des Gehirns eines Patienten – gewonnen aus dessen Hautzellen, die erst in Stammzellen verwandelt und dann zu Hirngewebe weiterentwickelt wurden – alles im Labor. „Die Zellen dieser Miniaturgehirne funktionieren wie die eines echten Gehirns, aber natürlich ohne Sinneswahrnehmung“, sagt Rajewsky.

Das Besondere sei, dass die Zellen des Minihirns das gleiche Erbgut wie der Patient enthalten – also auch Genmutationen, die Krankheiten auslösen oder dazu beitragen. „Wir können mit Hilfe der Organoidforschung jetzt schon sehen, das Krankheiten wie etwa Alzheimer, die allgemein als Alterskrankheiten gelten, sich schon viel früher bemerkbar machen, als wir das bisher gedacht haben“, sagt Rajewsky. Der Vorteil der Hirnorganoide sei, dass sie genutzt werden können, um zu überprüfen, welche Genveränderungen krank und welche gesund machen. „Wir können in Zellen der Hirnorganoide Gene verändern, um zu sehen, ob wir dadurch die Krankheit in den Griff bekommen oder wie das Gehirn darauf reagiert.“

Organoide für maßgeschneiderte Therapien

Womöglich könnten Organoide von wichtigen menschlichen Organen künftig viele Tierversuche in der biomedizinischen Grundlagenforschung ersetzen. „Die Frage, wie weit wir mit Organoiden kommen können, ist daher zentral“, sagt Martin Lohse, Vorstandsvorsitzender und Wissenschaftlicher Vorstand des Max-Delbrück-Centrums, zu dem das BIMSB auch nach dem Umzug nach Mitte weiterhin gehört. „Noch sind Hirnorganoide eine recht unvollkommene Darstellung des Gehirns, sodass die Hoffnung zwar groß, aber Bescheidenheit nötig ist.“ Auf das Erforschen von Modellorganismen könne man also noch nicht verzichten, eine wichtige Aufgabe des BIMSB sei aber, die Organoid-Technologie weiterzuentwickeln und ihre Anwendungsmöglichkeiten auszuloten.

Eine Wendeltreppe in DNA-Optik verbindet die Etagen im neuen BIMSB-Institut.

Derweil werden die BIMSB-Forscher auf bewährte Modellorganismen zurückgreifen, darunter Fliegen (Drosophila melanogaster), Würmer (Caenorhabditis elegans) und Zebrafische (Danio rerio). „Der Vorteil der Fliege ist: Sie fliegt“, sagt Lohse. „Das ist ein komplexer Organismus, der funktioniert, wovon man bei den künstlich geschaffenen Organoiden noch nicht unbedingt ausgehen kann, etwa was die Vergleichbarkeit mit der Situation im Menschen betrifft.“

Nichtsdestotrotz werden manche Organoid-Systeme bereits nicht nur für Forschungszwecke sondern für eine verbesserte, maßgeschneidertere Therapie genutzt: „In den Niederlanden werden etwa Organoide von Patienten hergestellt, um daran im Labor die Behandlungsmethode zu testen und jene zu finden, die am besten wirkt“, sagt Rajewsky. Mit dem BIMSB, das eng mit der Charité zusammenarbeiten will, könnte diese „Science Fiction“ auch für Berliner Patienten bald Realität werden.

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