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Wissen und Technik - 16.11.2018

Ein Mensch meiner Färbung

Der junge Humboldt war ein Abenteurer – aber auch der Greis hatte es in sich. Einige Anekdoten aus seinen späten Jahren in Berlin.

Gedankenvoll. Nach seinen Wander- und Pariser Jahren lebte Alexander von Humboldt in Berlin – stets bestrebt, diese „moralische…

Im Kanu durch den südamerikanischen Dschungel und rauf auf den schneebedeckten Chimborazo: Die Abenteuer Alexander von Humboldts (1769–1859) sind wohlbekannt. Weniger geläufig sind seine späten Jahre in Berlin, in denen er sein berühmtes Hauptwerk „Kosmos“ schrieb. Anlässlich des kommenden Humboldt-Jahres 2019 zum 250. Geburtstag des Naturforschers (siehe nebenstehenden Text) drucken wir eine Auswahl von Anekdoten aus dem neuen Humboldt-Buch von Tagesspiegel-Redakteurin Dorothee Nolte – Episoden, die von Humboldts Rolle in der Welt der Wissenschaft und Bildung um 1850 handeln.

Fledermausartiges Leben

Fern- und Forschungsreisen wird Alexander im letzten Vierteljahrhundert seines Lebens nicht mehr unternehmen. Sein Lebensmittelpunkt ist jetzt Berlin, Hauptinhalt das Schreiben des „Kosmos“, er wohnt mit seinem Diener Johann Seifert in einer Mietwohnung in der Oranienburger Straße. Ruhig und gemächlich ist sein Dasein aber nicht, denn der Hof verlangt seine Anwesenheit, der König seine Unterhaltung. Humboldt verbringt viel Zeit in den verschiedenen Residenzen, in Potsdam, Berlin, Charlottenburg und nutzt dafür ab 1839 auch die neu angelegte Eisenbahnverbindung zwischen Berlin und Potsdam.

„Die zunehmenden Pendelschwingungen zwischen beiden sogenannten Residenzen und mein oft sehr unliterarisches, fledermausartiges Leben, dessen Unruhe durch die Eisenbahn noch vermehrt wird, haben mich wunderbar zerstreut“, schreibt er an einen Kollegen. Zum Arbeiten kommt er vor allem nachts.

Moralische Sandwüste

Die Stadt Berlin findet wenig Gnade vor seinen Augen. Schließlich ist er Besseres gewohnt, hat die überwältigende Natur Amerikas gesehen und lange in der Weltstadt Paris gelebt. Daher klagt er über die „Unnatur“ der Berliner Umgebung und zaubert sich aus seiner Erinnerung „Palmenwälder dahin, wo verkümmerte Coniferen als Hasenheide sich bis an die chinesische Grenze in einförmigem Zuge dahinziehen“. Berlin ist für Alexander „eine moralische Sandwüste, geziert durch Akaziensträucher und blühende Kartoffelfelder“, eine „verödete, kleine, unliterarische Stadt, wo man monatelang gedankenleer an einem selbstgeschaffenen Zerrbild matter Einbildungskraft naget“.

Murmeltierartiger Schlaf

Damit sich das ändert, fördert Humboldt Wissenschaftler und wissenschaftliche Institutionen, die Errichtung einer neuen Sternwarte, den Ausbau des Berliner Zoos und des Botanischen Gartens, die Gründung des Meteorologischen Instituts, er empfängt und empfiehlt junge Forscher und bemüht sich, Geld für sie aufzutreiben. Sein Hauptanlaufpunkt ist dabei das Preußische Kultusministerium, dessen Arbeitsweise er in einem Brief so charakterisiert: „Murmeltierartiger Schlaf, alle Zugänge verstopft, Schweigsamkeit des Grabes, freundlich-sentimentaler Blick, es werde alles kommen, auch sei alles gar nicht so schlimm, als die Bösen es behaupten.“

Er empfiehlt seinen Kollegen einen eigenwilligen Umgang mit dem Ministerium: „Mit diesen Menschen, die Ihnen bis ins Tintenfass sehen und alles kontrollieren wollen, müssen Sie immer ganz lakonisch sein, nichts Bestimmtes versprechen, höflich, aber hinhaltend antworten, sonst werden sie Ihnen immer lästiger. Arbeiten Sie, wie Sie, nicht wie jene wollen.“

Bei Königs zum Tee

Alexander, immer auf Wissenszuwachs aus, besucht zwei Jahre lang Vorlesungen in Chemie und klassischer Philologie an der Friedrich-Wilhelms-Universität, auch eine Vorlesung bei dem Geografen Carl Ritter. Ein Student berichtet: „Das Wetter konnte noch so schlecht sein, der greise Gelehrte fehlte nur höchst selten. War er ausnahmsweise aber einmal nicht da, so hieß es unter uns in dem Studentenjargon: Alexander schwänzt heute das Kolleg, weil er bei Königs zum Tee ist.“ Einmal zitiert der Professor aus einer Schrift des anwesenden Humboldt, „alles sah auf Humboldt, und er schmunzelte wieder mit seiner gewohnten Bonhomie“. Dadurch entstand eine „höchst gemütliche Stimmung unter den jungen Leuten“.

Wahre Schlachten

1845, Humboldt ist 76 Jahre alt, erscheint der erste Band seines „Kosmos“. Der erste Band ist ein so großer Erfolg, dass innerhalb von zwei Jahren fünf Auflagen gedruckt werden müssen, und als der zweite Band erscheint, liefert sich das Publikum, wie Verleger Cotta dem Autor berichtet, „wahre Schlachten“, um in den Besitz des Buchs zu gelangen. Versandpakete mit dem Buch werden geplündert, manche Lesehungrigen bestechen gar die Buchhändler, um einen besseren Platz auf den Vormerklisten zu erhalten. Bis zu seinem Tod wird er am „Kosmos“ weiterschreiben, der fünfte und letzte Band erscheint posthum, vollendet ist das Werk aber auch dann nicht.

Einheit des Menschengeschlechts

Humboldts „Versuch, die Natur lebendig und in ihrer erhabenen Größe zu schildern“, beginnt im ersten Band mit den Tiefen des Weltraums, schildert die Gestalt der Erde mit ihren Strömen, Gebirgen, Meeren, analysiert das Klima der verschiedenen Regionen und endet schließlich: beim Menschen. Denn der ist nun mal auch ein Teil des Kosmos, der Natur, wird von ihr bestimmt und wirkt auf sie ein. Auf den letzten Seiten des ersten „Kosmos“-Bandes findet sich Alexanders Grundüberzeugung zum menschlichen Zusammenleben: „Indem wir die Einheit des Menschengeschlechtes behaupten, widerstreben wir auch jeder unerfreulichen Annahme von höheren und niederen Menschenrassen. Es gibt bildsamere, höher gebildete, durch geistige Kultur veredelte, aber keine edleren Volksstämme. Alle sind gleichmäßig zur Freiheit bestimmt.“

Als ein deutscher Forschungsreisender drucken lässt, die schwarze Rasse sei dazu bestimmt, der weißen zu dienen, empört sich Humboldt über eine solche „deutsche Schmach“. Und als eine Neuausgabe seines Kuba-Essays in den USA erscheint, aus der die kritischen Passagen über die Sklaverei entfernt wurden, ist er außer sich. In einer offiziellen Presseerklärung betont er: „Auf diesen Teil meiner Schrift lege ich eine weit größere Wichtigkeit als auf die mühevollen Arbeiten astronomischer Ortsbestimmungen, magnetischer Intensitätsversuche oder statistischer Angaben.“

Oh Gott, eine Büste

1850 soll eine Marmorbüste von Alexander im Sitzungssaal der Akademie der Wissenschaften neben der von Leibniz aufgestellt werden. Der Geehrte protestiert: „Die Schreckensnachricht, die man mir heute mitteilt (Aufstellung der Büste!!), betrübt mich dermaßen, dass ich monatelang an aller Arbeit gehindert sein würde. Retten Sie mich, teuerer Freund! Selbst Staatsmännern setzt man Büsten in den Konferenzzimmern nach ihrem Tode … Neben jeder Ehre ist auch Hohn. Lassen Sie mich doch still absterben.“ Mit seinem Protest hat er Erfolg: Die Büste wird erst nach seinem Tod aufgestellt.

Dummheiten abschaffen

Humboldt betrachtet die Schulen seiner Zeit sehr kritisch. „Wäre ich der jetzigen Schulbildung in die Hände gefallen, so wäre ich leiblich und geistig zu Grunde gegangen“, sagt er zu einem Potsdamer Lehrer. „In Deutschland gehören netto zwei Jahrhunderte dazu, um eine Dummheit abzuschaffen; nämlich eins, um sie einzusehen, das andere aber, um sie zu beseitigen.“

Jung bleiben im Salon

Zur Bildung der Frauen hat Humboldt auch eine Meinung. Er schätzt es, wenn sie geistig interessiert sind und am öffentlichen Leben teilnehmen, dies halte frisch bis ins Alter. „Betrachten Sie nur die frühalten, sequestrierten Frauenzimmer, wie man sie oft bei uns in Deutschland findet“, sagt er zu dem Germanisten Friedrich Althaus, der in England lehrt. „Während bei den englischen und französischen Damen, die in der Gesellschaft und im Salon leben, die Jugend, möchte man sagen, im Alter erst recht beginnt.“

Ein Mensch meiner Färbung

Der technische Fortschritt in Alexanders Lebensspanne ist unübersehbar, bis zuletzt ist er fasziniert von neuen Entwicklungen wie der Daguerrotypie oder der elektrischen Telegrafie, die er schwärmerisch „Gedankendrahtung“ nennt, und er berät Werner Siemens bei der Planung von Überseekabeln. Aber wie steht es mit dem politischen Fortschritt, der ihm, seit er sich für die Ideale der Französischen Revolution begeisterte, am Herzen liegt? Düster. In einem Brief klagt Humboldt 1850: „Ich schreibe diese Zeilen an meinem vorsintflutlichen 81. Geburtstagsfeste, einer Zeitepoche, in der, zwar durch die Gnade Gottes einer unbegreiflich festen Gesundheit und großer Arbeitsliebe genießend, ich doch in etwas trübem Ernste um mich her blicke. In einem solchen Zeitabschnitte denkt man an die politischen Bedrängnisse und Elendigkeiten der Zeit, an Alles, was ein Mensch meiner Färbung seit 1789 gewünscht, und was, ohne es aufrichtig zu erlangen, man sich erschwert hat.“

Und er fasst zusammen: „Dem Grabe so nah, muss ich den Entwicklungsprozess der Menschheit seit 1789 etwas langsam finden, aber an lange kosmische Perioden gewöhnt, entwöhne ich mich, an dem Maßstabe unserer kurzen Lebensdauer zu haften.“ Seinem französischen Biografen sagt er noch in den letzten Monaten seines Lebens: „Was mir am teuersten ist und was man mir nicht rauben kann, ist das Gefühl der Freiheit, das mich bis zum Grabe begleiten wird.“

Von Dorothee Nolte ist soeben erschienen: Alexander von Humboldt – Ein Lebensbild in Anekdoten.

Eulenspiegel Verlag, Berlin 2018, 128 Seiten, 9, 99 Euro.

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