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Wissen und Technik - 05.06.2019

„Politik ist in der Schule etwas Elitäres“

Politik- oder Gesellschaftskunde-Unterricht ist unter den Schulformen ungleich verteilt. Nach einer Studie schneiden Gymnasien besser ab als Sekundarschulen.

Schülerinnen und Schüler bei der U 18-Wahl zum Deutschen Bundestag – hier an der Herbert-Hoover-Schule, einer Integrierten…

Die politische Bildung ist neben dem Umgang mit der Digitalisierung das bildungspolitische Thema der Stunde. Denn in Zeiten des aufsteigenden Rechtspopulismus und der bewussten Verbreitung von Falschnachrichten im Internet ist die Frage, wie Schülerinnen und Schülern demokratische Grundwerte und politische Handelsfähigkeit vermittelt werden können, wichtiger denn je.

Doch wie ist es um den Zugang von Kindern und Jugendlichen in Deutschland zu politischer Bildung in der Schule bestellt? Um das herauszufinden, hat die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung eine Studie in Auftrag gegeben, die jetzt von Sabine Achour präsentiert wurde. Die Professorin für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin hat die Studie gemeinsam mit ihrer Kollegin Susanne Wagner verfasst.

Politische Bildung an Gymnasien umfangreicher

Achours erster Überblick macht deutlich, dass politische Bildung an Gymnasien umfangreicher und qualitativ hochwertiger ist als an anderen Schulformen. Achour und Wagner betitelten die Studie dementsprechend mit „Wer hat, dem wird gegeben“ (eine Zusammenfassung der Studie finden Sie hier).

Damit weisen sie darauf hin, dass Gymnasiasten häufiger aus bildungsnahen Elternhäusern kommen. Sie verfügten damit bereits über ein höheres kulturelles und soziales Kapital. Umso wichtiger sei es, so die Autorinnen, politische Bildung an allen Schulen zu stärken. Kulturell und sozial bereits benachteiligten Schülerinnen und Schülern müsse ein gleichberechtigter Zugang zu politischer Bildung ermöglicht werden, ansonsten könnte sich das in Zukunft rächen. „Für wessen politische Mündigkeit sich nicht eingesetzt wird, der setzt sich auch weniger für Demokratie und Vielfalt ein“, schreiben Achour und Wagner.

Nur die Hälfte hat Politik als eigenständiges Fach

Die Wissenschaftlerinnen haben mit ihrem Team 3400 Schülerinnen und Schüler der Klassen neun bis dreizehn an 99 Schulen in Deutschland befragt. Die Umfrage sei also nicht repräsentativ, gebe aber einen guten Einblick in die Thematik, sagt Achour. Zu den Schulformen gehörten Gymnasien, sonstige allgemeinbildende Schulen, also Schularten mit mehreren Bildungsgängen, Integrierte Gesamtschulen und Realschulen sowie berufliche Gymnasien, Berufs- und Berufsfachschulen. Die Forscherinnen wollten wissen, wie Qualität und Quantität des Unterrichts aussehen und fragten nach Politikkompetenz, Vertrauen in die Demokratie und Einstellungen zu demokratischen Grundwerten und zu sozialen Gruppen.

Ein zentrales Ergebnis: Politische Bildung ist ein fester Bestandteil in allen untersuchten Schulformen ab der neunten Klasse. Aber nur bei etwa der Hälfte der befragten Schülerinnen und Schüler der Klassen neun und zehn ist Politik auch ein eigenständiges Fach. Während 60 Prozent der Gymnasiasten zwei Stunden Unterricht in der Woche haben, trifft dies nur auf ein Drittel der anderen Schülerinnen und Schüler zu. In den Klassen elf bis dreizehn wird der Umfang der politischen Bildung an Gymnasien noch erhöht, was die Ungleichheit weiter ausprägt.

Mehr externe Gäste an Gymnasien

Auch die Qualität des Unterrichts wird von Schülerinnen und Schülern an Gymnasien als etwas besser wahrgenommen als in anderen Schulformen. An Gymnasien wird zudem die aktive Demokratiebildung intensiver gefördert, etwa durch basisdemokratische Schulversammlungen. Auch externe Gäste, etwa aus Politik oder NGOs werden häufiger eingeladen.

So überrascht es nicht, dass Gymnasiasten ihre politische Kompetenz positiver einschätzen. Ihre Fähigkeit, einen Standpunkt zu einem umstrittenen politischen Problem vertreten zu können, bewerteten sie deutlich höher als Schülerinnen und Schüler einer Berufsfachschule. „Politik bleibt etwas Elitäres“, fasst Achour die Ergebnisse zusammen. So steige das Interesse an Politik häufig erst ab der Klasse elf – und damit nur noch bei Schülerinnen und Schülern, die ihr Abitur machten.

Gymnasiasten positiver gegenüber Juden und Muslimen

Dies könnte sich auch auf die Einstellungen der Befragten gegenüber Minderheiten auswirken, wobei mit unmittelbaren Kausalitäten vorsichtig umgegangen werden müsse, sagt Achour. Trotzdem wird in der Studie deutlich: Schülerinnen und Schüler an Gymnasien stimmten seltener Aussagen wie „Es leben zu viele Migranten in Deutschland“ oder „Die meisten Asylbewerber kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen“ zu als die Befragten an anderen Schulen. Auch Einstellungen gegenüber Muslimen und Juden sind bei Gymnasiasten positiver.

Ein Problem sieht Achour darin, dass sich nach dem Schock der ersten Pisa-Studien stark auf MINT-Fächer konzentriert wurde, weshalb es zu Kürzungen im gesellschaftspolitischen Bereich kam. Ihre Einschätzung bestätigen Zahlen, die die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft im März veröffentlichte. Insbesondere an Haupt- und Realschulen liegen die Spitzenwerte des fachfremden Unterrichts in Politik demnach bei über 80 Prozent. In Bayern werden nur 0,5 Prozent des Unterrichts an Gymnasien politischer Bildung gewidmet. Bezeichnenderweise verweigerte Bayern als einziges Bundesland die Teilnahme an der Studie. Die Begründung laut Achour: Politische Bildung an Schulen sei kein interessantes Forschungsgebiet.

Reichen einzelne Projekte aus?

Bei der Podiumsdiskussion in der FES gingen die Meinungen vor allem darüber auseinander, ob es ein eigenes Schulfach Politik brauche oder das Thema fächerübergreifend gelehrt werden könne. Die Hamburger SPD-Politikerin Barbara Duden sieht Letzteres als realistische Alternative, bei den vielen Anforderungen an die Lehrpläne und den begrenzten Wochenstunden. Ihr pflichtet Maik Reichel bei, Direktor der Landeszentrale für politische Bildung in Sachsen-Anhalt. Er hätte etwa große Erfolge mit Projekten wie „Shoah im Chanson“ erfahren, wo Schülerinnen und Schüler gleichzeitig über den Holocaust und Französisch lernen.

Sabine Achour sieht das anders. „Wenn politische Bildung nur fächerübergreifend unterrichtet werden soll, ist das Fach tot“, lautet ihre Einschätzung. Dem stimmt der stellvertretende Berliner Landesschülersprecher Felix Stephanowitz zu. Der Landesschülerausschuss Berlin hatte sich für eine Stärkung des Faches Politische Bildung ausgesprochen – mit Erfolg. Stephanowitz hebt auch den Einsatz sozialer Medien im Unterricht hervor. Rezos Youtube-Video über die CDU hätten sich alle seine Freunde angeguckt, sagt der Neuntklässler. Lange Parteiprogramme mit Worten, die keiner versteht, lese sich hingegen niemand durch. Der Einsatz digitaler Medien könnte auch Schülerinnen und Schüler aus weniger bildungsnahen Elternhäusern animieren, sich mehr mit Politik zu beschäftigen.

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