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Wissen und Technik - 04.06.2019

Paare mit Kinderwunsch sollen es leichter haben

Die Regelungen zu Eizellspende und Leihmutterschaft sind längst nicht mehr zeitgemäß. Wissenschaftler fordern ein neues Fortpflanzungsmedizingesetz.

Samenspenden sind in Deutschland erlaubt, Eizellspenden bisher nicht.

Es ist eines der umstrittensten Themen in der Fortpflanzungsmedizin: Dürfen Frauen, die wegen eines Problems mit ihren Eizellen auf natürlichem Weg nicht schwanger werden können, versuchen, ihren Kinderwunsch mit Hilfe einer Eizellspende zu realisieren? Dafür werden die Eierstöcke der Spenderin mit Medikamenten stimuliert. Anschließend entnehmen Mediziner die gereiften Eizellen und befruchten sie „in vitro“ – außerhalb des Körpers – mit Samenzellen des Partners der „Wunschmutter“, bevor sie ihr wieder übertragen werden.

Das aktuelle Gesetz von 1990 steht schon lange in der Kritik

Neben der Schweiz, Norwegen und Luxemburg ist Deutschland das einzige Land Europas, das die Eizellspende verbietet. Ähnlich ist die Situation auch bei anderen Themen, etwa der Leihmutterschaft. Schon seit Jahren wird moniert, dass das deutsche Embryonenschutzgesetz aus dem Jahr 1990 angesichts des medizinischen Fortschritts und veränderter Vorstellungen von Familie nicht mehr auf der Höhe der Zeit ist. Dass es Lücken enthält, zu rechtlicher Unsicherheit führt und wegen widersprüchlich erscheinender Wertungen als ungerecht empfunden werden kann.

„Die deutsche Gesetzgebung engt unsere Möglichkeiten ein, weil sie unter Strafe stellt. Das ist in diesem Bereich längst überholt von der Wissenschaft“, sagte Ulrich Hilland, Vorstand des Bundesverbands Reproduktionsmedizinischer Zentren, der dpa. Im Vergleich zu anderen Ländern sei die Situation in Deutschland besonders „repressiv“. Politisch werde das Thema seit 20 Jahren ausgesessen.

Die Eizellspende soll bald auch hier möglich sein

Vor diesem Hintergrund haben die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften am Dienstag in Berlin Empfehlungen für ein Fortpflanzungsmedizingesetz vorgestellt (hier online abrufbar).

Die Autoren um den Juristen Jochen Taupitz, der an den Universitäten Heidelberg und Mannheim forscht und Sprecher der Arbeitsgruppe ist, plädieren für ein Gesetz, das vom Grundgedanken getragen ist, die Familienbildung zu erleichtern. Dazu gehört, dass die Eizellspende bald auch in Deutschland möglich sein soll.

Studien aus anderen europäischen Ländern zeigen, dass Kinder, die aus einer gespendeten Eizelle entstanden sind, sich nicht anders entwickeln als ihre Altersgenossen, die ebenfalls per künstlicher Befruchtung (In-vitro-Fertilisation, IVF) gezeugt wurden.

Die Risiken für die Gesundheit der Spenderinnen seien zudem durch verträglichere hormonelle Stimulation etwas geringer geworden, und man könne der Gefahr, dass Frauen in sozialen Notlagen ihre Eizellen gegen Geld spenden, durch passende Regelungen vorbeugen, argumentieren die Akademien. Schätzungen zufolge gehen derzeit Frauen aus Deutschland jedes Jahr für insgesamt mehrere Tausend Behandlungszyklen ins Ausland, etwa nach Spanien, Tschechien oder in die Ukraine.

Kassen sollen in vollem Umfang bezahlen

Auch die Sorge, dass „gespaltene Mutterschaft“ zu besonders gravierenden Problemen führen könnte, habe sich in Studien nicht bestätigt. Die Akademien halten es deshalb nicht mehr für angemessen, rechtlich einen Unterschied zwischen der – schon heute erlaubten – Samenspende und der Eizellspende zu machen. „Zu unterstellen, dass die Elternrolle einer Frau einen signifikant anderen Stellenwert für das Kind hat als die Elternrolle eines Mannes, ist heute angesichts neuer Leitbilder von verantwortlicher Elternschaft nicht mehr ohne Weiteres plausibel“, heißt es in der Stellungnahme.

Unter einer erleichterten Familienbildung verstehen die Autoren auch, dass die gesetzlichen Krankenkassen die notwendigen Behandlungen in vollem Umfang bezahlen, und zwar im Einzelfall auch für Menschen unter 25 und über 40 Jahren, und auch wenn mehr als drei Behandlungszyklen notwendig sind. Zudem soll die Finanzierung davon unabhängig sein, ob Paare verheiratet sind oder nicht: „Der Gesetzgeber darf nicht etwa deshalb ein Familienbild zum fortpflanzungsrechtlichen Leitmodell erklären, weil ihm der überwiegende Teil der Bevölkerung faktisch anhängt“, steht in der Stellungnahme.

Neben der medizinisch-biologischen Unfruchtbarkeit heterosexueller Paare gelte es auch die „soziale Infertilität“ in den Blick zu nehmen, also wenn die sexuelle Orientierung oder Lebensweise es nicht ermöglicht, mit Partner oder Partnerin ein Kind zu zeugen.

Während es aus wissenschaftlicher Sicht für die Elternschaft gleichgeschlechtlicher Paare längst grünes Licht gibt, sehen die Autoren die Inanspruchnahme reproduktionsmedizinischer Maßnahmen durch Frauen kritischer, die eine „Solomutterschaft“ gezielt planen. Hier müsse von vornherein durch ausführliche Beratung sichergestellt sein, dass Nachteile, die mit der Solomutterschaft einhergehen, durch Dritte ausgeglichen werden können, die für das Kind Verantwortung mit übernehmen.

Kenntnis von Halb- oder Vollgeschwistern

Ein Dritter oder eine Dritte jedenfalls ist in jedem Fall von den Entscheidungen betroffen: das Kind, das die Eltern sich wünschen. Elementare Bedeutung für dessen Wohl hat das Recht, die eigene Abstammung zu kennen. Heutzutage wird dem mit dem Samenspender-Registergesetz von 2018 Rechnung getragen. Soweit möglich, sollten in das Register aber auch Daten von früheren Spenden aufgenommen werden, regen die Autoren an.

Nach Ansicht der Leopoldina sollte es zudem möglich sein, Kenntnis von der Existenz von Halb- oder Vollgeschwistern zu erhalten. Rechtzeitige Aufklärung von Heranwachsenden über ihre genetische Abstammung sei unverzichtbar – auch wenn die Gene nicht überbewertet werden sollten: „Für die Qualität des konkreten Familienlebens ist das Eltern-Kind-Verhältnis nach der Geburt entscheidend“, schreiben sie.

Ärzte könnten künftig gezielt Embryonen auswählen

Zum Kindeswohl gehört auch, dass Frauen in einer Schwangerschaft nicht mehr als ein oder zwei Kinder austragen, um Komplikationen und Frühgeburten zu vermeiden. Die Arbeitsgruppe setzt sich deshalb dafür ein, dass Fortpflanzungsmediziner in Zukunft aus einer größeren Anzahl von Embryonen nur denjenigen mit den besten Entwicklungschancen auswählen und übertragen dürfen.

Derzeit lässt das Embryonenschutzgesetz ein solches Vorgehen nur eingeschränkt zu, zumindest sorgt es für Unsicherheit, denn es verbietet die Erzeugung von Embryonen „auf Vorrat“. Vielfach gehen die behandelnden Ärzte einen „deutschen Mittelweg“, befruchten aus Sicherheitsgründen mehr Embryonen und übertragen davon häufig zwei.

In anderen Ländern wird dagegen die gezielte Auswahl eines Embryos praktiziert, der „elektive Single-Embryo-Transfer“ (eSET), und das mit guten Ergebnissen. „Die Fortpflanzungsmediziner und -medizinerinnen in Deutschland sollten nicht durch die einschlägigen Rechtsvorschriften daran gehindert werden, Behandlungen nach dem internationalen Stand der Wissenschaft durchzuführen“, heißt es nun von der Leopoldina.

Erwägenswert sei stattdessen eine Regelung wie in Belgien, wo die Krankenkassen die Kosten für die Behandlung nur übernehmen, wenn der eSET angewendet wird – zumindest bei Frauen unter 36 Jahren und beim ersten Versuch.

Keine Empfehlung zur Leihmutterschaft

Zur Frage, ob die Leihmutterschaft in Deutschland zugelassen werden sollte, gibt die Leopoldina bewusst keine Empfehlung. Die ethischen und juristischen Fragen, die sich hier stellen, sind tatsächlich extrem komplex. Allerdings müsse Deutschland Regelungen für den Fall haben, dass hierzulande Kinder aufwachsen, die in einem anderen Land von einer Leihmutter ausgetragen wurden.

Wer hat das Sorgerecht? Wer muss für den Unterhalt sorgen? Welche Staatsbürgerschaft hat das Kind? Die Leopoldina spricht sich dafür aus, das Kind den Wunscheltern rechtlich sicher zuzuordnen, ob sie nun heterosexuell oder gleichgeschlechtlich, verheiratet oder unverheiratet leben. Auch eine Beratung zur Leihmutterschaft sollte straffrei möglich sein.

Die Wissenschaftler hoffen, mit ihrem 128-seitigen Papier eine Diskussion in der Politik anzustoßen: „Die Komplexität der Materie ist kein Grund, eine gesetzliche Neuregelung weiter aufzuschieben“, schreiben sie.

Das Bundesgesundheitsministerium äußerte sich diesbezüglich nur allgemein, es wolle alle ungewollt kinderlosen Paare gleichermaßen bei der Inanspruchnahme von Kinderwunschbehandlungen unterstützen. Keine Antwort gab es jedoch auf die Frage, ob die aktuell zur Verfügung stehenden Maßnahmen noch als ausreichend und zeitgemäß angesehen werden.

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