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Wissen und Technik - 06.06.2019

Demonstration für die Freiheit der Wissenschaft

Beim March for Science wird die Forschung gegen Populismus und Fälschungen verteidigt – auch in Berlin. Ob eine eindrucksvolle Demonstration gelingt, ist aber ungewiss.

In den USA wird bereits seit Monaten gegen die Diskreditierung ganzer Forschungsrichtungen durch Trump demonstriert.

Mit seinem Plan, die Gesundheitsreform Obama-Care zurückzudrehen, ist US-Präsident Donald Trump zunächst gescheitert. Ebenso mit seinen Travel-Bans für Menschen aus mehrheitlich muslimischen Staaten, die auch den wissenschaftlichen Austausch langfristig behindert hätten. Doch die Wissenschaft erlebt von der Trump-Administration weitere Unbill – mit Kürzungen in der Forschungsförderung von den Geisteswissenschaften bis zur Klimaforschung.

In der scientific community ist die Empörung darüber groß. Am 22. April wollen US-Forscher beim March for Science massenhaft „aus den Laboren auf die Straße gehen“. Doch der Impuls, gegen ideologische Etatkürzungen, gegen die Diskreditierung von Forschungsergebnissen und für die Freiheit der Wissenschaft zu demonstrieren, geht weit über die USA hinaus. Der March for Science soll am Sonnabend, dem 22. April, in mehr als 400 Städten weltweit stattfinden. In Berlin startet er um 13 Uhr an der Humboldt-Uni und führt zum Brandenburger Tor.

„Frustrierend, wie nonchalant mit unserem Wissen umgegangen wird“

Seine Parole für den March for Science hat Wolfgang Lucht schon gefunden: „Die Erde ist in unseren Händen.“ Der Physiker am Potsdam-Institut für Klimaforschung (PIK) und Professor für Nachhaltigkeitswissenschaft an der HU hofft, dass in dreieinhalb Wochen viele Kollegen und Kolleginnen zum Brandenburger Tor marschieren. „Für jemanden, der tagtäglich dramatische Forschungsergebnisse zur Zukunft der Umwelt, der Menschen und Tiere vor Augen hat, ist es frustrierend, wie nonchalant manchmal mit unserem Wissen umgegangen wird, als sei alles nur eine Frage der Meinung.“

Einer, der nonchalant wissenschaftliche Evidenz infrage stellt, ist Scott Pruitt, der neue Chef der US-amerikanischen Umweltbehörde EPA. Er hat unlängst erklärt, der Einfluss des Menschen auf den Klimawandel lasse sich „noch nicht exakt belegen“. Warum dann weiterhin Milliarden für die Erreichung der Klimaziele ausgeben? Kürzlich wurde bekannt, dass die Trump-Administration 31 Prozent des Budgets der Umweltbehörde EPA streichen will. Bei der NASA soll etwa die Klimabeobachtung durch Satelliten eingestellt werden.

„Anti-Trump“ ist den Organisatoren zu kurzsichtig

Ist der 22. April also ein Tag der Solidarität mit der US-Wissenschaft, die durch Trumps Präsidentschaft unter Druck gerät? Nein, betonen die Organisatoren der Berliner Demonstration: „Anti-Trump ist uns zu kurzsichtig.“ Im „Leitbild“ zur Berliner Demonstration heißt es weiter: „Die Wissenschaftsfeindlichkeit eines bildungsfernen Präsidenten ist nur Ausdruck einer gesellschaftlichen Strömung, die wissenschaftliche Fakten und sichere Fakten denunziert.“ Deshalb wolle man nicht „gegen“, sondern „für“ demonstrieren – für die Wissenschaft und Forschung als zivilisatorische Errungenschaft.

Für die Aufklärung: Ranga Yogeshwar spricht am Brandenburger Tor

„Es geht nicht um eine Anti-Trump- Demo“, sagt auch Ranga Yogeshwar, Wissenschaftsjournalist und Moderator des wöchentlichen WDR-Magazins „Quarks & Co“: „Es geht um das Prinzip der Wissenschaft, Fakten zu prüfen, sie auch durch andere unabhängig verifizieren zu lassen und am Ende der Wahrheit ein Stück näher zu kommen.“ Um für diese Errungenschaften der Aufklärung aufzustehen, sei der Science March der richtige Moment, sagte Yogeshwar dem Tagesspiegel.

Der Physiker ist einer der Hauptredner bei der Kundgebung am Brandenburger Tor. Von Yogeshwar versprechen sich die Organisatoren mehr öffentliche Aufmerksamkeit, als sich bisher abzeichnet. Nicht nur Forscherinnen und Forscher sollen auf die Straße gehen, man hofft vielmehr auf einen breiten Bürgerprotest. Denn Wissenschaft bringe die gesamte Gesellschaft voran, gerade in Deutschland beruhe der Wohlstand ganz wesentlich auf Forschung und Technologie.

Schwierige Mobilisierung: Werden die Gefahren nicht ernst genommen?

Von einer bislang schwierigen Mobilisierung an den Hochschulen spricht Mitorganisatorin Anne Baillot, Germanistin am Berliner Centre Marc Bloch an der Humboldt-Uni. „Die spontane Reaktion auf Trumps Wissenschaftsfeindlichkeit und andere Populisten waren das eine“, sagt Baillot. „Die Maschine in Gang zu setzen, ist das andere.“

Die Mobilisierung für den Berliner March startete im Februar zeitgleich mit der Semesterpause. Hinzu komme eine gewisse Distanz vieler gegenüber der Aufgabe, bei der Demonstration „die Botschaft der Wissenschaft rüberzubringen“. Und gerade in den Geisteswissenschaften werde die Gefahr, die in den sozialen Medien von wissenschaftsfeindlichen Inhalten und bewussten Falschmeldungen etwa zum Klimawandel oder zur Geschlechterforschung ausgehen, nicht ernst genug genommen. Deshalb ist der March for Science für Baillot nur der erste Schritt. Geisteswissenschaftler und insbesondere die Germanistik müssten „Nachrichten aus der ,fake science‘ kritisch dekonstruieren – und sich damit auch öffentlich zu Wort zu melden“.

Womöglich hängt die Sorge, es könnten sich am 22. April in Berlin nicht viele Tausend auf den Weg machen, auch damit zusammen, dass die Wissenschaft hierzulande gar nicht so bedroht ist? Angela Ittel, Vizepräsidentin für Internationales und Lehrkräftebildung an der TU Berlin, widerspricht. Die Solidarität mit der bedrohten Wissenschaft in den USA werde viele mobilisieren. Und eine populistische Partei wie die AfD stelle ja auch in Deutschland den Stellenwert etwa der Klimaforschung und der Geschlechterforschung aggressiv infrage. „Da müssen und werden wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammenstehen und signalisieren, dass es so nicht geht“, sagt Angela Ittel.

Mehr und mehr Demo-Aufrufe, aber auch Vorbehalte

Auch Wolfgang Lucht sieht in Deutschland genug Gründe, auf die Straße zu gehen. Berlin drohe ebenfalls die in Paris vereinbarten Klimaziele zu verfehlen. „Die Energiewende, die unumgänglich und zukunftsweisend ist, wird sogar gebremst – wider besseres Wissen, dass es mit der Kohle und generell mit den Verbrennungsmotoren zu Ende geht.“

Und doch: Aus einigen Unis und Wissenschaftsorganisationen ist von Vorbehalten gegen die Marches in Deutschland zu hören. Nicht, weil man den US-Forscherinnen und Forschern die Solidarität verweigern wolle oder nicht auch in der deutschen Öffentlichkeit und Politik vieles zurechtzurücken sei. „Wir fragen uns einfach, ob wir nicht zuerst für die Kolleginnen und Kollegen in der Türkei auf die Straße gehen sollten, die in viel größerem Ausmaß bedroht sind“, sagt eine Professorin.

Die Liste der Unterstützer der Science Marches in Deutschland – neben Berlin sind bundesweit 14 weitere Städte dabei – ist gleichwohl beeindruckend. Unterschrieben haben nahezu alle Wissenschaftsorganisationen von der Alexander von Humboldt-Stiftung bis zum Deutschen Akademischen Austauschdienst. Im Laufe dieser Woche soll auch noch ihre Dachorganisation, die „Allianz“, mit einem Statement folgen.

Auch Bundesforschungsministerin Johanna Wanka (CDU) „unterstützt diese weltweite Kundgebung für eine freie Wissenschaft“, war auf Anfrage zu erfahren. „Es ist wichtig, dass viele Menschen – nicht nur Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – am 22. April sichtbar für eine offene und freie Wissensgesellschaft eintreten“, teilte Wanka mit. „Die Freiheit der Wissenschaft und der konstruktive Diskurs als elementare Grundlagen unserer Gesellschaft sind nicht verhandelbar.“ Mitlaufen könne sie aber aus terminlichen Gründen nicht.

Einzelne Unis und damit die Standorte, die am meisten Mobilisierungspotenzial haben, finden sich indes nur wenige auf der Liste. Das soll sich jetzt zumindest in Berlin ändern: Die Präsidenten der hiesigen Universitäten und der Fachhochschulen wollen ebenfalls in dieser Woche mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit gehen.

„Regierungen sind schlecht beraten, wenn sie unser Wissen nicht nutzen“

Eine breite Beteiligung wäre ein wichtiges Signal in die Gesellschaft, sagt FU-Präsident Peter-André Alt. „In Zeiten großer Vereinfachungen durch den Populismus, durch Kreationisten, Impf- und Klimaskeptiker muss man für die Wissenschaft eintreten.“ Dass sie die Welt nicht einfacher, sondern komplizierter mache, „muss den Menschen zuzumuten sein“. Auch Klimaforscher Wolfgang Lucht ist zuversichtlich. Sicher wollten viele eine Botschaft nach außen tragen: „Regierungen sind schlecht beraten, wenn sie unser Wissen nicht nutzen.“

Bei der Polizei angemeldet sind 1000 Teilnehmer. Der Sprecher der Organisatoren, Franz Ossing, ehemaliger Pressechef des Geoforschungszentrums Potsdam, hofft aber auf ähnlichen Zuspruch wie für die Bewegung „Pulse of Europe“. Die brachte zuletzt mehrere tausend Teilnehmer auf den Gendarmenmarkt.

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