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Sport - 19.03.2019

Schuster: «Es gab Nächte, in denen ich wirklich Angst hatte»

Werner Schuster hat beim Deutschen Skiverband eine Ära geprägt. Unter ihm wurde Andreas Wellinger 2018 Olympiasieger, die Mannschaft holte 2014 Gold in Sotschi. Im dpa-Interview blickt Schuster nach vorne – und spricht von einer gefährlichen Entwicklung im Skispringen.

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Planica (dpa) – Nach elf Jahren als Skisprung-Bundestrainer ist für Werner Schuster nach dieser Saison Schluss. Vor dem Saison-Finale im slowenischen Planica sprach der 49-Jährige mit der Deutschen Presse-Agentur über Perspektiven, seine Leidenschaft zum Skispringen und Nächte mit wenig Schlaf.

Haben Sie sich schon überlegt, was Sie in Ihrer ersten freien Woche machen wollen?

Werner Schuster: Die erste freie Woche wird vielleicht die Osterwoche sein, und die würde ich dann mit der Familie verbringen. Aber genau weiß ich noch gar nicht, ob das wirklich meine erste freie Woche sein wird. Es steht ja auch noch im Raum, dass ich nächstes Jahr inhaltlich eingebunden sein könnte im DSV.

Wann wollen Sie sich entscheiden, wie es weitergeht?

Schuster: Das ist noch komplett offen. Ich wollte mir eigentlich einen Zeitplan machen, habe dann aber gemerkt, dass das nicht funktioniert. Ich warte jetzt einfach ab und hoffe, dass zur richtigen Zeit die richtige Eingabe kommt, was zu tun ist.

Können Sie sich vorstellen, einen Posten im Skispringen zu übernehmen, bei dem Sie sich unterordnen müssen und Ihnen jemand anderes sagt, was zu tun ist?

Schuster: Ich kann mir schon vorstellen, mich im Nachwuchsbereich einzubringen. Inwieweit ich mich dann unterordnen müsste oder selbst mitgestalte, müsste man dann ausverhandeln. Ich habe schon so viel Selbstvertrauen gesammelt, dass ich sage: Ich würde schon gerne wieder gestalterisch arbeiten. Ich habe alle Stufen von ganz unten bis zum Bundestrainer-Posten durchlaufen. Ich bin natürlich nicht der Einzige, der sich auskennt, aber es gibt jetzt auch nicht so viele, die mehr Erfahrung in diesem Spektrum vorweisen können.

Gab es in den letzten elf Jahren überhaupt Tage, an denen Sie mal komplett abschalten konnten vom Skispringen?

Schuster: Eher selten, es hat mich aber zum Glück nicht so belastet. Wenn man jemand ist, der es braucht, um fünf Uhr seine Bürotür abzuschließen und die Arbeit hinter sich zu lassen, dann könnte man diesen Job gar nicht machen. Ich habe keine Probleme damit, am Abend noch über Skispringen nachzudenken und etwas nachzuarbeiten. Das ist ja meine Leidenschaft, und deswegen hat es auch so gut funktioniert. Ich hatte eigentlich nie das Gefühl, dass ich arbeite. Im Sinne von: Ich muss jetzt unbedingt dem Erwerb nachgehen, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen, und das ist jetzt vielleicht belastend, aber ich muss es tun, sonst würde ich verhungern. Ich habe meine Leidenschaft gelebt, das wurde bezahlt und ich habe für die Arbeit eine große Wertschätzung erfahren. Ich habe es immer gern gemacht.

Sie mussten gerade zu Beginn Ihrer Amtszeit auch schwierige Phasen überstehen. Hatten Sie da Zweifel an ihrem Weg oder haben Sie immer daran geglaubt?

Schuster: Zweifel gibt es immer, aber das ist eigentlich etwas Positives. Es geht nicht ohne Zweifel. Am Anfang gab es schon Phasen, in denen ich den Druck gespürt habe. An sich schlafe ich sehr, sehr gut. Aber es gab Nächte, in denen ich wirklich Angst hatte. Da bin ich um vier Uhr aufgewacht, lag dann mehrere Stunden wach und habe mir gedacht, geht das irgendwie gut heute? In Garmisch hatten wir mal eine Tournee, da war einer unter den besten 25 in der Qualifikation. Der beste Deutsche war auf Rang 18. Und da gehst du auf die Schanze: Jeder klopft dir auf die Schulter, und ein Journalist hat gesagt: «Viel Glück heute, das wirst du brauchen». Das sind schon harte Momente. An meinem Weg habe ich nicht gezweifelt, aber diese Situationen durchzustehen, hat schon Kraft gekostet.

Wenn man schwierige Situationen gemeinsam durchsteht, verbindet das ja häufig auch. Haben Sie zu bestimmten Sportlern Freundschaften aufgebaut?

Schuster: Aus meiner Sicht gibt es ein Prinzip der optimalen Nähe. Wenn man zu nah am Sportler dran ist, ist das schlecht. Dann entscheidet man nicht mehr richtig unabhängig. Wenn zu viele Emotionen dabei sind, fällt es einem schwerer, auch mal unangenehme Maßnahmen zu ergreifen. Zu weit weg darf man aber auch nicht sein. Gerade beim Skispringen ist Vertrauen wichtig. Der Springer sitzt oben und muss sich darauf verlassen können, dass die Schanze frei ist, wenn ich ihn abwinke. Ein vertrauensvoller Umgang ist also wichtig, aber nicht auf der freundschaftlichen Ebene. Das ist nicht so einfach. Dieses Prinzip der optimalen Nähe muss man sich erarbeiten. Bei manchen Sportlern fällt das leichter und bei manchen fällt es schwerer.

Können Sie da Beispiele nennen?

Schuster: Zu Severin Freund hatte ich ein besonderes Verhältnis. Es war nicht zu nah, es war aber nah genug, dass er mir in Schlüsselsituationen voll vertraut hat. Ihn habe ich auch zwischen zwei Durchgängen gecoacht. Bei Olympia in Sotschi habe ich mich selbst hinterfragt, ob ich ihn vielleicht zu defensiv gecoacht habe, als er vom dritten auf den vierten Rang zurückgefallen ist. Da war die Zeit noch nicht reif. Ein Jahr später in Falun hat er mir dann wieder zu hundert Prozent vertraut und wurde Weltmeister. Bei Richard Freitag ist es nicht ganz so gelungen, diese Nähe herzustellen. Er ist ein ganz interessanter Typ. Er ist hochveranlagt. Er ist sehr sensibel und manchmal auch ein bisschen gefangen in seiner Welt und braucht dann auch mehr Zeit, um die eigenen Gedanken zu verarbeiten. Da ist es nicht immer optimal gelungen, den vertrauensvollen Umgang herzustellen. Das hat aber in den letzten Jahren deutlich besser funktioniert als am Anfang.

Viele Nationen haben Schwierigkeiten, guten Skisprung-Nachwuchs auszubilden. Warum ist das so?

Schuster: Die Top-Länder schrauben den Standard brutal hoch. Das Material hat einen wahnsinnigen Schub gemacht. Früher hatten alle das gleiche Material. Eine Firma hat Schuhe ausgeliefert, eine Firma hat Bindungen ausgeliefert und eine andere hat die Ski ausgeliefert. Jetzt gibt es Nationen, die technische Zentren bauen. Die anderen kommen da nicht mehr mit. Die verlieren dann die Motivation und den Anschluss. Das ist eine gefährliche Entwicklung, aber das ist auch der Sport. Das ist auch bei der Formel 1 so. Es ist so konzentriert auf drei, vier Teams – die anderen haben da überhaupt keine Chance mehr.

Würden Sie sich wünschen, dass der neue Bundestrainer Ihren Weg weiterverfolgt oder einen ganz neuen Weg einschlägt?

Schuster: Es wird ein Kompromiss sein müssen. Ich würde davon abraten, alles umzudrehen. Das Athletikkonzept ist wirklich bewährt und hoch spezialisiert. Das kann man bereichern, sollte es aber in den Grundzügen beibehalten. Man sieht, der Erfolg ist da und die Leute haben eine sehr solide Grundlage. Ich würde davon abraten, an diesem Grundpfeiler zu rütteln. Horst Hüttel (Sportlicher Leiter) wird klug genug sein, einen Trainer zu finden, der zum Konzept passt. Der Trainerwechsel bietet auch neue Chancen. Man kann die Mannschaft bereichern. Ich hätte gerne mehr gemacht, auch noch innovativere Dinge ausprobiert. Da kann der neue Trainer seinen Stempel aufdrücken. Das ist eine Riesenchance für die Mannschaft. Es weckt alle auf und kann die Szene bereichern.

Können Sie sich vorstellen, in Zukunft noch einmal einen Cheftrainerposten zu übernehmen?

Schuster: Das weiß ich jetzt noch nicht. Dass ich jetzt direkt wieder so einen Posten übernehme, ist sehr unwahrscheinlich, aber in der Zukunft könnte das schon sein. Es kann auch sein, dass es wieder Richtung Nachwuchstrainer geht. Das war immer sehr erfüllend. Es kann aber auch sein, dass es wieder zurückgeht oder es ein ganz anderer Posten wird. Es wird irgendwas mit Skispringen zu tun haben, weil das mein Leben ist und ich das am besten kann.

ZUR PERSON: Werner Schuster (49) betreut die deutsche Skisprung-Nationalmannschaft seit 2008 als Bundestrainer. Der Österreicher war in den den 1980er und 1990er Jahren selbst Skispringer. Nach seiner aktiven Karriere arbeitete er als Trainer am Schigymnasium im österreichischen Stams und als Trainer der Schweizer Nationalmannschaft, bevor er zum Deutschen Skiverband wechselte und dort zahlreiche Erfolge feierte.

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