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Politik - 19.11.2018

Mahner für die Mutlosen: Macron umwirbt die Deutschen

Emmanuel Macron und Angela Merkel sind zwar begeisterte Europäer – doch über die Zukunft der EU gehen die Vorstellungen auseinander.

Von Judith Görs


Im Bundestag präsentiert sich Frankreichs Präsident Macron als furchtloser Reformer – und appelliert an die deutsche Leidenschaft für Europa. Auch die Kanzlerin applaudiert. Geht es jedoch ins Detail, kann von Einigkeit kaum die Rede sein.

Es ist selten, dass ein Redner im Deutschen Bundestag stehenden Beifall erhält. Emmanuel Macron schafft das am Sonntag gleich bei seinem ersten Besuch – unter anderem mit einem Zitat von Goethe. "Und so, über Gräber vorwärts", sagt der französische Präsident in seiner Rede zum Volkstrauertag. Hundert Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs sei aus dem einstigen Schlachtfeld Europa ein gemeinsames Projekt geworden. Allerdings ist es eines mit ungewisser Zukunft; auch dies betont Macron. Was er nicht laut sagt, ist, wem er dafür eine Mitschuld gibt. Deutschland. Doch manchmal klingt sie an – die Ungeduld, die das Zögern des wichtigsten französischen EU-Partners bei ihm hervorruft. Europa stehe am Scheideweg, erklärt Macron, und taste sich dennoch mit der Berührungsangst eines Anfängers voran. Ein Seitenhieb, der auch an den deutschen Finanzminister gerichtet sein könnte.

Nur wenige Stunden vor dem Besuch des Franzosen in Berlin erteilte Olaf Scholz einer der drängendsten Forderungen Macrons – der Digitalsteuer – eine erneute Absage. Frankreich will Onlineriesen wie Amazon, Google oder Facebook stärker besteuern. Weil sie ihre Firmensitze nicht innerhalb der EU haben, müssen sie bisher kaum Abgaben zahlen. Das soll sich ändern. Wer in Europa gut verdient, soll auch in Europa besteuert werden. Drei Prozent Umsatzsteuer sieht ein Gesetzesvorschlag der EU-Kommission deshalb für Digitalunternehmen vor. Doch die deutsche Regierung fürchtet den Unmut von US-Präsident Donald Trump. Immerhin beträfe die Steuer vor allem amerikanische Unternehmen – und im Handelsstreit mit der EU herrscht derzeit bestenfalls ein Burgfrieden. Mögliche US-Sanktionen gegen deutsche Autobauer will Scholz nicht riskieren. Also tritt er bei der Digitalsteuer auf die Bremse.

Entsprechend genervt fallen die Reaktionen im Élysée-Palast auf das deutsche Zaudern aus. Schluss sein müsse nun mit dem deutschen "Palavern" und den Vorwänden, forderte zuletzt Frankreichs Finanz- und Wirtschaftsminister Bruno Le Maire in einer Wutrede vorm Senat. Nicht nur ihn hat das Warten auf Deutschland mürbe gemacht. Denn die EU-Digitalsteuer ist nicht das einzige deutsch-französische Projekt, das stockt. Der gemeinsame Eurozonen-Haushalt hat zwar mittlerweile einen groben Rahmen. Ein Budget in Höhe von maximal 25 Milliarden Euro, wie es den Deutschen vorschwebt, läge jedoch weit unter Macrons ursprünglichen Vorstellungen. Und auch in der Frage, wie eine Europaarmee aussehen soll, gibt es bislang kaum Konkretes. Frankreichs Präsident dürfte also mit einem vollen Zettel nach Berlin gefahren sein.

Keine Zeit zu verlieren

Und den will er endlich abarbeiten. Zumindest langfristig ist mit Merkel jedoch kein Staat mehr zu machen. Ihre Kanzlerschaft geht zu Ende – und wer gemeinsame Initiativen auf europäischer Ebene durchboxen will, braucht einen sehr langen Atem. Macron wird deshalb versuchen, zumindest die akuten Fragen zu klären. Stichwort Brexit: Bei einem Sondergipfel am 25. November sollen die europäischen Staats- und Regierungschefs geschlossen für den mühsam ausgehandelten EU-Austrittsvertrag mit Großbritannien, der auf der Insel zum innenpolitischen Ausnahmezustand geführt hat, stimmen. Zu weiteren Zugeständnissen an die Briten ist Macron nicht bereit. Lieber keinen Deal als einen schlechten, hatte er zuletzt erklärt. Zumindest in dieser Frage liegt er mit Merkel einigermaßen auf Linie.

Mitte Dezember muss der Europäische Rat zudem den EU-Haushaltsplan ab 2021 beschließen – und entscheiden, wie die Finanzierungslücke durch den Brexit kompensiert werden soll. Auch das umstrittene EU-Migrationskonzept steht auf der Agenda. Beides birgt viel Konfliktpotenzial; zumal nationalistische Tendenzen in einigen Mitgliedsstaaten zunehmen. Schon im Bundestag – und auch dort nicht zum ersten Mal – hat Macron klargestellt, dass er mehr Europa will. Nicht weniger. Er möchte, "dass die deutsch-französische Verantwortung besonders groß ist". Wenn er davon spricht, gemeinsam etwas aufzubauen – wenn er über die Energiewende, Migration, Wirtschaft und Innovationen spricht, dann spricht er auch schon Merkels Nachfolger an. Macron will Deutschland mitreißen. Dafür investiert er sehr viel Energie.

Sorge vor der Europawahl

Das ist nicht ganz so heroisch, wie es zunächst klingt. Unter der Symbolik der großen Gesten schlummert auch im Falle von Macron die Angst vorm politischen Untergang. Denn während er sich im Bundestag beklatschen lässt, empören sich die Franzosen daheim über die geplante Erhöhung der Benzinsteuer. Bei landesweiten Protesten starb am Wochenende eine Frau. Längst kann der Präsident seine radikalen innenpolitischen Reformen nicht mehr mit seiner glühenden Euphorie für Europa kompensieren. In einer Umfrage des Instituts Ifop im Auftrag der Sonntagszeitung "Journal du Dimanche" ist seine Zustimmungsrate auf 25 Prozent gesunken – ein neuer Tiefstand. Mehr als jeder dritte Franzose ist demnach "sehr unzufrieden" mit Macron.

Seine Auftritte als Staatsmann auf großer Bühne – sie hinterlassen, wenn überhaupt, nur noch kurzfristig einen Eindruck bei den Wählern in Frankreich. Und auch dort wird im kommenden Mai ein neues Europaparlament gewählt. Macrons stärkste Gegner sind dann die französischen Nationalisten. Sie liegen einer Umfrage des Instituts Elabe aktuell sogar vor seiner Partei La République en Marche. Dem Präsidenten läuft also die Zeit davon. Will er verhindern, dass der europäische Gedanke auch im eigenen Land langsam durch Wut und Isolationismus abgelöst wird, muss er greifbare Erfolge vorweisen. Allein mit ein bisschen mehr "German Mut" ist es nicht getan. Und selbst darauf kann Macron derzeit nur hoffen.  

Judith Görs ist Redakteurin und Chefin vom Dienst am Newsdesk von n-tv.de und berichtet für die Politik vor allem über Frankreich.

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