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Wissen und Technik - 08.01.2019

Neue Zelltherapien aus dem Wedding

Auf dem Virchower Campus der Charité sollen ab 2018 Zellen als Heilmittel erforscht und bis zur Anwendung am Patienten entwickelt werden.

Stammzellen sind die Basis für künftige Zelltherapien, mit denen Forscher am noch zu bauenden Berlin Center for Advanced Therapies…

Mit Zellen heilen – solche Therapieansätze wird ein neues Institut des Universitätsklinikums Charité erforschen und entwickeln, das der Wissenschaftsrat beschlossen hat. Für 29,4 Millionen Euro, die anteilig vom Land Berlin und dem Bund kommen, wird 2018 auf dem Campus des Virchow-Klinikums im Wedding das Berlin Center for Advanced Therapies, BECAT, entstehen.

„Das besondere am BECAT ist, dass wir eine völlig neue Säule in der Therapie aufbauen wollen, die Entwicklung von ATMPs, Advanced Therapy Medicinal Products“, sagt Petra Reinke, Nephrologin und Transplantationsmedizinerin am Berlin-Brandenburgischen Centrum für Regenerative Medizin, BCRT. Während in Arzneimitteln bislang vor allem chemisch oder biotechnisch produzierte Moleküle als Wirkstoffe fungieren, sind es bei ATMPs die Zellen. Sie werden aus Stammzellen im Labor vermehrt, gentechnisch verändert oder in Kombination mit bestimmten Biomaterialien in den Patienten transplantiert, um Krankheiten zu bekämpfen. Dabei geht es nicht allein um den Ersatz von krankem Gewebe oder gar ganzen Organen, sondern auch um den Einsatz von Immunzellen, mit denen die natürliche Abwehrreaktion des Körpers gegen Krebs- oder Autoimmunerkrankungen gelenkt werden soll.

Therapieentwicklung bis in die Klinik

Der Schwerpunkt der wissenschaftlichen Arbeit am BECAT werde die präklinische Entwicklung neuer Therapieprinzipien und Technologien sein, „aber mit dem ausdrücklichen Anspruch, diese Ideen auch in der Klinik zu testen“, sagt Reinke. Das erfordert eine Produktionsstätte für die Zellen, die klinischen Standards entspricht. Diese zertifizierten Labors (GMP) sind laut Reinke das „Herzstück“ des BECAT. Sie ermöglichen den beteiligten Fachbereichen der medizinischen Fakultät der Charité, die Zellen für neue Therapie-Ideen so zu vermehren, dass sie Patienten in Heilversuchen und klinischen Studien verabreicht werden können. Dafür greifen die Fachdisziplinen tief ins eigene Budget, denn die Betriebskosten des BECAT werden sich pro Jahr auf etwa 1,2 Millionen Euro summieren. Über Drittmittelanträge soll die Belastung der Charité-Budgets auf 400 000 Euro pro Jahr reduziert werden.

Die Patienten werden von den am BECAT zu entwickelnden Therapien profitieren, versichert Reinke. „Und sie profitieren schon jetzt.“ Denn das BECAT fußt auf der Struktur des BCRT, wo es bereits seit acht Jahren eine GMP-Einrichtung mit vier Reinräumen und Herstellungserlaubnis für drei Zelltherapieansätze gibt. Dort werden Immunzellen unter anderem so behandelt, dass sie die Abstoßung von transplantierten Organen verhindern, sodass das Immunsystem des Patienten lernt, das fremde Gewebe zu tolerieren. Dabei werden T-Zellen des Patienten im Labor so „trainiert“, dass sie das transplantierte Organ nicht angreifen, dann vermehrt und den Patienten nach der Transplantation verabreicht.

Abstoßungsreaktion nach Transplantationen verhindern

Komplett lasse sich die Abstoßungsreaktion wohl nie unterbinden, sagt Reinke. Aber es wäre schon ein großer Erfolg, wenn damit das Ausmaß an medikamentöser Unterdrückung der Immunreaktion reduzierbar wäre, das heute überlebensnotwendig ist, aber das Risiko des Patienten für Infektionen und andere Folgeerkrankungen erhöht. Bei zehn Patienten hat Reinke bereits zeigen können, dass mit solchen regulatorischen T-Zellen die Immunreaktion des Körpers gegen das Transplantat so weit verringert werden kann, dass nur noch ein einziges Medikament zur Hemmung der Immunabwehr gegeben werden musste.

Allerdings brauchte es dafür bis zu drei Millionen Zellen pro Kilogramm Körpergewicht der Patienten. „Solche Zellmengen muss man erst einmal vermehren können“, betont Reinke den organisatorischen Aufwand hinter derartigen Therapien. In den neuen GMP-Labors sollen BECAT-Forscher künftig an der Lösung solcher technischer Probleme arbeiten. Möglich seien Studien für bis zu 50 Patienten und bis zur zweiten der drei klinischen Prüfphasen, in der die Wirksamkeit einer Therapie nachgewiesen werden kann, sagt Reinke. Zulassungsrelevante Studien der Phase drei mit Hunderten von Patienten müssten dann Pharmafirmen durchführen, mit denen das BECAT jedoch schon frühzeitig zusammenarbeiten wolle. Mit der israelischen Biotechfirma Pluristem, die aus Plazentagewebe bestimmte Stammzellen isoliert, entwickle das BCRT bereits Zelltherapien gegen arterielle Verschlusskrankheiten.

Zelltherapien sind noch lange sehr teuer

Aber wie können solche Therapien vielen Kliniken weltweit zur Verfügung gestellt werden? Auch das soll am BECAT erforscht werden. „Wir müssen uns nicht nur über die Therapien, sondern auch über die Kosten und die Logistik Gedanken machen“, sagt Reinke. „ATMPs sind teuer, und das wird auch noch eine Weile so sein.“ Denn das Vermehren und Präparieren der therapeutischen Zellen sei noch nicht automatisierbar und weitgehend „Manufaktur“ – wenig attraktiv für eine großindustrielle Anwendung. Daher liege es auch in der Verantwortung der Wissenschaft, über regulatorische Aspekte, Kosten-Nutzen-Abschätzungen und Märkte valide Daten zur Verfügung zu stellen, damit Entscheidungsträger im Gesundheitswesen am Ende die passenden Strukturen schaffen können.

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