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Wissen und Technik - 19.12.2018

Besser nicht durchs Schlüsselloch operieren

Minimalinvasive Chirurgie hat den Ruf, besonders schonend zu sein. Doch Gebärmutterhalskrebs so zu behandeln, birgt Risiken.

Minimalinvasive Operationsmethoden können für Patienten weniger belastend sein. Beim Gebärmutterhalskrebs allerdings hat die…

Bei etwa 570.000 Frauen weltweit wird jährlich Krebs am Eingang zur Gebärmutter diagnostiziert. Damit ist Gebärmutterhalskrebs eine der großen Bedrohungen für die Gesundheit von Frauen. Hierzulande jedoch ist er recht selten: Das ist zum einen dem Pap-Abstrich zu verdanken, durch den seit 1971 Vorstufen dieser Krebsart frühzeitig entdeckt und entfernt werden können, sodass inzwischen nur noch rund 4600 Fälle von Gebärmutterhalskrebs pro Jahr diagnostiziert werden. Diese Zahl dürfte sich künftig weiter reduzieren, da junge Mädchen seit 2007 gegen das Humane Papilloma-Virus (HPV) geimpft werden können, das meist Ursache für die Erkrankung ist.

Zu diesen guten Nachrichten schien in den letzten Jahren auch zu gehören, dass man im Ernstfall schonend operieren kann: indem die Gebärmutter in minimalinvasiver „Schlüssellochtechnik“ entfernt wird. Der Vorteil gegenüber der offenen Operation scheint auf der Hand zu liegen: weniger Wundfläche, schnellere Genesung.

Die Forscher brachen die Studie ab

Doch weit wichtiger ist: Wird der Krebs mit dieser Methode genauso wirkungsvoll und nachhaltig vertrieben? Bisher gab es dazu erstaunlicherweise kaum Untersuchungen. Nun liegen zwei Studien vor. Beide wurden im renommierten „New England Journal of Medicine“ veröffentlicht – und beide bieten Anlass zur Sorge.

Für die erste Untersuchung wurden zwischen 2008 und 2017 in 33 Krebszentren insgesamt 631 Frauen mit frühen Stadien von Gebärmutterhalskrebs nach dem Zufallsprinzip offen oder minimalinvasiv operiert. Bei Letzterem wurden die Operateure zum Teil von Robotern unterstützt. Im Schnitt waren die Patientinnen zu diesem Zeitpunkt 46 Jahre alt. Eigentlich war geplant, insgesamt 740 Patientinnen in die Studie einzubeziehen. Doch Studienleiter Pedro Ramirez vom M. D. Anderson Cancer Center der University of Texas in Houston und seine Kollegen brachen sie vorzeitig ab. Grund: die klare Überlegenheit der klassischen offenen Operation.

Viereinhalb Jahre nach dem Eingriff lebten in der Bauchschnitt-Gruppe 96,6 Prozent der Frauen ohne Anzeichen eines Rückfalls, aus der Gruppe mit der minimalinvasiven Bauchspiegelung dagegen nur 86 Prozent. Drei Jahre nach dem Eingriff hatte sich bereits ein Vorteil der offen Operierten in der Überlebensrate abgezeichnet.

Experten rätseln, warum die neue Technik unterlegen ist

Neben dieser nach vorn gerichteten Studie lief in den USA auch eine Untersuchung, für die rückblickend Daten aus zwei Krebsregistern ausgewertet wurden, um den Erfolg beider Operationsmethoden zu vergleichen. Auch hier zeigte sich eine deutliche Überlegenheit des klassischen offenen Verfahrens: Von den Frauen mit frühen Formen von Gebärmutterhalskrebs, die offen operiert worden waren, waren nach vier Jahren 5,3 Prozent verstorben, von den minimalinvasiv Operierten aber 9,1 Prozent. Dabei hatten Frauen aus dieser zweiten Gruppe tendenziell eher kleinere Tumore und einen höheren sozioökonomischen Status.

Einen Hinweis darauf, dass der Einsatz der Schlüssellochtechnik auf diesem Gebiet problematisch ist, geben auch die Gesamt-Überlebensraten aus den USA: Sie nahmen seit 2006 beim operierten Gebärmutterhalskrebs in jedem Jahr um 0,8 Prozent ab. Genau zu diesem Zeitpunkt hatte die minimalinvasive Methode der radikalen Gebärmutterentfernung in die Operationssäle Einzug gehalten.

Warum sie ganz gegen die Erwartungen der Forscher (und wahrscheinlich auch der an der Finanzierung beteiligten Herstellerfirma Medtronic) in der Studie schlechter abschneidet, ist den Experten unklar. Sie spekulieren, dass die speziellen Operationsinstrumente der Schlüssellochchirurgie versehentlich Krebszellen in umliegendes Gewebe verschleppen könnten, dass das Krebsgewebe mit der Methode nicht immer vollständig entfernt wird, der Eingriff zu lange dauern und den Operateuren noch die Erfahrung mit der neuen Technik fehlen könnte. In der Studie, die Ramirez leitete, hatten alle Operateure ihre Befähigung allerdings umfangreich nachweisen müssen.

Ob eine OP „schonend“ ist, liegt nicht nur am Zugang

Selbst wenn die Gründe also unklar sind, müssen die Ergebnisse ernst genommen werden. „Auch wir haben viel minimalinvasiv operiert, aber wir akzeptieren dieses Ergebnis“, sagt Jalid Sehouli, Direktor der Klinik für Gynäkologie mit Zentrum für Onkologische Chirurgie und Leiter des Gynäkologischen Tumorzentrums der Charité. Klare Konsequenz: „Wir bevorzugen jetzt die offene Operation.“ Zur Aufklärung der Patientinnen, die sich möglicherweise den Eingriff mit den kleinen Schnitten wünschen, gehöre ab jetzt auf jeden Fall auch eine klare Information über das Ergebnis der Studie.

Sehouli verweist in diesen Gesprächen seine Patientinnen auf eine weitere erstaunliche Erkenntnis aus dieser Untersuchung: Schon eine Woche nach dem Eingriff schätzten die Frauen, denen die Gebärmutter in einer offenen Operation entfernt wurde, ihre Lebensqualität als genauso hoch ein wie diejenigen, die sich zu diesem Zweck einer Bauchspiegelung unterzogen hatten.

Ob ein operativer Eingriff „schonend“ erfolge, liege nicht allein am Zugang, der dabei für die Instrumente gewählt wird, gibt Sehouli zu bedenken. „Viele andere Faktoren spielen eine Rolle, darunter auch, wie gut darauf geachtet wird, dass die Patientin körperlich fit in die Behandlung geht, dass die Operateure nervenschonend vorgehen und während der Operation auf die Wärme achten.“

In seinen Augen ist die Studie von Ramirez und seinen Kollegen auch deshalb wichtig, weil sie beweist: „Auch in der Chirurgie kann man gute klinische Studien durchführen.“ Zwar sei es schwieriger, Geldgeber dafür zu finden, denn die chirurgische Forschung werde stiefmütterlich behandelt, und bei vielen neuen Techniken begnüge man sich damit, dass sie gut funktionieren. Doch Sehouli fordert: „Wenn innovative Techniken eingesetzt werden, müssen die Fälle zumindest in Registern dokumentiert werden.“

Keine generelle Skepsis gegenüber der Schlüssellochtechnik

Derzeit läuft eine deutschlandweite Umfrage, mit der ermittelt werden soll, wie die Kliniken hierzulande Fälle von frühem Gebärmutterhalskrebs operieren. „Die Ergebnisse sind in etwa vier Wochen zu erwarten“, sagt Sehouli. Zusätzlich sollen auch Daten von Krankenkassen ausgewertet werden.

Auch auf die fachliche Leitlinie zum Gebärmutterhalskrebs aus dem Jahr 2014 dürfte die Studie Auswirkungen haben. Dort wird einerseits beklagt, dass es in der Behandlung dieser Tumorform große Unterschiede gebe, „ohne dass die einzelnen Therapieverfahren in größeren randomisierten Studien belegt sind“. Andererseits heißt es in einer Empfehlung, die Bauchspiegelung zur radikalen Entfernung der Gebärmutter könne alternativ zur offenen Operation eingesetzt werden. Direkt nachdem die neuen Daten in diesem Jahr erstmals auf einem Kongress vorgestellt worden waren, forderten die Fachgesellschaften allerdings in einer Stellungnahme, „dass jede Patientin vor einer Operation umfassend über die auf den amerikanischen Kongressen präsentierten vorläufigen Studienergebnisse informiert werden sollte“.

Dennoch müssten sich Frauen, bei denen die Gebärmutter wegen einer Krebserkrankung der Zervix (des Gebärmutterhalses) in Schlüssellochtechnik entfernt wurde, keine Sorgen machen, betont Sehouli. „Sie sollten aber auf jeden Fall die Nachsorgeuntersuchungen in Anspruch nehmen, die engmaschig zunächst alle drei Monate, dann halbjährlich vorgesehen sind.“

Im Übrigen ist Skepsis gegenüber der Schlüssellochchirurgie nur bei der Behandlung der (relativ seltenen) Tumore des Gebärmutterhalses angebracht. Ist die Gebärmutter selbst, das Endometrium, vom Krebs betroffen, dann sind beide Verfahren gleich sicher, wie Studien zeigen. Bei anderen gynäkologischen Erkrankungen, etwa bei Myomen oder Endometriose, haben minimalinvasive Techniken ohnehin einen festen Platz. Und werden ihn behalten.

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