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Politik - 02.12.2018

Schatten über Klimagipfel: Überschreiten wir die „planetare Grenze“?

Die weltweiten Treibhausgasemissionen sind hoch wie nie zuvor.

Von Gudula Hörr


Im polnischen Kohlerevier Kattowitz tagt die UN-Klimakonferenz. Dabei zeigt sich in diesem Jahr einmal mehr: Die Welt muss dringend handeln. Hält sie das 1,5 Grad-Ziel nicht, droht ein unumstößlicher Prozess.

Einen Moment sah alles so gut aus. Als der französische Außenminister Laurent Fabius im Dezember 2015 in Paris die Annahme des Klimavertrages verkündete, erhoben sich die Delegierten, jubelten und fielen sich in die Arme. Vor allem feierten sie sich selbst, hatten sie sich doch auf eine Begrenzung der Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad geeinigt. Doch nun, drei Jahre später, ist von dieser Feierstimmung nicht mehr viel übrig. Kurz vor der offiziellen Eröffnung der Klimakonferenz im polnischen Kattowitz am Montag zeigt sich: Das Ziel liegt in weiter Ferne.

"2018 wird wohl als das Jahr in die Geschichte eingehen, in dem die Folgen der Erderwärmung erstmals um den ganzen Erdball herum so deutlich wurden", sagt Johan Röckström, der künftige Chef des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, den "Potsdamer Neuesten Nachrichten". Hitzewellen und Dürre hielten im Sommer weite Teile Europas, Nordamerikas und Nordafrikas im Griff, was allein in Deutschland drastische Auswirkungen für Bauern und Industrie hatte. Japan wurde von Hitze und Überflutungen heimgesucht, Australien von einer außergewöhnlichen Dürre, Indien vom stärksten Monsun seit 50 Jahren.

Außerdem fegten in diesem Jahr 70 Tropenstürme über der Nordhalbkugel 2018 – deutlich mehr als üblich, wie die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) in dieser Woche feststellte. Die Temperaturen der Ozeane stiegen auf Rekordwerte. Die Ausdehnung des arktischen Meereises war Anfang des Jahres so niedrig wie nie zuvor. Unterdessen erhöhte sich der weltweite mittlere Meeresspiegel erneut um weitere zwei bis drei Millimeter im Vergleich zum Vorjahr an.

Zudem wird 2018 laut der WMO voraussichtlich das viertheißeste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Bereits die drei vergangenen Jahre waren die heißesten. Der Trend zur Erderwärmung sei "offensichtlich und setzt sich fort", sagte Generalsekretär Petteri Taalas. Wenn diese Tendenz andauere, könnte die Temperatur bis 2100 um 3 bis 5 Grad ansteigen. Die möglichen Folgen stellt kaum mehr einer in Frage: ein drastisch ansteigender Meeresspiegel, katastrophale Sturmfluten, Dürren und Missernten. Die Weltbank geht außerdem von mehr als 140 Millionen Klimaflüchtlingen bis zum Jahr 2050 aus, allein im südlichen Afrika, Lateinamerika und Südasien.

Vielen Wissenschaftlern gilt die 1,5 Grad Marke inzwischen als essentiell, auch wenn sie kaum mehr erreichbar zu sein scheint. "Schaffen wir es nicht, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, überschreiten wir damit eine planetare Grenze", sagt Röckstrom. Ansonsten könnte es zu einer sich selbst verstärkenden weiteren Erwärmung kommen – wenn etwa das arktische Eis schmelze und so weniger Sonnenstrahlung reflektiere oder tauender Permafrost Methan freisetze. "Wir können leider nicht ausschließen, dass schon bei einer Erwärmung von deutlich unter zwei Grad Prozesse angestoßen werden, die den Klimawandel auch ohne weiteres menschliches Zutun langfristig und vielleicht unumkehrbar weiter antreiben würden", sagt Röckstrom.

Treibhausgas-Emissionen hoch wie nie

Trotz der Warnzeichen in diesem Sommer hält sich der klimapolitische Ehrgeiz in Grenzen. Die weltweiten Treibhausgas-Emissionen sind so hoch wie nie, ebenso die Treihausgas-Konzentration in der Atmosphäre. Und ein Wendepunkt ist nicht in Sicht, wie das UN-Umweltprogramm Unep in dieser Woche feststellte. Laut dem Gremium muss die internationale Gemeinschaft ihre Klimaschutzziele verdreifachen, wenn sie noch das Zwei-Grad-Ziel erreichen wollen. Für das 1,5-Grad-Ziel ist sogar eine Verfünffachung nötig.

Angesichts dieser Zahlen erwartet die Vertreter von fast 200 Nationen beim Gipfel in der Kohlestadt Kattowitz nun eine gigantische Aufgabe: Sie wollen ein Regelwerk für die Umsetzung des Pariser Klimaschutzabkommens erstellen. Darin sollen die Rechte und Pflichten der einzelnen Staaten genau festgelegt werden. Die Fortschritte sollen überprüft, bei Verfehlungen ein Ausschuss eingesetzt werden. Auch geht es mal wieder ums Geld. So soll der milliardenschwere grüne Klimafonds wieder aufgefüllt werden. Er finanziert Projekte zur Minderung von Treibhausgasemissionen und zur Anpassung an den Klimawandel in Entwicklungsländern.

Die Bundesregierung, die sich gerne als Vorreiter in Sachen Umweltschutz präsentiert, hat dabei nicht viel vorzuweisen. Auch wenn sie ab 2019 nun 1,5 Milliarden Euro statt wie bisher 750 Millionen Euro für den Klimafonds zugesagt hat, ist ihre Bilanz dürftig. Ihr einstiges Klimaziel für das Jahr 2020, die Emissionen von Treibhausgasen um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken, kann sie kaum mehr erreichen. Erst im November lehnte das Bundesfinanzministerium Pläne aus dem Umweltministerium ab, eine Klimaschutzabgabe auf Benzin oder Heizöl einzuführen. Auch in der EU erwies sich Berlin zuletzt als Bremsklotz. Im November stellte sich die Bundesregierung gegen das Ziel, den Anteil der erneuerbaren Energien auf 35 Prozent anzuheben. Selbst den Plan, mit einem konkreten Plan für den Kohleausstieg nach Kattowitz zu reisen, konnte Bundesumweltministerin Svenja Schulze nicht erfüllen – schließlich wird darüber noch gestritten.

Und dann fällt noch ein Schatten auf den Gipfel im Süden Polens: Schließlich haben die USA angekündigt, das Pariser Abkommen zu verlassen, was zu einer milliardenschweren Finanzierungslücke führt. Gegenwind kommt inzwischen auch aus Brasilien, dessen Regenwald der weltgrößte CO2-Speicher ist und als "Lunge der Welt" gilt. Der künftige rechtspopulistische Staatschef Jair Bolsonaro will weitere Rodungen im Amazonasgebiet erlauben – und spielt auch mit dem Gedanken, aus dem Pariser Klimaschutzabkommen auszusteigen. Schon in dieser Woche erklärte das Außenministerin: Die Klimakonferenz 2019 wird das Land nicht als Gastgeber ausrichten.

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