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Wissen und Technik - 10.06.2019

Wie die Wissenschaft um „Raubjournale“ ringt

Erst analysieren, dann publizieren: Forschungsinstitutionen wollen ihre Wissenschaftler anhalten, allein in komplett unverdächtigen Fachmagazinen zu veröffentlichen. Doch das ist nicht so einfach.

Spitzenleistungen. Wer gute Forschung macht, muss nicht in zweifelhaften Magazinen publizieren. Doch es gibt einen Markt dubioser…

„Wir bitten Sie, sorgfältig zu prüfen, wo Sie veröffentlichen und auf welchen Konferenzen Sie Ihre Ergebnisse präsentieren.“ Mit diesem Hinweis und einem langen Text dazu, wie eine solche Prüfung aussehen sollte, wendet sich die Technische Universität Berlin derzeit an ihre forschenden Mitarbeiter.

Vor etwa zwei Wochen machte unter dem unter dem fragwürdigen Hashtag „#FakeScience“ die Nachricht Schlagzeilen, Forscher weltweit – und auch solche aus Deutschland – würden ihre Ergebnisse teilweise in Fachmagazinen, die diesen Namen nicht verdienen, publizieren. Sie hat in der deutschen Wissenschafts-Community Wirkung gezeigt.

Allerdings war längst bekannt, dass neben einer wachsenden Zahl neuer, seriöser online erscheinender „Journals“ auch ein Markt für Publikationen boomt, bei denen es keine Qualitätskontrolle der eingereichten Manuskripte gibt, die oft zum Verwechseln ähnliche Namen wie angesehene Magazine haben und die mit prominenten Herausgebern werben, welche tatsächlich von einer solchen Tätigkeit selbst oft nichts wissen. Auch sonst garantieren sie nicht einmal das Mindestmaß an üblichen Dienstleistungen wie Archivierung und nachhaltige Auffindbarkeit.

DFG: Klasse statt Masse

Warnungen an Wissenschaftler gibt es schon länger, sowohl seitens einzelner Institutionen als auch von Wissenschaftsorganisationen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) versucht zudem, die schiere Menge von Publikationen als Kriterium für eine Förderung komplett abzuschaffen. Damit würde es sich zumindest hier schlicht nicht mehr auszahlen, Artikel in derlei Magazinen unterzubringen.

„Predatory Journals“, also „Raubmagazine“, heißen solche Publikationen etwas irreführend. Denn sie rauben eigentlich nichts, sondern werben nur sehr aggressiv und unlauter bei Forschern, unter anderem damit, dass man bei ihnen weniger Gebühren bezahlen muss als bei der Konkurrenz und dass man mit einem nervenaufreibenden Begutachtungsprozess oder gar Ablehnung eines Manuskripts bei ihnen eher nicht rechnen muss. Auch ein verwandter Markt für Pseudokonferenzen, deren Organisatoren sich dann an Teilnahmegebühren bereichern, existiert.

Bereits seit Jahren gibt es sogar einen eigenen Forschungszweig, eine Art Raubmagazin- und Raubverlagskunde, der sich mit dem Phänomen befasst. Am Ottawa Hospital in Kanada etwa existiert ein „Centre for Journalology“. Dessen Leiter, David Moher, hat zusammen mit Kollegen ganze Studien hierzu aufgelegt. Mit einer davon, erschienen 2017 im – unverdächtigen – Magazin „BMC Medicine“, versuchten sie, Kriterien zu finden, wie man als Forscher die räuberische Spreu vom seriösen Weizen trennen kann. Dazu gehörten so einfache Warnzeichen wie nicht professionelle, also keinen Namen einer Forschungs- oder Publikationsorganisation enthaltende E-Mail-Adressen der Herausgeber sowie Häufungen von Rechtschreib- und sonstigen sprachlichen Fehlern auf den Websites.

Checklisten – und andere Listen

Moher und Kollegen fanden letzteres bei zwei Dritteln der von ihnen als Raubjournale identifizierten Publikationen! Auch die anderen Charakteristika sind meist wenig subtil. Unter anderem limitieren sich solche Journale oft kaum thematisch, um möglichst viele Manuskripte aus verschiedensten Disziplinen einwerben zu können um somit mehr Gebühren kassieren zu können. Sie versprechen schnelle Publikation, machen keine Angaben zu redaktionellen Abläufen, Archivierungspraktiken oder Copyright.

Teilweise an solchen Untersuchungen, teilweise an Ergebnissen eigener Kommissionen orientiert, haben deutsche Forschungseinrichtungen- und Organisationen Hilfestellungen für Forscher erarbeitet und Warnungen an – vor allem junge, unerfahrene – Wissenschaftler, verschickt. Auch konkrete Online-Hilfen wie das von großen Verlagen wie „Springer Nature“ oder „Ubiquity Press“ initiierte Portal „Think-Check-Submit“ („Nachdenken-Überprüfen-Einreichen“) gibt es. Tenor: Aufpassen, Analysieren. Und unseriöse, die gute wissenschaftliche Praxis nicht garantierende Angebote meiden.

Das setzt nicht nur guten Willen und ein Problembewusstsein voraus, sondern nicht selten auch die Bereitschaft, einen Artikel letztlich unveröffentlicht zu lassen, nachdem er vielleicht von den primär infrage kommenden seriösen Magazinen abgelehnt wurde, oder nachdem diese neue Experimente gefordert hatten, die das Budget aber nicht mehr hergibt.

Weil es dafür keine Garantie gibt, wurden jüngst von deutschen Wissenschaftsmanagern wie etwa dem Präsidenten der Helmholtz-Gemeinschaft, Otmar Wiestler, auch drastischere Maßnahmen diskutiert. Dazu gehörte etwa die Einführung von Schwarzen Listen, („Blacklists“) von Journalen, in denen Angehörige der Institutionen oder Organisationen, die solche Listen auflegen, nicht mehr publizieren sollten. Und in der Wochenzeitung „Die Zeit“ fordert die österreichische ehemalige Wissenschaftsmanagerin Helga Nowotny gar pauschal, die Zahl der Publikationen in absehbarer Zeit zu „halbieren“.

Schon in diesen Ideen allerdings wird ein Grundproblem der Diskussion deutlich. Denn Wissenschaft und Forschung sind laut Grundgesetz frei, genau wie die Meinung – und damit das Publizieren an sich – wozu auch das Gründen von Verlagen und Zeitschriften gehört. Man kann also, außer wenn es mit nachweislichen Gesetzesbrüchen einherging, niemandem verbieten, etwas, das er oder sie wissenschaftlich herausgefunden hat oder auch nur herausgefunden zu haben glaubt, aufzuschreiben und es wo auch immer zu veröffentlichen. Auch davon, dass der Inhalt dann allein deswegen schlecht oder gar „fake“ sein wird, darf natürlich niemand ausgehen. Sonst müsste man das Gleiche bei jedem wissenschaftlichen Sachbuch, für das auch seriöse Verlage keine Qualitätskontrolle vergleichbar der bei Fachjournalen vornehmen, ebenfalls vermuten. Und bei den allermeisten geisteswissenschaftlichen Publikationen ebenfalls. Denn kritische Begutachtung durch Kollegen gibt es hier allenfalls in Diskussionen und Debatten nach erfolgter Veröffentlichung.

Publikationsfreiheit, Forschungsfreiheit

Allerdings existiert eine Blacklist seit Jahren. Sie wird herausgegeben von dem Bibliothekar Jeffrey Beall, einem generellen Kritiker der Bewegung, wissenschaftliche Arbeiten für Leser kostenlos in webbasierten Journalen zu veröffentlichen, dem so genannten „Open Access“. Die „Beall’s List“ ist allerdings höchst inoffiziell.

Die Idee der institutionalisierten Blacklists wurde in der aktuellen Diskussion auch sofort wieder verworfen. Wiestler selbst äußerte gegenüber dem Tagesspiegel, grundsätzlich sei solches „schwer mit der grundgesetzlich verankerten Wissenschaftsfreiheit vereinbar“. Kaum umsetzbar sei die Idee auch, weil diese Journals sehr schnell ihre Namen wechselten, vom Markt verschwänden und erneut anderswo wieder auftauchten:Eine Blacklist wird dem tatsächlichen Geschehen also immer einen Schritt hinterher sein, außerdem dürfte es schwierig sein, Kriterien festzulegen, mit denen sich alle Journals fair erfassen lassen.“ Auch an der Freien Universität Berlin sieht man Blacklists kritisch. Mit ihnen würde man sich „schnell mit dem Vorwurf konfrontiert sehen, Zensur zu betreiben“, so FU-Sprecher Goran Krstin. Man müsse aber durchaus „unter Beachtung der Publikationsfreiheit“ für das Thema und die damit einhergehenden Probleme sensibilisieren.

Mit „Whitelists“ dagegen – Registern als vertrauenswürdig eingestufter Magazine – hat man bei den deutschen Wissenschaftsorganisationen und den durch den Tagesspiegel befragten Hochschulen keine Probleme. Wiestler befürwortet sie ebenso wie die Max-Planck-Gesellschaft, die Leibniz-Gemeinschaft oder die Fraunhofer-Gesellschaft. Letztere, die Institute für angewandte Forschung unter ihrem Dach vereinigt, gibt für jedes Fachgebiet „Top-10-Listen“ heraus, aus denen Institute eigene Whitelists erstellen sollen.

Der undankbare 11. Platz

Unproblematisch allerdings sind auch solche Listen nicht. Auch sie müssten eigentlich ständig für alle Fachgebiete hochkompetent kuratiert und aktualisiert werden. Denn – der Berliner Neurologe und Wissenschaftsmanager Ulrich Dirnagl schrieb darüber im Tagesspiegel – es gibt auch Beispiele für „abgedriftete“ Magazine. Heute seriös heißt also nicht unbedingt übermorgen seriös. Und trotz der Kriterien wie sie etwa Moher definiert hat, kann es natürlich auch etwa Magazine von seriösen Herausgebern geben, die oder deren Website-Manager einfach nicht perfekt Englisch können. So könnten de facto dann auch seriöse Publikationen stigmatisiert werden. Zudem sind etwa jene „Top-10“-Listen im kritischen Wortsinne „exklusiv“. Denn dass an Platz 11 automatisch die Zone der Raubjournale beginnt, wird niemand behaupten. Aber Forscher werden, wenn ihre Institutionen mit Zehnerlisten arbeiten, versuchen, sich auf diese zu beschränken. Auch für seriöse neu gegründete Journale würde die Situation nicht leichter werden. Das weiß man auch bei den großen Forschungsorganisationen. So sagt etwa Christina Beck, Sprecherin der Max-Planck-Gesellschaft, neue, aber vielleicht innovative Open-Access-Publikationsmodelle würden durchaus gebraucht, hätten es aber selbst wenn prominente Forscher als Herausgeber fungierten, schwer.

Die Mutter aller Whitelists ist das „Directory of Open Access Journals“. Es ist, anders als etwa „Think-Check-Submit“, keine Gründung von durch ihre eigenen Interessen geleiteten Verlagen, sondern an einer schwedischen Universität beheimatet und wird von der spendenfinanzierten Nonprofit-Organisation „Infrastructure Services for Open Access“ am Laufen gehalten. Gerade solche Open-Access-Journals, also Magazine, die sich nicht hinter Paywalls verstecken, sondern für jeden Forscher oder sonst interessierten Menschen frei zugänglich sind, wurden in der aktuellen Diskussion mit Raubverlagen und -magazinen teilweise in einen Topf geworfen. Denn sie funktionieren bezüglich ihrer Finanzierung ähnlich.

Dabei steht „Open Access“ eigentlich nur für die andere Seite von Wissenschafts- und Publikationsfreiheit: Die Freiheit für die Öffentlichkeit – zumindest für all jene die einen Internetzugang haben –, sich anhand von Originalpublikationen über aktuelle, mit öffentlichen Mitteln finanzierte Forschung zu informieren.

Die epochale Idee eines Bremers namens Oldenburg

Dass das als Geschäftsmodell schwierig, aber ansonsten eine sehr gute Idee ist, dem widersprechen immer weniger Fachleute. Und selbst die Verlage und Institutionen, denen die traditionellen, Abonnement-finanzierten Magazine wie „Science“ und „Nature“ gehören, bringen inzwischen jede Menge solcher frei zugänglicher, hauptsächlich durch Publikationsgebühren finanzierter Journale heraus.

Eine gute Idee war auch der Peer-Review – also jene Begutachtung von Fachartikeln durch Fachleute, die heutige Raubjournale zwar versprechen, aber nicht gewährleisten. Sie kam einem vor 400 Jahren in Bremen geborenen Theologen namens Henry Oldenburg. Ihm wurde als Sekretär der Londoner Royal Society und Herausgeber der „Philosophical Transactions“ schlicht irgendwann klar, dass er bei dort eingereichten Artikeln zu naturwissenschaftlichen Themen deren Qualität oft nicht beurteilen konnte. Es war eine der wichtigsten Einsichten der Wissenschaftsgeschichte. Dass das Problem eines Tages nicht die Qualität der Manuskripte, sondern die der Magazine sein würde, wäre für den Gottesmann aber sicher eine absurde Idee gewesen.

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