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Politik - 16.11.2018

„Selbstzerstörerische Debatte“: Scheuer will Diesel-Fahrverbote verhindern

Scheuer forderte Umweltministerin Schulze auf, schnellstmöglich die Schadstoffwerte für dieses Jahr vorzulegen, um Fahrverbote zu verhindern.


CSU-Verkehrsminister Scheuer kritisiert die neuen Diesel-Fahrverbote in Essen und Gelsenkirchen scharf. Er wirft der Umweltministerin beim Thema Nachrüstungen eine bewusste Falschinformation vor. Mit seiner Kritik ist er nicht allein.

CSU-Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer hat sich unzufrieden mit dem Gerichtsurteil zu den neuen Diesel-Fahrverboten in Essen geäußert. Zwar stehe es ihm nicht zu, die Justiz zu kritisieren, sagte er der "Bild"-Zeitung. "Aber wenn eine Richterin ein Diesel-Fahrverbot für eine Autobahn anordnet, halte ich das für unverhältnismäßig. Das gibt es nirgendwo anders auf der Welt." Urteile wie diese gefährdeten die Mobilität Hunderttausender Bürger. "Niemand versteht diese selbstzerstörerische Debatte."

Solche Diskussionen gebe es nur in Deutschland und "auch nur aus einer unglaublichen Wohlstandssituation heraus", kritisierte der CSU-Minister bei einer CDU-Veranstaltung in Stuttgart, kurz nachdem das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen eine Diesel-Fahrverbotszone für Essen angeordnet hatte, zu der auch die viel befahrene Autobahn A40 gehört.

Scheuer forderte SPD-Umweltministerin Svenja Schulze auf, die Schadstoffwerte für dieses Jahr möglichst schnell vorzulegen, die die Fahrverbote verhindern könnten. "Entscheidend sind die Messwerte von 2018", sagte er dem "Focus". "Das Bundesumweltministerium muss die vorlegen – und zwar so rechtzeitig, dass manche Fahrverbote gar nicht erst in Kraft treten." Dies solle schon Anfang 2019 geschehen. "Das ist ja keine Hexerei."

Zudem warf er Schulze eine bewusste Falschinformation der Verbraucher vor. "Sie behauptet, es sei kein Problem, dass ab 2019 Hardware-Nachrüstungen beginnen könnten", zitiert ihn der "Focus" weiter. "Tatsache ist: Bei Nachrüstungen gibt es riesige technische und rechtliche Fragen. Wir machen jetzt sehr zügig die Vorschrift, dann erst werden die Produkte entwickelt." Scheuer drohte der Umweltministerin, er werde "nicht mehr zulassen, dass man sich jeden Tag äußert – ohne die dafür nötigen Kenntnisse zu haben". Im Umweltministerium gebe es den technischen Sachverstand nicht, die Machbarkeit von Nachrüstungen zu beurteilen, die es im Verkehrsministerium gebe.

Land NRW will Berufung einlegen

Auch FDP-Bundestagsfraktionsvize Frank Sitta bezeichnete das Gerichtsurteil zu Diesel-Fahrverboten auf der viel befahrenen Autobahn 40 in Essen als "völlig absurd". Sitta sagte: "Das hat mit Verhältnismäßigkeit nun wirklich nichts mehr zu tun. Wenn im Ruhrgebiet ein totales Verkehrschaos herbeigemessen wird, kann auch niemand behaupten, dass das der Gesundheit der Bevölkerung irgendwie dienlich ist."

Sitta kritisierte außerdem: "Die Spielräume, die es beim Aufstellen der Messstationen gibt, dürfen nicht nur so genutzt werden, um Höchstwerte aufzuspüren, sondern so, dass das mit der Lebenswirklichkeit der Menschen wenigstens im Entferntesten noch etwas zu tun hat." Der FDP-Bundestagsabgeordnete sagte, die Bundesregierung müsse aktiv werden. In Gelsenkirchen soll eine wichtige Innenstadtstraße für ältere Dieselfahrzeuge gesperrt werden. Das Land Nordrhein-Westfalen will Berufung gegen das Urteil einlegen.

Auch Gelsenkirchens SPD-Oberbürgermeister Frank Baranowski nannte das Urteil unverhältnismäßig. "Jetzt müssen die Menschen in den Städten für das Versagen der Automobilindustrie geradestehen", erklärt er. Essens OB Thomas Kufen von der CDU forderte eine rasche Lösung vom Bund: "Es muss eine schnelle Soft- und Hardwarenachrüstung kommen, die nicht zu Lasten der Bürgerinnen und Bürger ausfallen darf."

Die Handwerkskammer in Düsseldorf sprach von Auswirkungen für mehr als 25.000 Handwerksunternehmen allein im westlichen Ruhrgebiet. "Fahrverbote, ein lahmgelegter Wirtschaftsverkehr und ausgesperrte Mitarbeiter mit allen Auswirkungen auf die Versorgung der Bevölkerung sind im Ballungsraum Ruhr unausweichliche Folge einer solchen Maßnahme", hieß es.

"Es besteht ein Gesundheitsrisiko"

Der Chef des Duisburger Hafens, Erich Staake, bezeichnete ein Fahrverbot auf der A40 als "Katastrophe". "Dann wären viele Unternehmen nur noch schwer oder gar nicht erreichbar. Das hätte gravierende Folgen für Industrie und Logistik", sagte Staake der "Rheinischen Post".

Der Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer warf den Kommunen im Ruhrgebiet allerdings vor, Chancen für eine Reduzierung der Stickstoffdioxid-Belastung vertan zu haben. Dafür wäre es etwa notwendig gewesen, Pendlerströme verstärkt auf den öffentlichen Personennahverkehr umzulenken. "Zugtaktungen und -angebote blieben gleich und auch im Preissystem wurden keine Wechselprämien oder ähnliche Programme geboten", kritisierte Dudenhöffer. Nach Berechnungen seines Instituts an der Universität Duisburg-Essen verringerte sich die Stickoxid-Belastung im Ruhrgebiet in den ersten neun Monaten des Jahres kaum.

Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) kritisierte die von der Bundesregierung gebilligte Änderung des Bundesimmissionsschutzgesetzes. Es gebe gute Gründe für den niedrigen EU-Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, sagte DGP-Präsident Klaus Rabe der "Neuen Osnabrücker Zeitung". "Wenn Menschen mit Atemwegsproblemen und Lungenvorerkrankungen regelmäßig erhöhte Werte einatmen, besteht ein Gesundheitsrisiko. Das ist durch die Datenlage bewiesen."

Es handle sich nicht um eine kleine Gruppe, "sondern um eine riesige". In dem Gesetz soll es künftig heißen, dass in Städten mit relativ geringen Überschreitungen des Grenzwerts für gesundheitsschädliche Stickoxide Diesel-Fahrverbote "in der Regel" nicht verhältnismäßig seien – weil andere Maßnahmen ausreichten, um den Grenzwert einzuhalten.

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