Home Politik Abrechnung mit Berlin in Hessen: Ist die GroKo wirklich so ein Flop?
Politik - 27.10.2018

Abrechnung mit Berlin in Hessen: Ist die GroKo wirklich so ein Flop?

Woran liegt’s? Union und SPD haben durchaus Erfolge bei ihrer Zusammenarbeit vorzuweisen – nur spricht kaum jemand darüber.

Von Benjamin Konietzny


Bei der Hessen-Wahl droht der CDU auch ein Denkzettel für ihre Arbeit auf Bundesebene. Mit der sind viele Menschen unzufrieden. Doch liegt die Große Koalition tatsächlich nur im Dauerstreit – oder gibt es auch inhaltliche Erfolge?

Als die CSU bei der Bayernwahl vor rund zwei Wochen ihr schlechtestes Ergebnis seit über 60 Jahren einfuhr, schien eine von vielen Ursachen für die Schlappe schnell ausgemacht: Es war nicht nur ein Denkzettel für die CSU, sondern auch für die Große Koalition in Berlin. Am Sonntag wird in Hessen gewählt und laut Prognosen könnte die CDU dort um rund zehn Prozent abstürzen. Auch das könnte das schlechteste Ergebnis bei einer Landtagswahl seit den 60er-Jahren bedeuten. Der Reflex dürfte folgen: Das Ergebnis der Hessen-Wahl ist auch ein Zeugnis für die schlechte Arbeit der Großen Koalition im Bund.

Michael Grosse-Brömer

Doch ist die Zusammenarbeit von SPD und Union wirklich so schlecht? Oder verfälschen die öffentlich ausgetragenen Differenzen zwischen Merkel und Seehofer, zwischen Union und SPD, die Personaldebatten, das Bild einer inhaltlich eigentlich erfolgreichen Arbeit? "Wir haben eine erhebliche Zahl von Gesetzesvorhaben schon durchgesetzt und werden weiter liefern", sagt der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Michael Grosse-Brömer. Aus seiner Sicht gibt es aber ein Problem: "Es spricht kaum jemand darüber."

Stimmt das, was Grosse-Brömer sagt? Um eine gemeinsame Gesundheitspolitik beispielsweise haben die Parteien in den Koalitionsverhandlungen Anfang des Jahres bis zuletzt gerungen. Und auch wenn sich die SPD am Ende mit ihrer Forderung nach einer Bürgerversicherung nicht durchsetzen konnte, stehen im Vertragswerk ehrgeizige Ziele. Was ist daraus geworden? Das Pflegeberufegesetz etwa hat den Bundestag schon passiert. Es soll die Ausbildung in Gesundheitsberufen reformieren und tritt nächstes Jahr in Kraft. Ab 2020 sollen Azubis im Gesundheitswesen ihre Ausbildung nicht mehr selbst zahlen müssen. Erst vergangene Woche hat der Bundestag einem Gesetz zugestimmt, das die Parität bei den Krankenkassenbeiträgen wiederherstellt und Arbeitnehmer um bis zu 38 Euro im Monat entlastet, Selbstständige sogar um bis zu 150 Euro.

Thema in den Koalitionsverhandlungen waren auch ehrgeizige Forderungen nach zusätzlichen Stellen in der Pflege. 8000 neue Jobs sollen geschaffen werden, heißt es im Vertrag. Inzwischen wurde diese Zahl nach oben korrigiert – 13.000 sollen es nun werden, maßgeblich bezahlt von den Milliarden-Rücklagen der Gesetzlichen Krankenversicherungen. Derzeit berät der Bundestag das entsprechende Gesetz, die Regierung rechnet damit, dass eine Mehrheit bis Ende des Jahres steht. Auch Ärztehonorare werden im Koalitionsvertrag angegangen. Da sich SPD und Union bei der Angleichung aber nicht einigen konnten, verständigten sie sich auf eine Expertenkommission. Sie hat im August die Arbeit aufgenommen, Ende 2019 sollen die ersten Empfehlungen kommen. Zumindest im Bereich Gesundheitspolitik kann die GroKo also durchaus Ergebnisse vorweisen.

Anerkennung dafür scheint es bei den Wählern jedoch nicht zu geben. Dem ARD-Deutschlandtrend zufolge ist nur ein Prozent der Deutschen "sehr zufrieden" mit der Regierungsarbeit im Allgemeinen, 23 Prozent immerhin "zufrieden". Die überwiegende Mehrheit jedoch, 76 Prozent, sind "weniger zufrieden" oder "gar nicht zufrieden". Und auch wenn im Bereich Gesundheitspolitik durchaus Ergebnisse vorliegen, verteilen die Bürger auch für diesen Politikbereich eindeutige Bewertungen: Nur 32 Prozent geben an: "zufrieden" oder "sehr zufrieden". Die Zustimmungswerte für den zuständigen Minister Jens Spahn liegen ähnlich: 31 Prozent.

"Wir arbeiten jedenfalls nicht im Verborgenen"

Warum funktioniert die Vermarktung der Erfolge nicht? Grosse-Brömer wirkt ein wenig ratlos. "Ich kann kaum verstehen, dass da so wenig drüber gesprochen wird. Das hat direkte finanzielle Auswirkungen für die Menschen, vor allem für Selbstständige mit geringem Einkommen", sagt er über die Entlastungen bei den Krankenversicherungsbeiträgen. Redet die Union vielleicht zu wenig über das Erreichte? "Wir arbeiten jedenfalls nicht im Verborgenen." Grosse-Brömer nennt weitere Beispiele: "Wir haben Tausende neuer Stellen bei der Bundespolizei geschaffen, beim BKA, beim Zoll", zählt er auf. In den kommenden Jahren würden rund fünf Milliarden Euro in den Kita-Ausbau investiert, 13.000 Kilometer neue Autobahnen gebaut und am Ende der Bilanz stehe dennoch ein ausgeglichener Haushalt, die "schwarze Null".

Das Baukindergeld, eine Forderung der CDU in den Koalitionsverhandlungen, scheint sich zu einem Erfolg zu entwickeln – zumindest quantitativ. Knapp ein Monat, nachdem das Förderprogramm an den Start gegangen ist, liegen der zuständigen KfW-Bank eigenen Angaben zufolge rund 25.000 Anträge mit einem Fördervolumen von mehr als 500 Millionen Euro vor. Dennoch hagelte es vor allem Kritik an dem Programm: vom Steuerzahlerbund, von der Opposition, vom Bundesrechnungshof. Unter anderem wurde bemängelt, dass für Familien mit geringem Einkommen ein Eigenheimerwerb überhaupt nicht zur Debatte stehe. Darum sei es bei diesem Vorhaben auch gar nicht gegangen, sagt Grosse-Brömer: "Nicht alles, was wir anpacken, ist Soziapolitik. Man muss auch etwas für Familien in der Mitte der Gesellschaft machen."

Andere Vorhaben sind schwieriger umzusetzen. Ein Gesetzesentwurf für eine Herzensangelegenheit der Sozialdemokraten wurde noch nicht vorgelegt: weniger befristete Arbeitsverträge ohne Sachgrund. Die GroKo hat sich außerdem vorgenommen, den Soli abzuschaffen. Und es gibt weiterhin viele offene Fragen beim Thema Flucht und Migration. Die im Koalitionsvertrag beschlossenen Ankerzentren existieren bisher nur als Pilotprojekte in Bayern. Die nordafrikanischen Staaten zu sicheren Herkunftsländern zu erklären, auch das hatte sich die GroKo vorgenommen, scheitert derzeit am Widerstand der Grünen im Bundesrat. Für ein Zuwanderungsgesetz gibt es bisher nur ein Eckpunktepapier. Und ein Gesetz, das Asylverfahren an Verwaltungsgerichten erleichtern soll, steht noch aus.

Das gefährliche Paradoxon der SPD

Zuwanderung wird vor allem von der größten Oppositionspartei AfD als das drängendste politische Thema stilisiert. Und auch für Innenminister Seehofer scheint das eine Herzensangelegenheit zu sein. "Migration ist zweifelsohne ein sehr wichtiges Thema", sagt Grosse-Brömer. "Aber es bringt nichts, wenn wir nur über Migration sprechen und dabei andere Themen, bei denen wir ganz konkret etwas für die Menschen tun, in den Hintergrund geraten."

Insgesamt wird es der Arbeit von Union und SPD nicht gerecht, sie auf Personaldebatten und Streitereien zwischen Merkel und Seehofer zu beschränken. Auf der anderen Seite zeigt ein Blick nach Hessen, wo am Sonntag nicht nur die CDU ein Zeugnis für ihre Arbeit im Bund erhalten wird, wie es auch gehen kann. Die schwarz-grüne Koalition in Wiesbaden hat in den vergangenen fünf Jahren fast geräuschlos viele Themen abgearbeitet. Öffentliche Streitereien gab es so gut wie nie. Sollte sich die GroKo daran nicht ein Beispiel nehmen? "Bundespolitik lässt sich mit Landespolitik nicht unbedingt vergleichen. Die Koalition in Hessen hat aber ohne Frage gut und vertrauensvoll zusammengearbeitet", sagt Grosse-Brömer.

Und die Zusammenarbeit mit dem Koalitionspartner SPD im Bund? Der CDU-Politiker beschränkt seine Antwort zunächst auf die Fraktionsspitzen: "Volker Kauder und Andrea Nahles hatten ein gutes Vertrauensverhältnis. Und so, wie ich das bisher sehe, haben Ralph Brinkhaus und Nahles das auch". Wie wirken sich die für die SPD frustrierenden Wahlergebnisse auf die Koalitionsarbeit aus? Ist das spürbar? "Wir merken da schon eine gewisse Nervosität", entgegnet Grosse-Brömer.

Auch der SPD droht in Hessen ein Debakel. Sie könnte von knapp über 30 Prozent bei der vergangenen Wahl auf 20 Prozent abstürzen und damit weiteren Einfluss verlieren. Das dürfte auch daran liegen, dass die Sozialdemokraten seit einer Weile unter einem paradoxen Phänomen leiden. Auf Bundesebene konnte die Partei in der vergangenen Legislaturperiode zentrale Anliegen durchsetzen: Ehe für alle, Mindestlohn, Mietpreisbremse, Frauenquote. Gedankt hat es der Wähler der Partei allerdings nicht. Die Erfolge werden offenbar nicht mehr mit der SPD verknüpft. Der CDU könnte eine ähnliche Entwicklung drohen. In Hessen haben die Christdemokraten viele Wahlversprechen durchgesetzt, in der GroKo auf Bundesebene passiert viel mehr als Dauerstreit. Doch viele Wähler wenden sich dennoch ab. Die Suche nach der Ursache des Problems dauert an. Oder sie ist bereits gefunden, wird aber nicht thematisiert. Denn vielleicht würde das eine neue Personaldebatte bedeuten.

Benjamin Konietzny ist Politik-Reporter bei n-tv.de.

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