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Wissen und Technik - 15.02.2019

Heiße Bilder – und manchmal auch schmutzige Farben

Was machen Tattoo-Pigmente im Organismus? Im MRT können sie sich erhitzen, in der Leber lagern sie sich ab. Doch noch weiß man zu wenig, kritisiert ein Experte.

Bunt fürs Leben. Niemand weiß, wie viele Tattoos täglich gestochen werden. Und dazu, was die Pigmente im Körper bewirken, ist auch…

Jeden Tag melden sich in Deutschland ungezählte Freiwillige für einen riesigen medizinischen Feldversuch. Sie sind sogar bereit, Schmerzen zu ertragen. Sie sind sich bewusst, dass die Prozedur bei ihnen Spuren hinterlassen wird und dass sie die Folgen für den Rest ihres Lebens mit sich herumtragen werden. Sie bezahlen sogar noch Geld für einen blutigen und oft auch noch langwierigen Eingriff.

Die Umschreibung als Feldversuch für die Stech-Routine in Tätowierstudios stammt von dem Regensburger Physiker und Experten für Tattoo-Entfernung per Laser Wolfgang Bäumler. Denn was die Pigmente im Körper machen, welche Folgen die jahrzehntelange Koexistenz mit jenen Chemikalien haben kann, welche Abbauprodukte entstehen, wohin sie wandern und welche Wirkungen sie haben, ist bisher kaum bekannt.

Pigmente lebenslang

Es gibt allerdings ein paar methodische Probleme mit jenem Feldversuch. Die wichtigsten sind, dass er ohne Versuchsleiter auskommen muss, dass niemand die Teilnehmer in einer Datenbank registriert oder dokumentiert, was, wie viel und mit welchen Pigmenten gestochen wird. Dass es tatsächlich „ungezählte“ Freiwillige sind, kommt dazu. Denn sie zählt wirklich niemand, auch der Bundesverband Tattoo kann auf Nachfrage keine Angaben liefern.

Ein bisschen beruhigend ist sicher die Tatsache, dass bisher niemandem aufgefallen ist, dass Tätowierte häufiger plötzlich tot umfallen als andere, oder früher sterben, oder bestimmte Krankheiten öfter bekommen. Das kann allerdings auch daran liegen, dass Tattoos auf Totenscheinen keine Rolle spielen und es eben keine Statistiken oder gar kontrollierte Studien dazu gibt. Möglich wären sie. Und nötig, sagt Bäumler: „Ich habe versucht, die Frage ,Haben Sie eine Tätowierung?‘ im Fragebogen für die ,Nationale Kohorte‘ unterzubringen, das hat aber nicht geklappt.“ In jener „Nationalen Kohorte“, die mittlerweile in „Nako-Gesundheitsstudie“ umbenannt wurde, soll die Gesundheit von 200 000 Menschen über Jahrzehnte dokumentiert werden. Das geschieht unter anderem anhand jener Fragebögen, mit deren Hilfe nach Zusammenhängen mit Ernährung, Lebensstil, sozialen Verhältnissen und Ähnlichem gesucht wird. Sie läuft seit 2014.

Tätowiermittel-Verordnung

Bäumler wurde seinerzeit gesagt, Tätowierungen seien schließlich freiwillig und man dürfe den Kohorten-Teilnehmern auch nicht zu viele Fragen zumuten. „Viel Süßes zu essen, ist ja nun aber auch freiwillig“, sagt Bäumler, der die Entscheidung bis heute nicht nachvollziehen kann. Schließlich hätten nach jüngsten Erhebungen ein Viertel der in Deutschland Lebenden Tattoos. Auch hier allerdings ist die Datengrundlage mäßig, in anderen Statistiken ist von etwa zehn Prozent die Rede.

Tatsächlich sind offiziell gemäß der seit 2008 geltenden deutschen „Tätowiermittel-Verordnung“ einige Pigmente, die früher häufig zum Einsatz kamen, nicht mehr zugelassen. Dazu gehören bestimmte, auch in Kosmetik und Bekleidung nicht mehr erlaubte Azo-Farbstoffe. Die sind nicht an sich gefährlich, sondern wenn sie zerfallen. Dann können potenziell krebserregende aromatische Amine abgespalten werden. „Aber der Markt ist extrem unübersichtlich, oft sind Pigmente nicht richtig deklariert oder verunreinigt“, sagt Bäumler. „Hinterhof-Tätowierer“ könnten die nicht zugelassenen auch über das Internet ordern. Und echte Kontrollen, die den Namen verdienten, gebe es gar nicht. Bei Stichproben würden aber immer wieder solche Substanzen sichergestellt.

Ein weiteres Problem ist, dass man über die Wirkungen der Pigmente, Zusatzstoffe, regelmäßig vorkommender Verunreinigungen oder ihrer Spaltprodukte im Körper sehr wenig weiß. In einem Beitrag für eine Fachzeitschrift werden Ines Schreiver und Andreas Luch vom Bundesinstitut für Risikobewertung blumiger als manche Rosen-Tätowierung, wenn sie das „dunkle Ende des Regenbogens – Datenlücken in der Toxikologie von Tattoos“ beschreiben. Alarm schlagen auch sie nicht und verweisen bei bestimmten verdächtigen Inhaltsstoffen auf Tierexperimente, die keine Giftigkeit oder erhöhte Krebsraten nachwiesen. Tatsächlich aber könnten solche Versuche darüber, was wirklich in der menschlichen Haut und sonst wo im Körper stattfinde, kaum etwas aussagen.

Plagiate unter der Haut

Klar ist, dass die Pigmente nicht einfach nur inert in der Haut liegen. Direkt nach dem Stechen transportiert das Immunsystem einen Großteil davon ab, nicht selten färben sich dann die nahen Lymphknoten ein. Bei Leuten, die ihre Tattoos schon lange haben, finden sich Pigmente und deren Abbauprodukte auch in verschiedenen Organen, unter anderem der wichtigsten Entgiftungsstelle des Körpers, der Leber. Zudem, so fanden Dermatologen erst im vergangenen Jahr heraus, sorgen Abwehrzellen auch für einen ständigen Umsatz der Pigmente. Das Tattoo wird gleichsam immer wieder „abgeschrieben“, was auch erklärt, warum die Hautkunst mit den Jahren immer unschärfer wird.

Etwas bessere Erkenntnisse liegen zu Infektionen und Allergien vor. Schreiver und Luch sprechen hier von deutlichen Effekten auf die Gesundheit. Eine entscheidende Substanz scheint Nickel zu sein, ein Schwermetall, das in vielen verwendeten Farben vorkommt und auf das zehn bis 15 Prozent der Bevölkerung allergisch reagieren. Auch Sarkoidose, eine immunbedingte entzündliche Erkrankung des Bindegewebes, ist im Zusammenhang mit Tattoos wiederholt beschrieben worden.

Manchmal werden Tätowierungen aus ganz anderen Gründen auch lange nach dem Stechen wieder schmerzhaft: Über eine der wichtigsten modernen medizinischen Diagnosemethoden, die Magnetresonanztomografie, gibt es immer wieder Berichte, sie könne Tattoo-Trägern schaden. „Da kommen Hochfrequenzfelder zum Einsatz“, sagt Nikolaus Weiskopf vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig. Magnetresonanz bedeute hier auch, dass „geeignete Materialien sehr viel Energie aufnehmen“. Solche sind oft in Tattoos enthalten. Und „Energie aufnehmen“ heißt, dass die Bilder sich stark erwärmen könnten, bis hin zu Verbrennungen, so Weiskopf.

Erst denken, dann stechen – oder es bleiben – lassen

Ob und wenn ja wie riskant das Verfahren ist, wurde allerdings bislang nie systematisch untersucht. Weiskopf, der vor seinem Umzug nach Leipzig am Wellcome Center for Human Neuroimaging in London arbeitete, begann zusammen mit seiner dortigen Kollegin Martina Callaghan 2011 und anderen deshalb eine Studie. In ihr unterzogen sich freiwillige Probanden MRT-Scans. Die Mediziner und Physiker ließen nur Testpersonen in die Maschine, deren Tattoos Durchmesser von weniger als 20 Zentimetern hatten – und registrierten unter 330 Probanden nur einmal eine Hautirritation. Bei größeren ist die Gefahr der Erhitzung aufgrund ihrer dann zu den Magnetwellen passenden „Resonanzlänge“ wahrscheinlich erhöht.

„Es gab immer Fallberichte, in denen große Tätowierungen ein Risiko darstellen“, sagt auch Fabian Bamberg, Ärztlicher Direktor der Klinik für Radiologie am Uniklinikum Freiburg. Tatsächlich werden Tätowierte speziell aufgeklärt, sollen per Knopfdruck melden, wenn sie ein irritierendes Gefühl im Tattoo-Bereich verspüren, oder kühlende Tücher werden schon vorbeugend aufgelegt. All das führe dazu, dass es praktisch nie zu Verbrennungen komme. Oft, so Konstantin Nikolaou, Chef der Radiologie an der Tübinger Uniklinik, sei es auch möglich, die Magnetfeldstärke von drei auf 1,5 Tesla zu drosseln. Das bedeutet neben weniger Energie allerdings auch, dass die Aufnahmen weniger gut werden. Und auch das Tattoo selbst kann sie verzerren.

Immer mehr Tätowierte wollen die Bilder auch wieder loswerden. Das allerdings meist nicht aus Angst vor Verbrennungen oder aromatischen Aminen, sondern eher aus ästhetischen oder psychologischen Gründen – wer trägt schon gerne den Namen des Ex am Fußgelenk? Gerade das ist aber möglicherweise auch nicht gesund. Denn die Zerstörung per Laser lässt genau das entstehen, was als problematisch in Verdacht steht: alle möglichen Abbauprodukte, darunter so bekannte und giftige wie Blausäure. Der beste Rat, den man geben könne, sei: „Nachdenken, bevor man sich ein Tattoo stechen lässt“, sagt Bäumler. Auf Englisch kann man sich das besser merken: Think before you ink!

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