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Wissen und Technik - 14.01.2019

Hochschule der Staatsbürger

Avantgarde der Politikwissenschaft: Vor 70 Jahren wurde die Deutsche Hochschule für Politik gegründet, die Vorläuferin des Otto-Suhr-Instituts an der FU.

Otto Suhr (in der Mitte des Bildes) war erster Direktor der neuen Hochschule – und ab 1955 Regierender Bürgermeister von Berlin….

Über Berlin dröhnten die Rosinenbomber, in der Oper war „Don Carlos“ angekündigt, und der Wetterbericht versprach Regen. Der 15. Januar 1949 war ein Samstag zu Zeiten der Blockade. Am Vortag war Ernst Reuter von der Stadtverordnetenversammlung der Westsektoren zum Oberbürgermeister gewählt worden. Und nun hatte er einen Termin im Ceciliensaal, in der Schule am Nikolsburger Platz: Eröffnungsfeier der Deutschen Hochschule für Politik.

Der britische Stadtkommandant sprach, Reuter sprach, ferner Otto Suhr, Vorsteher der Stadtverordnetenversammlung und Direktor der neuen Hochschule, sowie der spätere Bundespräsident Theodor Heuss. Heuss war schon an der 1920 gegründeten Vorgänger-Hochschule für Politik in leitender Position tätig. Jetzt, bei der Neugründung, forderte er, dass „der Atem der Welt durch die Pforten der Hochschule wehen“ müsse.

„Der Atem der Welt“ soll durch die Hochschule ziehen

Der Atem der Welt wehte zunächst ganz banal durch die noch unverglasten Fenster der noch ungeheizten Klassenzimmer in der Ricarda-Huch-Schule (heute: Sophie-Charlotte-Oberschule), wo der Lehrbetrieb begann. Tagsüber lernten Kinder, abends studierten Erwachsene. Der Wind im heussschen Sinne kam aber auch als Gegenwind aus Ost-Berlin. Schon der Beschluss zur Einrichtung der DHfP war strittig. Er fiel – durchaus symbolbewusst – am 18. März 1948, am 100. Jahrestag des Aufstandes der Demokraten von 1848.

Doch die SED war dagegen: „Der wissenschaftliche Sozialismus, dessen Geburtsstunde die Märzrevolution vor hundert Jahren gewesen sei, müsse an den Universitäten gleichberechtigt durch eine besondere gesellschaftswissenschaftliche Fakultät gelehrt werden“, zitierte das „Neue Deutschland“ aus der Debatte. Und Universität – das war damals die Universität Unter den Linden. Dort sollte die neue Fakultät entstehen. Nun waren es aber Studenten genau dieser Uni, die im April 1948 auf Verhaftungen, Schikanen und wachsenden ideologischen Druck mit dem Ruf nach einer freien Universität im Westen Berlins reagierten. Dieser Ruf wurde so laut, dass die Gründung der Freien Universität bereits am 4. Dezember 1948 gefeiert wurde, sechs Wochen vor Eröffnung der DHfP.

Warum nicht gleich in die FU integriert?

Nun liegt die Frage nah, warum die Politische Wissenschaft nicht gleich in die neue FU integriert wurde, warum es einer separaten Hochschule bedurfte. Dafür gab es mindestens zwei Gründe. Der eine lag im Fach, der andere im Konzept. Politikwissenschaft ist – verglichen mit Medizin, Jura oder Philosophie – ein junges Fach, auch wenn es aus antiken Quellen schöpft. Doch die systematische Analyse von Politik setzte in Deutschland auf breiterer Ebene erst nach dem Zweiten Weltkrieg ein. Die alteingesessenen Universitäten fremdelten mit dem neuen Fach und richteten nur zögerlich einige Lehrstühle ein. Die DHfP war in diesem Sinn Avantgarde in den 20er Jahren, und sie war es 1949 erneut.

Zudem knüpfte die neue Hochschule für Politik an das Konzept der alten an: Nicht der klassische akademische Betrieb, der vom Abitur über Hörsaal und Klausur zum Examen führte, war das Leitbild, sondern eine für alle offene Bildungsstätte der Staatsbürger.

Eine Staatsbürgerschule schon 1918

Friedrich Naumann hatte mit seiner Staatsbürgerschule 1918 das Fundament gelegt, der famose Industrielle Robert Bosch hatte es finanziert, Ernst Jäckh und Theodor Heuss – damals beide vielseitig akademisch gebildete Journalisten aus Heilbronn – trieben nach Naumanns Tod die Transformation zu der am 24. Oktober 1920 eröffneten Hochschule voran. Ansporn war die Einsicht, dass es Deutschland an einem politisch gebildeten Volk und entsprechenden Führungskräften fehlte. Der Obrigkeitsstaat wilhelminischer Prägung hatte dieses Personal nicht hervorgebracht. Spätestens nach der Novemberrevolution wurde der Mangel offensichtlich.

Die neue Hochschule – Sitz war die ehemalige Bauakademie, gegenüber vom Schloss – sollte Abhilfe schaffen. Formale Studienvoraussetzungen wie Abitur oder Eignungsprüfung gab es zunächst nicht. Ohnehin richtete man sich primär an Menschen, die im Beruf standen und sich weiterbilden wollten. Der angehende Kriegsfotograf Robert Capa, Kreuzbergs Nachkriegsbürgermeister Willy Kressmann oder Heinrich Blücher, später Mann von Hannah Arendt und Professor am Bard-College, nutzten diese Offenheit. Insofern hatte die DHfP den Charakter einer ambitionierten Volkshochschule, allerdings nicht auf Dauer. Bald wurden Prüfungen gefordert und Diplome. Und so wurde eine akademische Abteilung eingerichtet, gewissermaßen als Oberstufe. Die Qualität des Lehrpersonals, eine Mischung aus Theoretikern und Praktikern, aus Haupt- und Nebenamtlichen – darunter Gertrud Bäumer, Emil Dovifat, Ernst Fraenkel, Rudolf Hilferding und Friedrich Meinecke –, ließ diese Entwicklung zu.

Später allerdings tröpfelte der Deutschtumsirrsinn in die eigentlich republikanische Hochschule. 1933 wurde der von Demokraten geprägte Trägerverein liquidiert. Die Hochschule geriet in die Fänge von Joseph Goebbels, bevor ihre Reste als Auslandswissenschaftliche Fakultät in die Universität eingegliedert wurden. Einige Dozenten waren da schon in Exil oder Widerstand. Angehörige des Widerstands gab es allerdings selbst in der gleichgeschalteten Fakultät: Harro Schulze-Boysen, Mildred Harnack, Albrecht Haushofer.

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1949 dann der Neubeginn. Suhr, der schon beim Vorläufer unterrichtet hatte, war Motor des Projektes, suchte (und fand) Unterstützung erst in der SPD, dann bei CDU und LDPD. Suhr wurde erster Direktor und blieb es bis 1955, bis zu seiner Wahl zum Regierenden Bürgermeister. Er gewann emigrierte Dozenten wie Fraenkel, Jäckh, Paul Tillich oder Franz Neumann für ein Engagement. Er sorgte auch für bessere Räume: Von der Ricarda-Huch-Schule ging es in das Haus der früheren Lignose-Sprengstoffwerke in der Albrecht-Achilles-Straße 65, dann in die Badensche Straße 51, wo heute die Hochschule für Wirtschaft und Recht residiert. Zugleich trieb Suhr die Selbstverständigung der Politikwissenschaftler zu Lehre und Forschung voran und deren Vernetzung in der Deutschen Vereinigung für politische Wissenschaft.

Die Politikwissenschaft als „Integrationswissenschaft“

Ernst Fraenkel schärfte das Profil der Disziplin als „Integrationswissenschaft“. Damit wurde der multiperspektivische Blick auf die Politik – die Betrachtung unter soziologischen, juristischen, ökonomischen, historischen, psychologischen Aspekten und mit verschiedensten Methoden – zum definierenden Element des Faches. Dieser Vielfalt entsprach der Pluralismus in der DHfP: Neben Sozialdemokraten unterschiedlicher Schattierung lehrten und lernten Liberale und Konservative.

Zu den Absolventen zählen Harry Ristock, später Senator (SPD), Karl-Hermann-Flach, später Generalsekretär (FDP), Fritz-Ullrich Fack, später Herausgeber der „FAZ“. Auch in der neuen DHfP gab es eine Entwicklung vom Weiterbildungsangebot zum regulären Studium – wieder auf Drängen der Studierenden, einer Generation, der der Krieg die Jugend gestohlen und die keine Zeit hatte, sich nur spaßeshalber zu bilden. So gab es eine Tendenz zum „Vollstudenten“, auch weil diese bessere Lebensmittelkarten bekamen.

Ein erfolgreiches Scheitern der DHfP

Doch ohne Diplom oder Promotion fehlte der DHfP die Attraktivität. Die Studentenzahlen gingen zurück. So scheiterte – erneut – das Konzept einer politologischen Volkshochschule ohne Eingangsvoraussetzungen und ohne Abschlusszeugnisse. Doch diesmal scheiterte es erfolgreicher, gewissermaßen durch Aufstieg: Einerseits führte die DHfP einen Diplomstudiengang ein, andererseits begann eine intensive Kooperation mit der FU, die von der Gründung eines gemeinsamen Forschungsinstituts für politische Wissenschaft über die Anerkennung der Studienabschlüsse und das Recht zur Promotion reichte.

Am Ende stand im April 1959 die Überführung der Hochschule für Politik als interfakultatives Institut mit dann gleich elf Lehrstühlen in die Freie Universität – das deutschlandweit größte Institut seines Faches. Benannt wurde es nach dem 1957 verstorbenen ersten Direktor der DHfP: Otto-Suhr-Institut.

Der Autor ist Journalist. Er war von 1992 bis 1996 Sprecher der FU. 2001 bis 2016 leitete er den OSI-Club, den Verein der OSI-Alumni. Zum 70-jährigen Jubiläum gibt es im Otto-Suhr-Institut am Dienstag (15.1.) eine Feierstunde. Den Festvortrag hält der Politologe Gerhard Göhler. Von 16 bis 16 Uhr 30, Ihnestraße 22/Hörsaal G.

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