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Politik - 29.10.2018

„Brasilien über alles“: Rechter Bolsonaro kommt an die Macht

Jair Bolsonaro: Ex-Militär, ultrarechts, neuer Präsident von Brasilien.

Von Roland Peters, Rio de Janeiro


Vom verspotteten Hinterbänkler zum Präsidenten: Der Ultrarechte Jair Bolsonaro geht in Brasilien als klarer Gewinner aus der Stichwahl hervor – trotz offen rechtsradikaler Rhetorik. Zehntausende Anhänger feiern seinen Sieg.

Radikale politische Wende in Brasilien: Der ultrarechte Jair Bolsonaro hat die Stichwahl um die Präsidentschaft des südamerikanischen Landes deutlich gewonnen. Der 63-Jährige kam in der entscheidenden zweiten Runde auf 55,5 Prozent der abgegebenen Stimmen und lag damit klar vor seinem linken Konkurrenten Fernando Haddad von der Arbeiterpartei, Partido do Trabalhadores (PT). Bolsonaros radikale Rhetorik mit Ausfällen über Homosexuelle, Frauen und Schwarze hielt die Brasilianer nicht davon ab, ihren Frust über die Wirtschaftskrise, Korruptionsskandale und die PT an der Urne auszulassen.

Als Folge wird die größte Wirtschaftsmacht Lateinamerikas bald von einem Rechten regiert; ein ehemaliger Hinterbänkler, der lange Zeit verspottet worden war. Einer seiner Berater war der umstrittene US-Strippenzieher Steve Bannon, der schon Donald Trump ins Weiße Haus verhalf und lange das rechtspopulistische Nachrichtenportal Breitbart steuerte. Der unterlegene Haddad warf den Anhängern Bolsonaros vor, während des Wahlkampfs unter anderem über Whatsapp massiv Falschinformationen zu Lasten der Arbeiterpartei und zu Gunsten Bolsonaros verbreitet zu haben. Die Wahlbeobachter der Organisation amerikanischer Staaten (OAS) erklärten, die Verbreitung falscher Informationen habe im brasilianischen Wahlkampf ein "nie gesehenes Ausmaß" angenommen.

Kaum waren die ersten Auszählungen veröffentlicht, kam es auf den Straßen von Rio de Janeiro und São Paulo, wo Bolsonaro deutlich gewann, zu Jubelszenen. An der Copacabana in Rio fuhren über Stunden hinweg Anhänger des brasilianischen Rechtsaußens hupend in ihren Autos die Uferstraße entlang. In brasilianische Fahnen gehüllt feierten Zehntausende Anhänger Bolsonaros vor dessen Haus am Strand von Barra da Tijuca und zündeten Feuerwerk.

Im Inneren seines Hauses saß der künftige Präsident gemeinsam mit seiner Frau vor der Kamera und streamte seine ersten Reaktionen ins Netz. Vor ihm lagen eine Bibel, die brasilianische Verfassung und eine Biographie von Winston Churchill. Bolsonaro sagte, Brasilien könne nicht weiter mit "Sozialismus, Kommunismus, Populismus und linkem Extremismus flirten". Es klang wie eine Drohung. Vor der Stichwahl hatte er eine "Säuberung, wie sie in Brasiliens Geschichte noch nie vorgekommen ist" angekündigt. Seine Kritiker werde er, so Bolsonaro, ins Gefängnis stecken oder ins Exil treiben.

In der Nacht nach der Stichwahl stimmte der designierte Präsident Brasiliens ganz andere Töne an: Als er in schusssicherer Weste vor seinen Wohnsitz trat, las er zum Erstaunen vieler Beobachter eine versöhnliche Siegesrede vom Blatt ab. Darin rief er zu nationaler Einigkeit auf und versprach, den "Lehren Gottes nebst Verfassung" folgend zu regieren, sowie Demokratie und Freiheit zu verteidigen.

Tötungen erleichtern

Brasilien stehen dennoch unruhige Zeiten bevor. Bolsonaro will das Land seinen Worten zufolge von internationalen Beziehungen "befreien" und stattdessen auf bilaterale Handelsbeziehungen setzen. Bolsonaro hatte im Wahlkampf die Überlegung geäußert, wie die USA aus dem Pariser Klimaabkommen auszusteigen. Er plant zudem, das Umwelt- und das Landwirtschaftsministerium zu vereinen. Deren Interessen sind häufig gegensätzlich, insbesondere im Amazonas-Gebiet. Bolsonaro schloss seine Rede mit: "Brasilien über alles, Gott über allen." Danach schloss er seine Augen, nahm seine Frau Michelle und einen Prediger an die Hand, der ein Gebet sprach.

Um die Gewalt im Land in den Griff zu bekommen – im vergangenen Jahr starben mehr als 63.000 Menschen in Brasilien eines gewaltsamen Todes – will Bolsonaro es der Polizei erleichtern, Kriminelle zu erschießen. "Ein Polizist, der nicht tötet, ist kein Polizist", sagte er einmal. Im vergangenen Jahr töteten Einsätzkräfte über 5000 Menschen. Bolsonaro will zudem mehr Privatpersonen das Tragen von Waffen erlauben. Das Mindestalter für Gefängnisstrafen will er von 18 Jahre auf 16 Jahre absenken.

Zugleich will Bolsonaro das Bildungssystem autoritärer gestalten. Ein General soll Bildungsminister werden, zudem plant der künftige Präsident neue Militärschulen. Er hat auch angekündigt, die Lehre von feministischen Ideen, Geschlechter- und Rassengleichheit in den Schulen verbieten zu wollen. Bolsonaro ist ein ausgesprochener Anhänger der Armee. Er selbst war Fallschirmjäger. Von 18 Mitgliedern seines Schattenkabinetts sind sechs Generäle. Die Militärdiktatur von 1964 bis 1985 nannte er einen "sehr guten Abschnitt" der brasilianischen Geschichte.

Bolsonaros Wirtschaftsprogramm wirkt dagegen in Teilen neoliberal. Mit Privatisierungen von bis zu 141 Staatsunternehmen, darunter auch der Ölkonzern Petrobras, will er 700 Milliarden Dollar einnehmen. Damit könnte er sein Versprechen finanzieren, das Rentenalter bei Männern auf 61 Jahre und bei Frauen auf 56 Jahre zu senken. Die Privatisierungsagenda soll der als Wirtschaftsminister vorgesehene Paulo Guedes umsetzen, ein Neoliberaler der Chicagoer Schule. Als erster künftiger internationaler Amtskollege gratulierte Chiles marktliberaler Präsident Sebastián Piñera per Twitter. Die sogenannten Chicago Boys hatten in Chile unter dem Militärdiktator Augusto Pinochet in den 1970er 1980er Jahren ähnlich radikale Reformen durchgeführt. US-Präsident Trump rief direkt an. "Es war ein sehr freundschaftliches Gespräch", ließ Bolsonaro wissen.

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