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Politik - 27.10.2018

Was Hessen mit der GroKo macht: Schicksalswahl für Merkel – wirklich?

Volker Bouffier und Angela Merkel. Welche Folgen hat sein Abschneiden in Hessen für ihre Kanzlerschaft.

Von Benjamin Konietzny


Welche Folgen hat die Landtagswahl in Hessen für die GroKo, für CDU-Chefin Merkel? Die meisten Risiken dürften kalkulierbar sein. Ein Unsicherheitsfaktor bleibt jedoch.

Schicksalswahl, schon wieder. Seit Wochen wird die Landtagswahl in Hessen von Kritikern der Bundeskanzlerin zum Anlass genommen, ihr politisches Ende herbei zu prophezeien. Ähnlich war es schon vor zwei Wochen in Bayern: Schicksalswahl. Bei einem schlechten Abschneiden könne Parteichef Horst Seehofer seinen Hut nehmen, Ministerpräsident Markus Söder möglicherweise auch noch, hieß es, das bayerische Beben werde bis Berlin spürbar sein. Natürlich ist die CSU abgestraft worden. Doch so schicksalhaft war es dann doch nicht: Seehofer und Söder sind noch im Amt, höchstwahrscheinlich kommt eine Koalition mit den Freien Wählern.

Und die Bundeskanzlerin? Sie wirkt nach dem Votum im Freistaat sogar eher gestärkt. War doch das Ergebnis ein Warnschuss in Richtung ihres Kritikers Seehofer und seiner Getreuen. Sie befinden sich in der Defensive. Zudem scheint eine Erkenntnis aus der Wahl zu sein: Der Rechtsruck der CSU hat nicht funktioniert, die Partei verliert mit diesem Verhalten mehr Wähler als sie der AfD abzuringen vermag. All jene, die fordern, die Union müsse versuchen, Stimmen von den Rechtspopulisten zurückzuholen, dürften es argumentativ künftig schwerer haben. Beides ist ganz in Merkels Sinn.

Bewertet wird bei der Wahl in Hessen zunächst einmal die Arbeit der schwarz-grünen Landesregierung von Volker Bouffier und Tarek Al-Wazir. Bewertet wird die Hessen-CDU, die ihr Image vom konservativen Hardliner-Landesverband über Bord geworfen hat und bewertet werden die Grünen, die in den vergangenen fünf Jahren Regierungsarbeit vielleicht mehr Kompromissbereitschaft und Pragmatismus bewiesen haben, als man ihnen zugetraut hätte. Die CDU wird für ihre Wandlung abgestraft, die Grünen vom Wähler belohnt. Und darüber hinaus mögen auch bundespolitische Themen dem Ergebnis eine Tendenz geben.

Ja, das Raunen über ein baldiges politisches Ende Merkels ist in den vergangenen Monaten innerhalb der Union deutlicher geworden. Und vor der Wahl in Hessen schwillt es weiter an. Sollte Ministerpräsident Bouffier sein Amt abgeben müssen, könnte es noch vor dem Bundesparteitag der CDU einen Aufstand gegen Merkel geben, ist zu hören. Wenn der Grüne Al-Wazir den nächsten hessischen Ministerpräsidenten stellt, glauben manche gar, könnte Merkel aus Parteivorsitz und Kanzleramt gedrängt werden. Entscheidend dafür sei die Klausur des CDU-Vorstands am 4. und 5. November. Die in den vergangenen Jahren geprägten Gesetzmäßigkeiten an der Spitze von CDU und Regierung lassen anderes vermuten: Je drastischer das Szenario, desto unwahrscheinlicher, dass es eintritt.

Wer bietet Merkel die Stirn?

Doch in 13 Jahren Kanzlerschaft und in 18 Jahren an der Spitze der CDU hat Merkel bewiesen, dass sie enormes politisches Überlebenstalent hat und außerdem nicht zu Kurzschlussreaktionen, etwa nach einer Wahlniederlage auf Länderebene, neigt. "Es kann nicht jede Landtagswahl zu einer kleinen Bundestagswahl stilisiert werden", sagt sie auf den letzten Metern des Wahlkampfes in Hessen. Und es ist davon auszugehen, dass sie sich entsprechend verhalten wird.

Frei von Konsequenzen für Merkels Position innerhalb der CDU und an der Spitze der Regierung ist die Wahl natürlich nicht. Wie gesagt, das Raunen nimmt zu, die kritischen Stimmen mehren sich, die Zeichen wurden deutlicher: Im Streit mit Innenminister Seehofer schien ihr die Autorität, das Durchsetzungsvermögen zu fehlen. Dann knallte es plötzlich in der Unionsfraktion: Völlig überraschend löst Ralph Brinkhaus den Merkel-Getreuen Volker Kauder als Fraktionschef ab. Im Dezember wählt die CDU bei ihrem Parteitag einen neuen Vorstand und es gibt zum ersten Mal seit Jahrzehnten überhaupt Gegenkandidaten. Sollte sie die Chance verpassen, der Partei einen Weg aufzuzeigen, wie die Zeit nach ihr aussehen könnte, ist es möglich, dass die Partei sich selbst einen Weg sucht. In einem solchen Fall könnte sich zu den drei Gegenkandidaten Merkels, die allesamt keine realistische Chance haben, die Wahl für sich zu entscheiden, noch ein echtes Partei-Schwergewicht gesellen und Merkel zu einer Kampfkandidatur herausfordern. 

Könnte das klappen? Das müsste jemand sein, der es sowohl wagt, der Kanzlerin die Stirn zu bieten und darüber hinaus das Potenzial hat, auch genug Stimmen zu holen. CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer trauen viele zu, die Nachfolge Merkels antreten zu können. Dass sie, die von der CDU-Chefin persönlich aufgebaut wurde, sich gegen Merkel auflehnt, ist allerdings unwahrscheinlich. Gleiches gilt für Armin Laschet. Merkel-Kritiker und Gesundheitsminister Jens Spahn wäre die Rebellion zuzutrauen, jedoch rechnet kaum jemand damit, dass er genug Stimmen bekommen könnte. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble soll sich vorsichtig selbst als Übergangslösung ins Spiel gebracht haben. Ob er genug Rückhalt hätte – ungewiss. Die längerfristigen Risiken der Hessen-Wahl könnten am Ende also kalkulierbarer sein, als es auf den ersten Blick scheint.

Ein entscheidender Unsicherheitsfaktor Faktor für die CDU bleibt jedoch: das Abschneiden der SPD. So sehr sich darüber spekulieren lässt, welche bundespolitischen Schlüsse die CDU aus der Landtagswahl ziehen könnte, so abweichend könnte das Verhalten der SPD sein. Bei den Sozialdemokraten hat sich die Abwärtsspirale schon einige Umdrehungen weiter hinabgeschraubt und von der Basis bis zur Parteispitze gibt es Gedanken, die GroKo zu verlassen. In der Woche vor dem Votum sagte Parteichefin Andrea Nahles, in den kommenden Wochen nach der Wahl müsse die SPD herausfinden, ob CDU und CSU in der Lage sind, zu einer verlässlichen Sacharbeit in der Koalition zu finden." Und weiter: "Das Unheil in der Koalition kam und kommt nicht aus der SPD." Sogar die Parteichefin stellt die Koalition infrage.

Es kommt ganz darauf an, wie SPD-Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel abschneidet. Schafft es die Partei, sich an einer Regierung zu beteiligen, könnte das die Wogen glätten. Fährt sie ein ähnliches Debakel ein, wie in Bayern, dürfte das Konsequenzen haben. Für den Fall einer Niederlage ist ein Sonderparteitag im Gespräch, auf dem eine neue Parteispitze gewählt werden soll. Die SPD-Parteilinken, so ist zu hören, könnten bei ihrer Vorstandsklausur Anfang November einen Forderungskatalog vorlegen, den die Koalition umsetzen muss. Tut sie es nicht, steigt die SPD aus. Ähnlich hat es die FDP 1982 gemacht, als sie aus der Rot-gelben Koalition ausscherte. Es war das Ende der Kanzlerschaft von Helmut Schmidt. Insofern könnte Hessen vielleicht doch zur Schicksalswahl für Merkel werden.

Benjamin Konietzny ist Politik-Reporter bei n-tv.de.

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