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Wissen und Technik - 24.01.2019

Impfen – schädlich oder nicht?

Im Dokumentarfilm „Eingeimpft“ werden Argumente für und gegen die Immunisierung durchgespielt. Das ist unterhaltsam, aber auch gefährlich .

Filmemacher David Sieveking mit seiner Tochter Zaria.

Der junge Vater scheint aus allen Wolken zu fallen, als die Kinderärztin bei der Vorsorgeuntersuchung U4 die demnächst anstehende Impfung gegen Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten, Polio, Pneumokokken und Hämophilus influenzae b anspricht – und seine Frau strikt dagegen ist. Sie fürchtet Nebenwirkungen, hat sogar Angst vor bleibenden, durch eine Impfung verursachten Schäden. Welten scheinen das Paar in diesem Punkt zu trennen: Für ihn ist Impfen das Normale, Angst hat er vor einigen der Krankheiten, gegen die es schützt. Das vorgeschlagene Impf-Paket kommentiert er mit den Worten: „Für mich sieht das nach einem prima Angebot aus.“ Sie dagegen ist extrem skeptisch, will ihr Kind auf keinen Fall schon als Säugling den befürchteten Gefahren aussetzen, könnte sich allenfalls selektiv und zu einem späteren Zeitpunkt zu einzelnen Immunisierungen durchringen.

Der Filmemacher dokumentiert die eigene Familiensituation

Ja, haben die beiden denn vorher nie darüber geredet? In den neun Monaten der Schwangerschaft nicht, und auch nicht in den ersten Lebenswochen ihres Kindes? Nun gut, die wenigsten Paare sprechen schon kurz nach dem Kennenlernen über Impfungen. „Trotzdem kennt man natürlich die medizinischen Grundeinstellungen des anderen, wenn man schon eine Weile zusammen ist und ein Kind erwartet“,  sagt der Berliner Kinderarzt Jakob Maske, Sprecher des Landesverbandes Berlin der Kinder- und Jugendärzte.

Spielt David Sieveking das Erstaunen über die Einstellung seiner Frau, der Mutter seines Kindes, also nur so gut? Zuzutrauen wäre es ihm, schließlich hat der sympathische Schlacks mit der Wuschelfrisur durchaus darstellerische Qualitäten. Sieveking ist Dokumentarfilmer mit einer starken Neigung zu autobiografischen Themen. Bekannt ist er etwa für „Vergiss mein nicht“, der sich seiner Alzheimer-kranken Mutter widmete. „Eingeimpft. Familie mit Nebenwirkungen“ heißt sein jüngstes Werk.

Seine Frau, die Musikerin Jessica de Roij, ist neben Sieveking die zweite Protagonistin des Films. In ihm dokumentiert, oder nachgestellt, sind ausführliche und kontroverse Debatten des kreativen Elternpaars in der schicken Kreuzberger Altbauwohnung. Dazu kommen etliche nachdenkliche Monologe des Filmautors auf dem Balkon derselben. Als Zuschauer begleitet man Sieveking auch auf anthroposophische Infoveranstaltungen und auf einen Spielplatz in der Nachbarschaft, wo er mit anderen Eltern ins Gespräch kommt.  

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Die Wissenschaft hat keine Zweifel über den Sinn des Impfens

Sieveking, junger Vater, medizinischer Laie mit relevanter Expertise allein im Filmemachen und Geschichtenerzählen, rollt selbstbewusst ein Thema „ganz von vorn“ auf, zu dem die Ständige Impfkommission beim Robert Koch-Institut (STIKO) solide Empfehlungen erarbeitet (Impfkalender als PDF), die auf wissenschaftlichen Studien basieren und regelmäßig aktualisiert werden. Es ist immerhin ein Gremium von derzeit 18 ehrenamtlich tätigen Experten, dessen Mitglieder der Bundesgesundheitsminister beruft. Ihre möglichen Interessenkonflikte müssen sie qua Selbstauskunft auf der Homepage offenlegen. An Entscheidungen, bei denen etwa eigene Patente oder die Gabe von Forschungsgeldern durch Impfstoff-Hersteller zu Befangenheit führen könnten, dürfen sie sich nicht beteiligen.

Zudem besteht beim Thema Impfen grundsätzlich großer Konsens in der Wissenschaftler-Community. Sieveking stellt all dem seine eigenen Recherchen entgegen: einen Film, der ihn als neugierigen, aber fachlich zu Beginn recht unbeleckten jungen Vater begleitet. Der Begleittext nährt zudem schlimme Befürchtungen, dort heißt es: „Aber auch unter renommierten Wissenschaftlern gibt es eine kontroverse Debatte, wie David bald feststellen muss“.

Der Film suggeriert, es gebe so viele Impfgegner wie Befürworter

Das stimmt so nicht: Was die grundsätzliche Einstellung zum Impfen betrifft, sind sich seriöse Wissenschaftler heute einig. Der Film versucht sich an einem vermeintlich „ausgewogenen“ Pro-und-Contra-Schema, das die Realität aber in etwa so unausgewogen darstellt wie ein Artikel über den Klimawandel, in dem jene, die meinen, es gebe ihn gar nicht, ebenso viel Platz bekommen wie Forscher, die ihn anhand von Daten klar nachweisen können.

 „Im Bereich des Impfens widerspricht dieses augenscheinlich ausgewogene Vorgehen vollkommen dem Expertenkonsens und der Verteilung der Meinung in der Bevölkerung und suggeriert eine Gleichverteilung der Meinungen“, kommentiert Cornelia Betsch, Heisenberg-Professorin für Gesundheitskommunikation mit Schwerpunkt Impfentscheidung an der Universität Erfurt. Verunsicherung sei die Folge.

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Studien belegen zudem, dass etwa die Masern keineswegs eine harmlose Kinderkrankheit sind: Ein bis zwei von 10.000 Kindern, die die Masern bekommen, sterben daran. Sie führt zu einer etwa sechswöchigen Immunschwäche,die Zweitinfektionen mit Bakterien Vorschub leistet. Am häufigsten sind Lungenentzündungen, Mittelohrentzündungen und Durchfall. Eine ernsthafte Komplikation ist die Masern-Gehirnhautentzündung. Eines von 1000 Masern-Kindern bekommt sie. Bei 20 bis 30 Prozent der Kinder, die nicht an ihr sterben, bleiben mehr oder minder schwere Dauerschäden am Gehirn zurück. In alten Lehrbüchern der Kinderheilkunde kann man noch nachlesen, dass im deutschen Kaiserreich in jedem Jahr etwa 1500 Kinder an den Folgen der Masern verstarben.

Um eine Krankheit auszurotten, müssen 95 Prozent der Menschen geimpft sein 

Heute dagegen wissen viele nicht mehr so recht, wogegen die Vorbeugung sich überhaupt richtet. Nicht „Impfmüdigkeit“ oder gar „Impfgegnerschaft“ der Eltern, sondern schlicht Sorglosigkeit und Nachlässigkeit sind heute die Gründe dafür, dass Kinder nicht oder verspätet geimpft werden. Sobald aber eine gefürchtete Krankheit wie die Diphtherie ausbricht, wendet sich das Blatt: Als es Ende der 1970er Jahre zu einem begrenzten Diphtherie-Ausbruch kam, drängten sich Impfwillige im Kölner Gesundheitsamt. Ex-STIKO-Chef Jan Leidel, der damals dort tätig war, erinnert sich, dass Geimpfte das Gebäude durch die Fenster verlassen mussten.

Mit derart kurzzeitiger Selbstfürsorge allerdings ist wenig gewonnen: Wie man bei den Masernfällen der letzten Jahre gesehen hat, hat die Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Impfung nicht nur Auswirkungen für den Betroffenen selbst oder sein Kind, sondern auch für die Gemeinschaft. Von der „Herdenimmunität“, die durch hohe Impfraten erreicht werden kann, profitieren etwa auch Menschen, die bestimmte Impfungen aus gesundheitlichen Gründen nicht bekommen dürfen.

Und von der Ausrottung einer Krankheit profitieren alle. Dafür ist eine „Durchimpfungsrate“ von 95 Prozent erforderlich. Bei den Masern, die nur von Mensch zu Mensch übertragen werden, wäre das möglich. In vielen Ländern, zumal sozioökonomisch so unterschiedlichen wie Dänemark und der Republik Moldau, ist oder galt sie zwischenzeitlich als bereits erreicht.

Der Zusammenhang zwischen Impfungen und Autismus gilt als widerlegt

All das kommt auch in „Eingeimpft“ zur Sprache. Sieveking tickt zumindest nicht wie Andrew Wakefield, dessen Film „Vaxxed“ 2017 nach Deutschland kam. Der ehemalige britische Magen-Darm-Spezialist hatte dort heftige Vorwürfe gegen die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) der USA erhoben: Sie würden schwere Nebenwirkungen der Masern-Impfung vertuschen. Wakefield hatte schon 1998 in der Fachzeitschrift „The Lancet“ einen Zusammenhang zwischen dem Dreifachimpfstoff gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR) und Autismus hergestellt. Die renommierte Fachzeitschrift zog Wakefields Publikation im Jahr 2004 jedoch vollständig zurück. Der Mediziner verlor wegen unlauterer Methoden sogar seine ärztliche Zulassung.

Große Studien widerlegen inzwischen Wakefields Behauptung – was ihn jedoch nicht daran hinderte, mit dem Film nachzulegen.  

Sieveking hat für seinen 95-minütigen Film, der unter anderem von Bayerischem Rundfunkt, rbb und Arte gefördert wurde, eine ganze Reihe spannender Gespräche mit Experten geführt. Immer mit der frisch und sympathisch anmutenden Haltung naiver Unvoreingenommenheit und kindlicher Neugier.

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