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Wissen und Technik - 15.01.2019

„Viele Grüße aus Tokio, Peking, L. A. …“

Der Konferenztourismus nimmt zu. Die Hochschulen sollten mehr auf ihre Klimabilanz achten. Ein Gastbeitrag.

Gut vernetzt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind stolz auf ihre Kontakte im Ausland. Über die ökologischen Folgen der…

Viele Studierende und viele Lehrende sorgen sich um die globale Erwärmung und den damit zusammenhängenden Klimawandel. Geeint im Bewusstsein, auf der richtigen Seite zu stehen, radeln sie mit dem Fahrrad zur Uni, kaufen sich unterwegs ein Vollkornbrötchen mit Bio-Salami und empören sich gemeinsam über Donald Trump, der aus dem Pariser Klimaabkommen ausgeschert ist. Der eigene Beitrag zur Erderwärmung wird dabei ignoriert.

Dass der Klimawandel wesentlich von Treibhausgasen und dem Ausstoß von Kohlendioxid vorangetrieben wird, wird nur noch von wenigen Experten bestritten. Besonders Flugreisen tragen erheblich zum CO2-Ausstoß bei. Dabei sind es nicht nur die Urlaubsreisen, die hier zu Buche schlagen, sondern die vielen mit dem Flugzeug getätigten Dienstreisen.

Die Wissenschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten zunehmend internationalisiert. Wissenschaftliche Gremien und Promotionskommissionen sind immer häufiger international zusammengesetzt und Forschungskooperationen finden verstärkt mit Partnern in anderen Ländern statt. Zudem ist das internationale Konferenzaufkommen exponentiell gewachsen. Dass viele Kolleginnen und Kollegen aus der eigenen Universität vermehrt um den Globus jetten, merkt man an den E-Mails, die man von ihnen erhält: Sie enden mit „Viele Grüße aus Tokio bzw. Peking, L. A. oder Singapur“. Der Schaden des internationalen Konferenztourismus durch vielfliegende Akademiker ist erheblich. Ein Retour-Flug von Berlin nach Brüssel zur Teilnahme an einer Promotionskommission ist mit einer halben Tonne Kohlendioxid, der Besuch einer Konferenz in Boston mit 4,5 Tonnen und die einer Beiratssitzung in Tokio mit 6,6 Tonnen Ausstoß von CO2 verbunden. Das lässt sich durch das tägliche Radeln vom Wohnort zur Universität in keiner Weise kompensieren.

Die FU als „internationale Netzwerkuniversität“

Die Globalisierung der Wissenschaft ist eine gute Entwicklung und meine Universität, die Freie Universität, spielt hier als internationale Netzwerkuniversität eine wichtige Vorreiterrolle. Es geht nicht darum, das Rad der Internationalisierung der Wissenschaft zurückzudrehen. Eine Reduktion des Fliegens von Akademikern ist aber nötig und auch machbar, ohne dass die Wissenschaftsentwicklung darunter leiden würde. Appelle werden dabei wenig zielführend sein. Denn das Umweltbewusstsein ist nirgends so ausgeprägt wie im akademischen Milieu, wo ein ökologischer Lebensstil zu einem zentralen Merkmal des Habitus geworden ist. Es bedarf neuer institutioneller Regeln, die sich ohne viel Aufwand umsetzen lassen. Dazu drei Anregungen.


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(a) Viele Beiräte und Kommissionen der akademischen Welt sind nach meiner Erfahrung überdimensioniert und haben zu viele Mitglieder. Eine Reduktion der Anzahl der Mitglieder solcher Gremien um ein Drittel verschafft den dann freigesetzten Personen nicht nur mehr Zeit, die sie sinnvoll für ihre Kernaufgaben, nämlich Forschung und Lehre, nutzen können, sondern reduziert in der Summe auch die Reisetätigkeit und damit den CO2-Ausstoß; dies gilt besonders für international zusammengesetzte Gremien, wo die Flugdistanzen und damit die Umweltbelastungen besonders ausgeprägt sind.

Mehr Videokonferenzen

(b) Die bestehenden Technologien, mit denen man Videokonferenzen, -vorträge und -sitzungen abhalten kann, sollten nicht nur weiterentwickelt, sondern von den Universitäten und ihren Mitgliedern deutlich häufiger genutzt werden. Dies gilt vor allem für Vorträge vor kleinem Publikum, Projektbesprechungen mit internationalen Partnern, aber zum Beispiel auch für Promotionsprüfungen mit internationalen Gutachtern. Gerade dann, wenn es sich um sehr kleine Gruppen handelt, ist es meist ohne Probleme möglich, einen Austausch virtuell zu organisieren. Universitäten könnten den Einsatz von virtuellen Veranstaltungen anreizen, indem sie die eingesparten Reisemittel, die sie für die anreisenden Gäste aufbringen müssten, nicht einsparen, sondern dem jeweiligen Institut gutschreiben, sodass dieses für seine umweltfreundliche Politik belohnt wird.

(c) Die durch Flugreisen entstandenen ökologischen Schäden lassen sich durch Kompensationszahlungen ausgleichen. Die Gelder werden für Maßnahmen eingesetzt, die der Reduktion des Ausstoßes von Kohlendioxid dienen. So führt zum Beispiel ein Hin- und Rückflug von Berlin nach New York laut Berechnungen von atmosfair.de zu einer Kompensationszahlung von 73 Euro. Die Universitäten sollten sich verpflichten, für jede gebuchte Flugreise die entsprechende Kompensationszahlung zu entrichten.

(d) Der öffentliche Ausweis der Anzahl an Flügen, die von den Mitgliedern einer Universität in den letzten beiden Jahren getätigt wurden, erzeugt automatisch Druck, die Anzahl der Flugreisen in Zukunft zu reduzieren. Eine ähnliche Maßnahme hat sich zum Beispiel bei den Gleichstellungsberichten der Universitäten bewährt.

Die Freie Universität, die Humboldt-Universität, die Technische Universität Berlin und die Charité haben gerade unter der Überschrift „Berlin University Alliance – Crossing Boundaries toward an Integrated Research Environment“ ihren Antrag für den Wettbewerb der Exzellenzinitiative beim Wissenschaftsrat eingereicht. Es würde dem neuen Verbund gut anstehen, wenn er den im Titel benutzten Umweltbegriff nicht nur auf die lokale Vernetzung der Universitäten bezieht, sondern zukünftig seinen Beitrag zur Reduktion von Kohlendioxid beisteuern würde. – Der Autor ist Professor für Soziologie an der Freien Universität und Mitglied der Nationalen Akademie „Leopoldina“.

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