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Politik - 25.10.2018

Wie Riad Kritiker verfolgt: Khashoggi ist nicht der Einzige

Kronprinz Mohammed bin Salman geht mit harter Hand gegen Andersdenkende vor.

Von Maria Schütte


Die Tötung des Journalisten Khashoggi zeigt, wie das saudische Königshaus mit Kritikern umgeht. Wer protestiert, dem droht die Haft oder Schlimmeres. Hinrichtungen finden öffentlich statt – mit dem Schwert.

In einer Dezembernacht 2015 greifen saudische Einsatzkräfte zu. Sie nehmen die schiitische Menschenrechtsaktivistin Israa al-Ghomgham fest. Seitdem sitzt sie in einem saudi-arabischen Gefängnis. Laut Human Rights Watch werden ihr unter anderem ein Aufruf zum Protest, Singen von regimefeindlichen Slogans und moralische Unterstützung von Demonstranten vorgeworfen. Am Sonntag soll das Urteil fallen. Ihr droht die Enthauptung.

Nicht erst der mutmaßliche Mord an dem regierungskritischen Journalisten Khashoggi zeigt, wie katastrophal die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien ist. "Kritik am Königshaus, Staat oder Geistlichen Rat wird unter Strafe gestellt und schon im Keim erstickt. Friedliche Aktivisten und Andersdenkende werden inhaftiert und zu hohen Haftstrafen verurteilt", sagt Regina Spöttl von Amnesty International Deutschland n-tv.de.

Die Beispiele für Menschenrechtsverletzungen in dem Land sind zahlreich und brutal zugleich. Der saudi-arabische Blogger Raif Badawi sitzt seit mehr als sechs Jahren hinter Schloss und Riegel. In seinem Blog hatte er kritisiert, wie hart die strenge Auslegung des Islam durchgesetzt wird. 2014 wurde er wegen "Beleidigung des Islam" zu zehn Jahren Haft, tausend Peitschenhieben und einer Geldstrafe verurteilt.

"Es ist nicht so, dass die in Haft sitzenden Menschen gegen den König und die Monarchie sind. Auch Jamal Khashoggi hat immer wieder betont, dass er nichts gegen die Staatsform Monarchie habe, aber mehr Freiheiten für die Bürger möchte", sagt die Saudi-Arabien-Expertin Spöttl. "Die meisten Dissidenten dürfen gar nicht ausreisen, sondern werden schon in Saudi-Arabien mundtot gemacht." Wie viele politische Häftlinge es gibt, kann Amnesty International nur schätzen. Die Organisation geht von mehreren Tausend Gefangenen aus. 

Öffentliche Hinrichtungen sind üblich

Auf diesem Platz vor dem Gebäude der Religionspolizeibehörde in Riad werden Verurteilte mit dem Schwert hingerichtet.

Auch die Todesstrafe ist in dem autoritären Königreich üblich – wobei Henker den Verurteilten mit einem Schwert öffentlich den Kopf abschlagen. Im vergangenen Jahr zählte Amnesty International 154 Hinrichtungen, in diesem Jahr bereits 108. Seit 2014 gab es nach Angaben von Human Rights Watch mehr als 600 Exekutionen.

"Die Zahl der Hinrichtungen pro Jahr hat sich zuletzt immer weiter erhöht. Die Todesstrafe steht nicht nur auf schwere Verbrechen wie Mord, sondern auch auf Drogenhandel, Ehebruch, Hexerei und Apostasie – also den Abfall vom islamischen Glauben", so Spöttl. "Obwohl Saudi-Arabien die UN-Kinderrechtskonvention unterzeichnet hat, sitzen derzeit mindestens vier junge Männer in der Todeszelle, die zur Tatzeit noch minderjährig waren." Wer hingerichtet wird, sei willkürlich. Es gebe keine fairen Gerichtsverfahren. Der Sonderstrafgerichtshof greife sogar bei Beweismitteln auf "Geständnisse" zurück, die unter Folter zustande gekommen sind.  

Die Menschenrechtslage hat sich Spöttl zufolge schon 2011 im Zuge des Arabischen Frühlings verschlechtert. Gleiches beobachtet sie seit 2017, seitdem König Salman seinen Sohn Mohammed bin Salman zum Kronprinzen ernannt hat. Der Thronfolger, der lange auch im Westen als Reformer gepriesen wurde, greift kompromisslos durch. Er baut sein Land in eine klassische Diktatur um, wie Politikwissenschaftler Jochen Hippler n-tv.de sagt. Wer politisch Einfluss nehmen will, dem droht Haft. Das haben nicht nur Frauenrechtler, Religionsgelehrte, Journalisten, Wissenschaftler oder Geschäftsleute erfahren.

Auf die politischer Bühne trat Mohammed bin Salman bereits 2015. Mit dem Wohlwollen seines Vaters häufte er viel Macht an. Als Verteidigungsminister ließ er den Jemen-Krieg eskalieren und ist für den Tod Tausender Zivilisten durch Bombardements verantwortlich. "Unter der Leitung von Saudi-Arabien wird der Jemen seit dreieinhalb Jahren systematisch zerbombt und zerstört. Mohammed bin Salman hat sogar Blockaden zu Land, zu Wasser und in der Luft angeordnet, die verhinderten, dass Hilfsgüter, Medikamente und vor allem Impfstoffe gegen die ausgebrochene Cholera ins Land kamen", berichtet Spöttl. Zudem gilt der Kronprinz als Initiator der Blockade gegen Katar, die die Region seit dem vergangenen Jahr unter Hochspannung setzt.

Frauen brauchen männlichen Vormund

Als Teil seiner Reformagenda erlaubt Kronprinz Mohammed bin Salman Frauen zwar seit Juni das Autofahren. Aber noch im Mai wurden Frauen verhaftet, die sich dafür eingesetzt haben. "Sie befinden sich ohne Anklageerhebung und Gerichtsverfahren in Haft", so Spöttl. Von einer Gleichberechtigung ist das streng muslimische Land noch weit entfernt. Frauen sind viel weniger wert als Männer.

"Das liegt vor allem an dem Vormundschaftsgesetz, das in Saudi-Arabien immer noch vorherrscht. Eine Frau wird demnach nie voll geschäftsfähig. Sie kann zwar Kleinigkeiten selbst erledigen, aber wenn sie heiraten, studieren oder ins Ausland reisen möchte, muss ihr 'Beschützer' das genehmigen", erklärt Spöttl. Diese Rolle kann der Ehemann, Vater, Bruder, Onkel oder Sohn einnehmen.

Die bekannte saudische Aktivistin Manal al-Scharif schrieb vor einigen Tagen bei Twitter: "Das erste Mal in meinem Leben habe ich keine Hoffnung mehr auf ein besseres Saudi-Arabien." Sie sei dankbar, dass sie die Region rechtzeitig verlassen konnte. Mittlerweile lebt sie in Australien. Im Sommer 2011 hatte sie sich in Saudi-Arabien ans Steuer eines Autos gesetzt und war bei laufender Kamera losgefahren. Dafür musste sie neun Tage in Haft – und wurde zu einer Ikone des Widerstands.

"Kämpft nicht gegen das System, habt keine Hoffnung, äußert nicht eure Meinung, träumt nicht, atmet nicht, geht einfach", rät Manal al-Scharif nun ihren Landsleuten. "Wir hatten schließlich Hoffnung wegen des selbst ernannten Reformers", doch dies habe sich als "großer und unrealistischer Traum" herausgestellt.

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