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Kultur - 23.11.2018

Hans-Christian Schmid über „Das Verschwinden“: „Die Abgründe hinter der heilen Provinzwelt zeigen“

Mit Kinofilmen wie „Nach Fünf im Urwald“, „23“, „Crazy“ oder „Requiem“ brachte uns Hans-Christian Schmid die deutsche Gegenwart näher. Mit „Das Verschwinden“ hat der Regisseur erstmals eine Serie gedreht. Warum?

Regisseur Hans-Christian Schmid hat mit „Das Verschwinden“ erstmals eine TV-Serie gedreht.

Herr Schmid, bislang sind Sie als Filmregisseur in Erscheinung getreten. Wieso haben Sie nun eine Serie gedreht?
Wir haben bereits im Herbst 2012 mit der Arbeit angefangen. Es schien eine spannende Herausforderung, eine Geschichte über sechs, sieben Stunden zu entwickeln. Wir haben das noch nie gemacht. Und dann wirkte das gar nicht mehr wie ein Makel, Fernsehen statt Kino zu machen. Der Reiz am langen Format für „Das Verschwinden“ liegt darin, den Krimi-Plot mit einem Gesellschaftsporträt kombinieren zu können.

Sehen Sie den Serienboom der zurückliegenden Jahre für sich als Filmemacher als eine Bedrohung?
Im Gegenteil, ich sehe das als eine Chance. Ich habe ein Format mehr, in dem ich gerne erzähle. Gleichzeitig sehe ich aber das Arthouse-Kino bedroht.

Woran machen Sie das fest?
Es gibt immer weniger Zuschauer für Arthouse-Filme in Deutschland. Wenn wir mit unserer Produktionsfirma 23/5 Verleihern einen Stoff anbieten, haben wir mittlerweile fast das Gefühl: Hoffentlich bescheren wir euch nicht ein dickes Minus. Wenn die Projekte nicht komödiantisch sind und sich eher mit komplizierten Inhalten beschäftigen, dann ist das zumindest zu befürchten. Mein Film „Sturm“ hatte gerade mal 50.000 Kino-Zuschauer. Die Leute haben keine Lust, sich im Kino mit dem Bosnien-Krieg oder mit Gerichtsprozessen auseinanderzusetzen.

ARD-Serie "Das Verschwinden":
Die dunklen Geheimnisse einer Kleinstadt

„Das Verschwinden“ ist eine achtteilige Serie, die das Erste ab dem 22. Oktober an vier Abenden um 21.45 Uhr in Doppelfolgen zeigt. Regie führt der bekannte Filmemacher Hans-Christian Schmidt. Der ist bislang mit Kinoproduktionen in Erscheinung getreten, darunter „Nach Fünf im Urwald“, „23“, „Crazy“, „Lichter“ oder „Requiem“. Jetzt gibt er sein Debüt als Serien-Regisseur. Wie der Titel andeutet, geht es um eine verschwundene Person: Die 20-jährige Janine Grabowski (Elisa Schlott) ist eines Tages wie vom Erdboden verschluckt. Die filmische Inszenierung des vermissten Mädchens erinnert ein wenig an Laura Palma aus „Twin Peaks“ von David Lynch. Doch anders als dessen Serie enthält „Das Verschwinden“ keine Mystery-Elemente und ist frei von dem surrealen Touch, den David Lynchs Werk auszeichnet. Vielmehr ist der Achtteiler fest in der Realität verortet.

Welche Serien haben Sie bei Ihrer Arbeit beeinflusst?
Ich habe nicht viele Serien geguckt. Die „Sopranos“ habe ich bewusst wahrgenommen. Das kam mir wie eine neue Dimension vor, was erzählerisch möglich ist und wie komplex Figuren sein können. Auch „The Wire“. Als Filmhochschüler habe ich „Twin Peaks“ gesehen – das war ein absolutes Erlebnis. Ich saß jede Woche mit Freunden vor dem Fernseher und habe die Record-Taste des Video-Rekorders gedrückt.

Spielen Sie in „Das Verschwinden“ bewusst auf die Serie von David Lynch an?
Es war ein Thema, ob wir zu nah an „Twin Peaks“ sind. Weil es auch bei uns um eine Kleinstadt geht, weil eine Frau verschwindet. Aber das ist 20 Jahre her mit „Twin Peaks“ und David Lynch ist einzigartig. Der surreale Touch, das gibt es in unserer Serie nicht.

Die Inszenierung des verschwundenen Mädchens erinnert schon an Laura Palmer aus „Twin Peaks“.
Das darf es auch, das stört mich gar nicht. Wichtiger, was die Atmosphäre der Erzählung angeht, waren eher „The Missing“ von der BBC oder „Top of the Lake“.

Viele Ihrer Filme haben einen Generationenkonflikt zum Thema. Das steht auch im Vordergrund von „Das Verschwinden“. Wieso kommen Sie immer wieder darauf zurück?
Die Familie ist für mich das interessanteste Erzählmilieu. Weil ich Familien oft als nicht funktionierend empfinde. Ich versuche auf die Momente einzugehen, die zeigen, wie und warum sie nicht funktioniert. Der offene und ehrliche Umgang, den wir mit unseren Kindern versuchen, ist manchmal so schwer. Es ist auffällig, dass es in „Das Verschwinden“ um dysfunktionale Familien geht und um die Lügen der Elterngeneration, die das Leben der nachfolgenden Generation kompliziert oder unmöglich machen.

Sind die Probleme zwischen den Generationen heute andere als früher?
Ja, die Gegensätze sind nicht mehr so deutlich definiert wie bei den 68ern. Heute sind Eltern gerne ein kumpeliger Typ. Es wird von Kindern aber als übergriffig empfunden, wenn sie in die gleichen Discos gehen. Etwa so, wie Julia Jentsch das in der Serie macht.

„Das Verschwinden“ zeichnet ein düsteres Bild von dem Verständnis zwischen den Generationen. Entspricht das Ihrer Weltsicht oder haben Sie auch andere Erlebnisse gemacht, die Sie nicht in die Serie einfließen lassen?
Ich hab schon andere Erlebnisse, aber letztlich ist es sehr schwer, von funktionierenden Familien zu erzählen. Wenn ich mich für Krimi entscheide, für Drama, hab ich auch den Wunsch, dorthin zu schauen, wo Dinge nicht in Ordnung sind, wo vieles im Argen liegt. Zu zeigen, welche Abgründe sich hinter der heilen Provinzwelt auftun.

Die Geschichte dreht sich um Drogenkriminalität im Grenzgebiet zwischen Deutschland und Tschechien. Wie haben Sie das recherchiert?
Ich hatte zwei Termine. Einen mit einem Drogenermittler in Furth im Wald unmittelbar an der tschechischen Grenze. Und einen mit einem Dienststellenleiter in Cham. Die Polizisten empfinden die Drogensituation dort als beängstigend, vor allem, weil es eine Menge junger Konsumenten im Alter von 15 Jahren aufwärts gibt. Crystal Meth ist dort fast an jeder Ecke erhältlich. Es ist die preiswerteste Möglichkeit, sich für ein Wochenende gut drauf zu fühlen. Das macht den Ermittlern Sorgen. 

Haben Sie davon etwas gemerkt?
Wenn du durch die Stadt läufst, fällt dir gar nichts auf. Der Drogenkonsum passiert in Wohnungen. Ein Polizist hat gesagt: ‚Wir kennen unsere Giftler.‘ Es klang fast, als würde er sich um sie kümmern, wie in einem funktionierenden Gemeinwesen. Viel von den Recherchen ist in das Drehbuch eingeflossen. Auch die Erkenntnis, dass Drogenkriminalität ein Kontrolldelikt ist. Je mehr man sucht, desto mehr findet man. Wenn die Polizei mehr Mittel hätte, würden noch mehr Drogen beschlagnahmt.

Sind Sie nach dieser ersten Serie auf den Geschmack gekommen oder machen Sie als nächstes wieder einen Kinofilm?
Ich find es sehr spannend, bei einer Serie mit einem so großen Erzählbogen zu arbeiten. Ich kann mir beides vorstellen. 

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