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Politik - 08.11.2018

100 Jahre Novemberrevolution: Wie der Kaiser gestürzt wurde

Revolutionäre fahren am 9. November 1918 durch das Brandenburger Tor.

Von Markus Lippold


Es ist ein wildes Wochenende in Berlin: Wilhelm II. weiß nichts von seiner Abdankung. Die Republik wird auf einem Balkon geboren. Und die SPD tanzt auf zwei Hochzeiten. Vor 100 Jahren fegt die Novemberrevolution nicht nur den Kaiser hinweg.

Man muss der Versuchung widerstehen, die Weimarer Republik von ihrem Ende her zu denken. So grausam dieses Ende auch ist, mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, mit Hass und Rassismus, mit Zweitem Weltkrieg und Holocaust. Mit dem Trümmerfeld, das Europa 1945 ist.

Was im Oktober und November 1918 beginnt, ist nicht der Anfang vom Ende, sondern ein Aufbruch: der Sturz der Monarchie und die Gründung der ersten deutschen Republik. Bei allen politischen und sozialen Problemen, die die Ausrufung des neuen Staates vor 100 Jahren begleiten – von den Schrecken des Ersten Weltkriegs über die als Schmach empfundene Niederlage bis zu Lebensmittelknappheit und den vielen heimkehrenden Kriegsveteranen -, steht das Ende des autoritären Kaiserreichs doch auch für die Erringung einer neuen Freiheit.

Streikende Arbeiter am 9. November 1918 in Berlin.

Wobei ausgerechnet jene politischen Kräfte von der Entwicklung überrumpelt werden, die seit Jahrzehnten für demokratische Reformen und ein parlamentarisches System eintreten. Die SPD sieht ihre Wünsche eigentlich schon am 28. Oktober 1918 erfüllt: Von der Öffentlichkeit fast unbemerkt wird das Deutsche Reich von der konstitutionellen zur parlamentarischen Monarchie, die Macht von Kaiser Wilhelm II. ist beschnitten. Ausgerechnet die Generäle der Obersten Heeresleitung, die längst die eigentlichen Machthaber im Reich sind, haben die Idee vorangetrieben – angesichts der drohenden Niederlage wollen sie sich so aus der Verantwortung stehlen. Die SPD-Spitze sieht sich trotzdem am Ziel: Eine Revolution, so denkt man, sei nun nicht mehr nötig. Doch es kommt anders.

Während in Berlin erstmals Sozialdemokraten in die Reichsregierung eintreten, wollen ganz im Norden des Reiches die Besatzungen mehrerer Flottengeschwader nicht im verlorenen Krieg verheizt werden. Ihre Meuterei, die am 29. Oktober vor Wilhelmshaven beginnt, breitet sich Anfang November zunächst nach Kiel aus, wo sie zu einem Aufstand gegen das herrschende System wird, und von hier aus in weitere Städte. Arbeiter und Soldaten schließen sich dem Protest der Matrosen an, bilden vielerorts Arbeiter- und Soldatenräte. Braunschweig, Frankfurt am Main, Stuttgart und München werden von der Revolution erfasst. In Bayern wird König Ludwig III. gestürzt, weitere Monarchen folgen. Kurt Eisner ruft die erste Republik auf Reichsgebiet aus, den Freistaat Bayern.

Die SPD will die Kontrolle behalten

SPD-Chef, Reichskanzler und ab 1919 erster Reichspräsident: Friedrich Ebert.

Der SPD in Berlin ist diese revolutionäre Kraft nicht ganz geheuer. Gerade wird sie im Reich an der Macht beteiligt, da wird dieses Reich infrage gestellt. Dabei ist die Angst vor den Räten unbegründet. Dort sitzen vor allem Vertreter der Sozialdemokraten und einige der USPD, jenes linken Parteiflügels, der sich 1917 im Streit um Kriegskredite abgespalten hatte. Einen sozialrevolutionären Umsturz wie in Russland im Jahr zuvor streben sie nicht an. Es geht ihnen vor allem um das Ende des Krieges und des verhassten autoritären Kaiserreichs.

Trotzdem versuchen führende Sozialdemokraten wie Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann, die Entwicklung unter Kontrolle zu halten. Doch am 9. November, einem Samstag, überschlagen sich die Ereignisse in der Reichshauptstadt. Während die USPD einen Generalstreik ausruft und Hunderttausende Menschen durch die Stadt ziehen, macht sich der amtierende Reichskanzler Max von Baden, ein Neffe des Kaisers, selbstständig: Da Wilhelm II., der sich seit Ende Oktober im Hauptquartier der Obersten Heeresleitung im belgischen Spa aufhält, auf Rücktrittsforderungen aus Berlin nicht reagiert, veröffentlicht er dessen Abdankung auf eigene Faust. "Der Kaiser und König hat sich entschlossen, dem Throne zu entsagen", schreibt er. Als Wilhelm davon erfährt, ist er empört. Er flieht in die neutralen Niederlande, wo er bis zu seinem Tod 1941 leben wird – stets in der Hoffnung, den Thron wieder besteigen zu können.

Philipp Scheidemann ruft am 9. November 1918 von einem Balkon des Reichstags aus die Republik aus. Das Foto zeigt ihn aber wohl bei einer späteren Rede.

Die Revolution in Berlin geht derweil weiter: Gegen Mittag des 9. November will Ebert Fakten schaffen. Auf sein Drängen hin überträgt ihm Max von Baden – gegen jede Verfassungsregel – das Amt des Reichskanzlers. Der SPD-Chef glaubt noch immer, er könne nun mit einem neuen Regenten die Monarchie erhalten. Andere denken da bereits weiter. Karl Liebknecht, der Chef des Spartakusbundes, des linken Flügels der USPD, will eine sozialistische Republik ausrufen. Nun wiederum macht sich Scheidemann selbstständig. Um Liebknecht zuvorzukommen, tritt er kurzentschlossen auf einen Balkon des Reichstages und verkündet eine Proklamation: "Das Alte und Morsche, die Monarchie ist zusammengebrochen. Es lebe das Neue. Es lebe die deutsche Republik!", endet diese. Liebknecht folgt kurz darauf mit der Ausrufung einer "freien, sozialistischen Republik Deutschland" vom Berliner Schloss aus.

Zwei Gruppen mit unterschiedlichen Zielen haben die Republik ausgerufen: Die SPD hat eher widerwillig die Monarchie abgeschafft, will aber zumindest das Gesellschaftssystem erhalten und für die Etablierung eines demokratischen Staates auch auf alte Eliten zurückgreifen. Der Spartakusbund dagegen ist auf gesellschaftliche Umwälzungen aus, auf Räterepublik und sozialistische Ordnung. Doch wer setzt sich durch? Eigentlich ist das keine Frage: Die große Mehrheit der Räte, der Arbeiter und Soldaten, steht zu dieser Zeit auf Seiten der SPD. Die Spartakisten sind nur eine kleine Minderheit. Ihre Macht wird jedoch von den alten Eliten maßlos übertrieben, sie schüren die Angst vor dem Bolschewismus.

Die Armee sichert die Macht

Den Showdown gibt es am Nachmittag des 10. November im Circus Busch: Eine Versammlung von Arbeiter- und Soldatenräten soll hier ein Gremium wählen, das die Reichsregierung ersetzen soll. Revolutionär ist die Stimmung nicht. So setzt sich letztlich Ebert durch, der eine gemeinsame Regierung aus SPD und USPD anstrebt. Je drei Vertreter entsenden die Parteien in den Rat der Volksbeauftragten. Ebert gehört genauso dazu wie Scheidemann und USPD-Chef Hugo Haase.

Die Reichsregierung unter Ebert freilich löst sich nicht auf, sie besteht weiter und bleibt sogar tonangebend. Nicht zuletzt, weil sie über den ehemals kaiserlichen Beamtenapparat verfügt, der den Rat der Volksbeauftragten nicht anerkennt und deshalb ignoriert. Doch der SPD-Chef spielt noch eine weitere Karte aus: Er sichert sich am Abend des 10. November die Unterstützung der Armee. In einem Telefonat, dessen Bedeutung und Folgen bis heute unter Historikern umstritten sind, sichert er General Wilhelm Groener von der Obersten Heeresleitung zu, die Militärordnung wiederherzustellen und gegen weitere revolutionäre Bestrebungen vorzugehen, wenn das Heer im Gegenzug die öffentliche Ordnung sichert und die Heimkehr Tausender Soldaten organisiert.

Kann die Militärführung also einerseits einem Bedeutungsverlust entgegenwirken, zieht sie sich an anderer Stelle stillschweigend zurück: Nicht ein Vertreter der alten Macht unterschreibt am 11. November den Waffenstillstand mit den Gegnern des Ersten Weltkriegs. Es ist ein Abgeordneter des katholischen Zentrums, Matthias Erzberger, der als Bevollmächtigter der Reichsregierung in Compiègne seine Unterschrift unter die harten Bedingungen setzt – und dafür 1921 von Terroristen ermordet wird. Seine Unterschrift gibt rechtsnationalen Kräften die Gelegenheit, der neuen Republik die Niederlage in die Schuhe zu schieben und die Militärführung von jeder Verantwortung zu befreien. Die "Dolchstoß-Legende" wird geboren.

Die Waffen schweigen, der Erste Weltkrieg ist vorbei und Deutschland hat sich grundlegend gewandelt. Der Unwillen einiger Matrosen, in eine sinnlose Schlacht zu ziehen, ist zu einer Revolution gewachsen, die die deutschen Adelsgeschlechter von ihren Thronen stößt und aus einer Monarchie eine Republik macht. Leicht ist dieser Neustart natürlich nicht, er entsteht aus einer Niederlage – ein Makel, den die Feinde der jungen Republik ihr stets vorwerfen werden. Und Feinde hat diese Republik viele, von Anfang an. Trotzdem kann dieser Staat auch viele Erfolge vorweisen: die Entwicklung einer neuen politischen Kultur, das Frauenwahlrecht, unzählige wissenschaftliche Leistungen und eine weltweit beachtete kulturelle Blüte.

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