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Wissen und Technik - 30.01.2019

Als Berlins Justiz sich spaltete

Noch 1949 hatte ganz Berlin gemeinsame Gerichte – trotz Kaltem Krieg und Berlinblockade. Doch dann kam es zu einem Eklat zwischen Ost- und West.

In West-Berlin kamen Richter, die schon während der Nazizeit im Dienst waren, wieder in ihre Ämter. In Ost-Berlin sprachen…

Trotz des Kalten Krieges und der Berlinblockade existierte bis 4. Februar 1949 erstaunlicherweise immer noch eine einheitliche Berliner Justiz. Grund dafür war auch, dass die zuerst allein zuständigen neuen Machthaber aus der Sowjetunion die Stellen der Gerichtsvorstände nicht mit linientreuen Kommunisten, sondern mit Antifaschisten aus dem eher bürgerlichen Lager besetzt hatten. Nazis hatten Berufsverbot.

Die Neurekrutierung des Justizpersonals führte jedoch zu erheblichen Problemen. Das Amtsgericht Berlin-Mitte war einem falschen Amtsrichter auf den Leim gegangen, der – wie sich herausstellte – ein vielfach Vorbestrafter war. Dass in jener Zeit ein Pharmazieprofessor erster Kammergerichtspräsident wurde, war ebenfalls der Personalnot geschuldet. Prof. Dr. Arthur Kanger war kein Jurist, hatte aber als langjähriger Gerichtschemiker etwas mit der Justiz zu tun gehabt. Er stammte aus dem Baltikum und sprach Russisch, was wohl der Hauptgrund seiner Ernennung gewesen sein dürfte.

Reibereien zwischen den Richtern

Reibereien gab es zwischen neu eingesetzten und schon in der Weimarer Republik tätigen Richtern. Max Berger, der spätere Militäroberstaatsanwalt der DDR, hatte bereits Ende 1945 eine „Liste der politisch unzuverlässigen leitenden Beamten“ erstellt. Neben solchen Auseinandersetzungen hatten die Gerichte in jener Zeit vor allem mit Mangel an Arbeitsmaterialien zu kämpfen. Prozesse mussten ausfallen, weil begehrte Beweisstücke plötzlich aus der Asservatenkammer verschwanden. Gerichtsurteile wurden auf die Rückseite von Landkarten, Urlaubsanträgen oder militärischen Führungszeugnissen geschrieben. Nach Dienstschluss waren die Schreibmaschinen in den Kleiderschränken zu verstecken und die Glühbirnen herauszuschrauben. Im Winter wurde alles geklaut, was zu verheizen war: selbst Stühle, Tische und Holztäfelungen in den Sitzungssälen.

Auch aus politischen Gründen kriselte es heftig in der Berliner Justiz. Bereits am 29. Mai 1947 war Generalstaatsanwalt Kühnast, der im Ostsektor wohnte, suspendiert und unter Hausarrest gestellt worden. Kühnast war einst persönlich vom sowjetischen Stadtkommandanten Bersarin eingesetzt worden. Hartnäckig hält sich dabei die Anekdote, dass Bersarin bei der Besetzung des Postens seine Berater gefragt haben soll, wer denn der „größte“ Jurist in Berlin sei. Woraufhin Kühnast benannt und ernannt wurde. Kühnast war tatsächlich der größte Jurist weit und breit, allerdings eher was die Körpergröße betraf.

Als Erich Mielke gerade seine Karriere begann

Nun wurde ihm von sowjetischer Seite vorgeworfen, angezeigte Nazis zu zögerlich auf die Anklagebank gebracht zu haben. Von westlicher Seite wurde der Arrest Kühnasts damit in Verbindung gebracht, dass er beabsichtigt hatte, gegen Erich Mielke, den späteren Stasi-Chef, Anklage zu erheben. Damals begann dessen Karriere als Leiter der Polizeiinspektion Berlin-Lichtenberg und im ZK (Zentralkomitee) der KPD, wo er für Polizei und Justiz zuständig war. Ihm wurde vorgeworfen 1931 – am heutigen Rosa-Luxemburg-Platz – zwei Polizeibeamte erschossen zu haben, wofür er 1993 rechtskräftig verurteilt wurde.

Die Westalliierten ordneten Kühnasts Freilassung an, was auf die Sowjetische Militärverwaltung jedoch wenig Eindruck machte. Kühnast konnte erst am 3. August 1948, nach insgesamt 431 Tagen Hausarrest, seinen Bewachern durch Flucht in den Westsektor entwischen.

Trotzdem gab es weiterhin eine einheitliche Berliner Justiz, obwohl es inzwischen bereits zur Spaltung der Stadtverwaltung und der Polizei gekommen war. Nun sollte aber auch der sektorenübergreifenden Justiz die letzte Stunde schlagen. Am 3. Februar 1949 wurde der 71-jährige Verwaltungsdirektor am Kammergericht Oskar Scheiblich verhaftet, der vom nunmehrigen Kammergerichtspräsidenten Dr. Georg Strucksberg die Order bekommen hatte, Akten in den Westen zu schaffen. Das Schnellgericht Berlin-Mitte verurteilte Scheiblich noch am Tag der Festnahme zu 18 Monaten Gefängnis.

Die Verlegung des Kammergerichts nach Moabit

Im Rahmen der Ermittlungen gegen ihn wurde auch Kammergerichtspräsident Strucksberg mehrere Stunden vernommen. Anschließend begab der sich umgehend nach Moabit und kündigte dort vor versammelter Presse die Verlegung des Kammergerichts an. Damit war die Justizspaltung perfekt. Von nun an existierten in Berlin zwei Kammergerichte und somit zwei Justizsysteme. Das höchste Berliner Gericht, zuvor in der Littenstraße im sowjetischen Sektor, hatte jetzt auch im britischen, im York-Haus am Fehrbelliner Platz, ein Domizil. Sowohl im Osten als auch im Westen verweigerte man die Herausgabe der Akten mit denselben Argumenten: Man warf sich gegenseitig Illegalität vor.

Die Spaltung der Berliner Justiz war mit dem Auseinanderdriften der einstigen Alliierten mit ihren verschiedenen Wirtschaftssystemen und Währungen wohl unvermeidbar. Da erste Volksrichter in Ost-Berlin bereits kurz nach der Justizspaltung im Februar 1949 eingesetzt wurden, konnte es dort bereits bald zu einigen Entlassungen von „politisch zweifelhaften“ Richtern, Staatsanwälten und sonstigen Angestellten kommen. Dabei traf es sogar Richter, die SED-Mitglieder waren und schon vor dem Zweiten Weltkrieg Mitglieder der KP gewesen waren. Ein Grund für solche Entlassungen konnte schon die westliche Kriegsgefangenenschaft, ein Wohnsitz in West-Berlin und die Nichtmitgliedschaft beim FDGB sein. Der Ost-Berliner Kammergerichtspräsident Dr. Hans Freund wurde bereits 1950 Opfer einer derartigen Überprüfung und entlassen. Er flüchtete ebenfalls in den Westen, da er sich durch den wiederaufflammenden Antisemitismus als Jude politisch verfolgt fühlte. In West-Berlin hatte er als ehemaliges SED-Mitglied und Abgeordneter der provisorischen Volkskammer der DDR jedoch größte Schwierigkeiten, Fuß zu fassen.

Im Ostteil gab es fast durchgehend Volksrichter

Während in West-Berlin die in der Nazizeit tätigen Richter nach und nach wieder in ihre Ämter kamen, waren die neuen Richter in Ost-Berlin fast durchgängig Volksrichter. Also Richter ohne Universitätsabschluss, die besonders geschult wurden und als linientreu galten. Bewerbungen zur Volksrichterschule waren durch Vermittlung einer politischen Partei, des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes oder des Frauenausschusses einzureichen.

Der Autor hat mehrere Bücher zur Berliner Justizgeschichte geschrieben.

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