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Politik - 10.11.2018

Levit macht Stimmung bei Grünen: „Lügner dürfen Europa nicht in den Müll treten“

Der Pianist Igor Levit ist der Stargast zur Eröffnung des Grünen-Parteitages.

Von Issio Ehrich, Leipzig


Der Starpianist Igor Levit tritt auf dem Parteitag der Grünen auf. Sein Besuch ist kurz, aber prägnant. Levit setzt auf Bach und Beethoven – und ein paar schrille Töne, um mit AfD und Horst Seehofer abzurechnen.

Auf dem Parteitag der Grünen trifft ein Schriftsteller auf einen Pianisten – und trotzdem ertönen auch schrille Töne. Denn beide sind durch und durch politische Wesen. Robert Habeck, der Autor, der zum Grünen-Chef wurde, empfängt den Musiker Igor Levit, der für seine scharfzüngigen Kommentare fast so bekannt ist wie für sein brillantes Klavierspiel.

Levit nutzt die Parteitagsbühne für Sätze wie diesen: "Ich lasse nicht zu, dass Europa von lügenden Spaltern in den Müll getreten wird." Er spricht von "schreienden, feigen Parteien" und von Politikern, die nicht einmal den Mumm haben, 15 Minuten zu dem "Blödsinn" zu stehen, den sie gerade gesagt haben. Und er spricht vom Hass, der durch Europa wabert. In der Leipziger Messehalle ist allen klar, wen der Starpianist da kritisiert: die Rechtsradikalen und Rechtspopulisten in Europa, die AfD und die CSU in Deutschland. Der Auftritt des Starpianisten bei den Grünen ist kurz, aber prägnant. Und das nicht nur wegen der paar schrillen Töne, sondern auch wegen der nachdenklichen.

"Was macht es mit dir, wenn Leute fordern, den Begriff 'Völkisch' wieder in den Sprachgebrauch aufzunehmen?", fragt Habeck. "Es verletzt mich zutiefst", antwortet Levit. Levit ist Jude, er kam 1987 im heutigen russischen Nowgorod zur Welt. Seine Familie emigrierte als er acht Jahren alt war nach Deutschland. Er erinnere sich noch gut, wie er sich an seinem ersten Tag in der Grundschule vornahm, besser Deutsch zu sprechen als alle seine Klassenkameraden, sagt Levit.

Grünen-Chef Habeck (r.) und Levit sprechen über Antisemitismus.

Jahre später plötzlich von Politikern daran erinnert zu werden, immer noch der Migrant zu sein, schmerze. Wie ein "zweiter Stich ins Herz" sei es, wenn ihn Wohlgesinnte damit besänftigen wollen, dass er doch gar nicht explizit gemeint sei. "Ich muss nicht darauf warten, bis einer sagt: 'Die Juden sind die Mutter aller Probleme'", sagt Levit und greift CSU-Chef Horst Seehofer direkt an. Der hatte die Migration zur "Mutter aller Probleme" erklärt. "Wenn einer angegriffen wird, werden wir alle angegriffen", sagt Levit.

Der Wunsch nach einer "richtig" linken Partei

Auf Grünen-Parteitagen ist es üblich, dass nicht nur Politiker zu Wort kommen. Sie pflegen Auftritte von Stimmen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Gesellschaft und Kultur. Auf dem Parteitag Ende 2017 etwa waren der Chef des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung Hans-Joachim Schellnhuber da und auch die Berliner Jüdin und Holocaust-Überlebende Hanni Lévi. 2016 war unter anderem Daimler-Chef Dieter Zetsche bei den Grünen, 2013 hatten Flüchtlinge aus Afrika auf der Bühne gestanden, die über das Mittelmeer nach Europa geflüchtet waren.

Levit gilt als Ausnahmepianist. Und das nicht nur musikalisch. Er sticht unter seinen Kollegen auch hervor, weil er keinen Hehl aus seinen politischen Überzeugungen macht. Insbesondere bei klassischen Musikern, ist das sehr selten. Zu seinen Überzeugungen gehört vor allem sein Widerstand gegen Rassismus, Frauenfeindlichkeit und soziale Ungerechtigkeit. 

Levit ist dabei nicht nur ein Musiker, der sich auch politisch äußert, für ihn gehören Musik und Politik zusammen. Bei den Grünen spielt er den letzten Satz von Beethovens Neunter Sinfonie – die "Ode an die Freude", die Hymne der Europäischen Union. Im Gespräch mit Habeck zitiert er aus dem Text zum Stück. "Alle Menschen werden Brüder", heißt es da. "Das ist keine romantische Verklärung, sondern ein andauernder Arbeitsauftrag an uns alle", sagt Levit.

In der Vergangenheit setzte Levit noch plakativere musikalische Statements, als er Werke von Beethoven und Bach mit Variationen über südamerikanische Revolutionslieder paarte. Dass die Grünen auf die Idee kamen, ihn zum Parteitag zu laden, hat auch daran gelegen haben, dass Levit äußerst aktiv bei Twitter für seine Haltungen eintritt. Täglich setzt er in der Regel mehrere Kurznachrichten ab. Er macht sich darin über die Konservativen Jens Spahn und Erika Steinbach lustig, echauffiert sich über US-Präsident Donald Trump und sehnt sich öffentlich nach einer "richtig" linken Partei in Deutschland. Zugleich macht er aus einer gewissen Sympathie für die Grünen, die zuletzt eher in die Mitte gerückt sind, trotzdem kein Geheimnis. 

Grünen-Chef Habeck inspiriert der Besuch Levits offensichtlich zum Philosophieren: "Die Seele des Klaviers ist der Künstler, der es politisch zum Klingen bringt", sagt er und bittet Levit noch etwas zu spielen. Levit gibt Bachs Aria aus den Goldberg-Variationen. Er beschreibt das Stück als "etwas nicht in Worte zu fassendes Humanes".

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