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Wissen und Technik - 02.11.2018

Rückschlag für Gentherapie

Berliner Biomediziner entdecken eine Achillesferse der „Crispr“-Methode. Sie könnte Therapien unmöglich machen. Nun suchen die Forscher nach einer Lösung.

Ersatz. Das Crispr-Prinzip in der Medizin heißt: Ausschneiden von unerwünschten, krankmachenden Genabschnitten und Einfügen von…

Es ist die derzeit wichtigste Innovation in der Biomedizin. An praktisch jeder namhaften Uniklinik arbeiten Forscher an Therapien, die mit der Gen-Schere Crispr/Cas9 krank machende Gen-Defekte korrigieren oder Immunzellen auf den Kampf gegen Krebs programmieren sollen. Keine sechs Jahre nach ihrer Entdeckung wird sie in der Grundlageforschung für verschiedenste Zwecke längst angewandt, aber auch diverse Biotech-Firmen die Methode in ersten klinischen Studien am Menschen, unter anderem in Regensburg. Die Hoffnungen sind so groß, dass die Aktien der Biotech-Firma Crispr Therapeutics mittlerweile eine Marktkapitalisierung von mehr als drei Milliarden Dollar erreicht hat. Berliner Forscher allerdings haben nun – zusätzlich zu anderen bekannten oder vermuteten Problemen mit der Technik – herausgefunden, dass der menschliche Körper die Gen-Schere womöglich nicht akzeptiert, sondern mit seinem Immunsystem bekämpft.

Das Immunsystem wehrt sich

Anfang des Jahres hatten schon Biomediziner der Stanford University vorläufige Daten auf der Website „BiorXiv“ veröffentlicht. Sie deuteten darauf hin, dass die menschliche Körperabwehr Cas9, das Gen-Scheren-Protein, mit Hilfe von Antikörpern attackiert. In den Blutproben von 34 Menschen entdeckten sie Antikörper gegen diesen Eiweißstoff aus dem Bakterium Streptococcus pyogenes, dem Auslöser von Scharlach. Auch gegen die Variante von Staphylococcus aureus, die auf Haut und Schleimhäuten der meisten Menschen lebt, fanden sie in den Blutproben solche Abwehrmoleküle.

Weil das Abwehrsystem des Menschen oft mit diesen Erregern in Kontakt kommt, entwickelt es ein Immungedächtnis gegen viele Proteine dieser Bakterien – auch gegen die Gen-Schere Cas9. Wird das Gentherapie-Werkzeug also von der Körperabwehr der Patienten beseitigt, bevor es Gene reparieren und Gutes bewirken kann? Allein diese seitdem im Raum stehende Frage ließ die Aktien mancher Biotech-Firmen zeitweise um bis zu 20 Prozent fallen. Was im Januar aber noch niemand wusste: Auch in Deutschland, an der Berliner Charité, hatten Forscher diese Anfälligkeit von Cas9 bemerkt und sogar eine sehr viel deutlichere Immunantwort festgestellt.

Zerstörung der heilenden Zellen

Am Berlin-Brandenburger Centrum für Regenerative Therapien (BCRT) forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schon länger an und mit der Crispr-Technik: „Wir haben mehrere Projekte, in denen Zellen mit Hilfe von Crispr/Cas9 in ihren Eigenschaften verbessert werden sollen und wir haben uns natürlich systematisch gefragt, welche Gefahren, Störfaktoren oder Probleme es geben könnte“, sagt Hans-Dieter Volk, Direktor des BCRT mit Standort im Wedding. „Zu unserer großen Überraschung mussten wir feststellen, dass sich zu diesem Zeitpunkt noch niemand mit dem Problem einer Immunreaktion auf Cas9 beschäftigt hatte.“

Also machte sich ein Team um Michael Schmück-Henneresse und Dimitrios Wagner an die Arbeit. Sie konfrontierten Immunzellen aus Blutproben von Patienten mit Cas9-Proteinen verschiedener Streptokokken-Stämme. „Binnen Stunden war eine Immunreaktion bis hin zur Zerstörung der erbgutveränderten Zellen festzustellen“, sagt Schmück-Henneresse. So eine Reaktion sei nur möglich, „wenn es ein Immungedächtnis gibt, die Patienten also bereits mit Cas9 konfrontiert wurden“. Andernfalls würde sich erst nach mehreren Tagen oder Wochen eine Immunantwort entwickeln. Praktisch alle erwachsenen Menschen, von denen Proben vorlagen, hätten eine Immunreaktion auf Cas9 gezeigt. Bei manchen sei diese sehr stark, bei anderen schwächer gewesen. „Aber wir haben fast keinen gefunden, der keine Reaktion gezeigt hätte.“

Toni Cathomen ist nicht überrascht: „Es liegt auf der Hand, dass unser Immunsystem vehement gegen Zellen vorgeht, die Proteine von Bakterien enthalten, an denen Menschen erkranken“, sagt der Crispr-Experte und Direktor des Instituts für Transfusionsmedizin und Gentherapie am Universitätsklinikum Freiburg. Der Nachweis einer Reaktion menschlicher Immunzellen gegen Cas9 sei jedoch schwierig. Nur wenige immunologische Speziallabore wie das am BCRT könnten solche Studien durchführen. Wohl deshalb habe die Immunantwort auf Gen-Scheren bislang kaum eine Rolle in der Diskussion möglicher Probleme der Technologie gespielt.

Die fremden Enzyme müssen weg – oder die Immunreaktion nmuss gebremst werden

Gründliche Untersuchungen brauchen allerdings Zeit. Als sie von den Ergebnissen aus Kalifornien erfuhren, wussten die Berliner aber, dass sie sich beeilen mussten. Im April präsentierten sie ihre Funde ebenfalls auf „BiorXiv“. Und ein Artikel im renommierten Medizin-Fachblatt „Nature Medicine“ erschien diese Woche. Tenor: Die Anwendung der Technologie beim Menschen dürfte aufgrund der Immunproblematik schwierig werden.

Das gilt auch für solche Gentherapie-Ansätze, bei denen Zellen des Patienten (etwa Blutstammzellen) außerhalb des Körpers und nur kurzzeitig mit der Gen-Schere behandelt und dann zurückgespritzt werden. Zwar wird die Gen-Schere in den Zellen im Laufe von ein paar Tagen abgebaut. Allerdings können für das Immunsystem sichtbare Fragmente womöglich länger überdauern. „Die Frage ist, wann man sicher sein kann, dass kein Cas mehr übrig ist?“, sagt Volk. Mit immunologischen Tests lassen sich solche Bruchteile nachweisen. So, sagt Volk, „können wir zeigen, wann ein Präparat sauber, also Cas-frei ist“ – und keine Immunreaktion mehr zu befürchten. Demnach dauert es etwa drei bis vier Tage, bei manchen Zelltypen sogar sechs, bis alle Cas-Reste beseitigt sind und die Zellen dem Patienten zurückgegeben werden können. „Das Problem dabei ist, dass nicht alle Zellen so lange kultivierbar sind“, sagt Volk. Zu diesen gehören auch die wichtigsten Zellen, die derzeit in der Gentherapie eingesetzt werden: die blutbildenden Stammzellen aus dem Knochenmark. Sie verlieren dann schlicht ihre wichtigen Stammzell-Eigenschaften. Entweder müssen also die Zellkultur-Bedingungen verbessert werden. Oder schneller abbaubare Cas-Varianten sind nötig.

Eine andere Option wären Cas-Varianten aus Bakterien, die mit Menschen nicht in Kontakt kommen. Sie wären „neu“ für das Immunsystem und es bliebe genug Zeit, Gene im Erbgut zu verändern. „Um das zu klären, haben wir Cas-Proteine von anderen Bakterien mit Immunzellen des Menschen zusammengebracht, aber selbst bei denen attackieren die Immunzellen“, sagt Schmück-Henneresse. Es reiche also nicht aus, andere Cas-Proteine zu nutzen, denn sie ähnelten sich selbst bei entfernt verwandten Bakterien so sehr, dass das Immunsystem sie als fremd erkennt.

Hoffnung auf Hilfe von Helferzellen

Die Berliner arbeiten deshalb nun an einem anderen Ansatz: die Gen-Schere aktiv vor dem Immunsystem zu schützen, ähnlich wie etwa Spenderorgane. „Eine vorübergehende medikamentöse Immunsuppression ist ein Weg, der bereits heute in Gentherapiestudien erfolgreich angewandt wird“, sagt Cathomen. Allerdings sind damit Risiken verbunden: etwa Infektionen mit sonst ungefährlichen Erregern.

Volks Team hat deshalb eine gezielte, auf ganz bestimmte Teile des Immunsystems beschränkte Hemmung im Sinn. „Jede Immunantwort ist balanciert“, sagt Petra Reinke, Direktorin des neugegründeten Berlin Center for Advanced Therapies (BECAT) und Teil des Forschungsteams: Es gibt die abwehrende Entzündungsreaktion, aber immer auch eine entzündungshemmende Immunantwort. Letztere wird von sogenannten regulatorischen T-Zellen getragen. Sie wirken der Entzündung entgegen und verhindern, dass sie außer Kontrolle gerät. „Tatsächlich zeigen alle getesteten Menschen nicht nur eine Entzündungsreaktion auf Cas, sondern lösen zusätzlich eine regulatorische T-Zell-Antwort aus, eine entzündungshemmende.“ Das Berliner Team hat bereits jene regulatorischen T-Zellen, die nur Entzündungsreaktionen gegen Cas-Protein entgegensteuern, isoliert und vermehrt. Die Idee ist, sie mit den modifizierten, gentherapierten Zellen eines Patienten gemeinsam zurückzuspritzen, so dass eine Immunreaktion gedämpft wird, sagt Reinke. Ob das funktioniert, soll in Berlin Ende 2019 erstmals an Patienten getestet werden, die sonst kaum eine Chance auf Heilung hätten. Zwar bestehe ein Risiko, sagt Volk, dass das Immunsystem dann Streptokokken weniger gut bekämpfen könne. Es sei aber vertretbar. Im Interesse der Patienten könne und müsse man es auch eingehen.

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