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Politik - 29.10.2018

Regieren bis zur Selbstaufgabe: Diese SPD kann nur noch scheitern

SPD-Parteichefin Andrea Nahles und Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel.

Ein Kommentar von Judith Görs


Das Wahldebakel in Hessen geht der SPD an die Substanz – doch die Wurzel allen Übels ist nicht allein die Große Koalition. Was die Partei braucht, ist ein radikaler Neuanfang. Ohne Nahles. Ohne GroKo. Ohne Regierungsanspruch.

Es ist ein Abend zum Vergessen für die SPD – schon wieder. Wie auch in Bayern vor zwei Wochen fahren die Sozialdemokraten bei der Landtagswahl in Hessen eine weitere krachende Niederlage ein. Knapp 20 Prozent holt die älteste noch bestehende Partei Deutschlands. Das schmerzt. Reflexartig richtet sich der Blick der Genossen auf Berlin, wo eine ohnehin angeschlagene Parteichefin steht – und auf die Große Koalition schimpft. Schon wieder. Schluss machen mit alledem will Andrea Nahles dennoch nicht. Zumindest vorerst. Stattdessen redet sie von einem "verbindlichen Fahrplan" für die Regierungsarbeit der kommenden Monate. Darin liegt das eigentliche Drama. Denn längst ist klar: Will die SPD nicht untergehen, muss sie ihre Spitze opfern – und die GroKo gleich mit.

Ihrem Spitzenkandidaten in Hessen, Thorsten Schäfer-Gümbel, hat die SPD-Spitze schon vor der Wahl einen Bärendienst erwiesen, indem sie mehrfach erklärte, das Regierungsbündnis werde auch im Falle eines schlechten Wahlergebnisses halten. Das klang wie eine Drohung. Weder Nahles noch Vizekanzler Olaf Scholz haben verstanden, was viele SPD-Abwanderer auch in Hessen wollen: eine schnelle Scheidung. Laut ARD-Deutschlandtrend ist bundesweit nur noch jeder vierte Wähler (24 Prozent) mit der Arbeit von Schwarz-Rot zufrieden; die große Mehrheit (76 Prozent) ist weniger oder gar nicht glücklich damit. Schäfer-Gümbel konnte letztlich nur verzweifelt an die Hessen appellieren, nicht mit der Bundespolitik im Blick ihr Kreuz zu machen. Ohne Erfolg.

An der Parteispitze hätte man das eigentlich ahnen müssen. Schon bei den Bayern haben die sozialdemokratischen Schwüre, man wolle in der GroKo zur Sacharbeit zurückkehren, nicht gezogen. Dort musste die Landes-SPD in einigen Wahlkreises sogar die Fünf-Prozent-Hürde fürchten. Der Glaube, allein mit den richtigen Inhalten auch auf Bundesebene verprellte Wähler zurückgewinnen zu können, war naiv; und der Versuch ist offenkundig gescheitert. Auch mit ihren Erfolgen (verschärfte Mietpreisbremse, Brückenteilzeit oder paritätische Finanzierung der Krankenversicherung) erreicht die Partei ihre früheren Anhänger nicht mehr. Das liegt nicht nur daran, dass ihre Spitze ein PR-Desaster nach dem anderen fabriziert. Was auch fehlt, ist Überzeugungskraft.

Selbst unter den Treugebliebenen glaubt laut einer Forsa-Umfrage nur noch etwas mehr als jeder Vierte (28 Prozent), dass die SPD die Probleme dieses Landes lösen kann; unter allen Wählergruppen sind es nur vier Prozent. Für eine Volkspartei ist das nichts anderes als eine Bankrotterklärung. Weder auf Bundes- noch auf Landesebene ist es gelungen, den Wert der Sozialdemokratie für eine gerechtere Gesellschaft zu vermitteln. Je früher die Partei erkennt, dass das auch am falschen Personal liegt, desto besser. Thorsten Schäfer-Gümbel mag einen ordentlichen Wahlkampf gemacht haben, aber er trat eben auch zum dritten Mal an. Und wer einen zweimal Gescheiterten ins Rennen schickt, der denkt das erneute Scheitern gleich mit.

Für Experimente, wie sie die Grünen in Bayern mit der Aufstellung der 33-jährigen Katharina Schulze als Spitzenkandidatin gewagt haben, bietet die SPD-Parteistruktur wenig Raum. An die Spitze schaffen es derzeit diejenigen, die parteiintern am wenigsten anecken. Das gilt gerade auch im Bund. Wer wie Kevin Kühnert mit radikalen Ideen auffällt, dem schenkt Generalsekretär Lars Klingbeil einen roten Toaster nebst freundlichem Händedruck. Was die Sozialdemokraten aber brauchen, ist eine neue Leitfigur. Der Schulz-Hype im Frühjahr 2017 hat bewiesen, wie sehr sich die Parteibasis danach sehnt. Andrea Nahles füllt diese Rolle nicht aus. Und Alternativen sind rar. Mit Justizministerin Katharina Barley hat die Vorsitzende zuletzt eines der wenigen Gesichter in der SPD, dem die existenzielle Parteikrise nicht permanent ins Gesicht gemeißelt scheint, in den Europawahlkampf weggelobt. Auch das war ein Fehler.

Was bleibt, sind immer neue Ultimaten an die Union, neue Ausstiegsszenarien aus der GroKo – und die berechtigte Angst, dass Neuwahlen alles noch schlimmer machen könnten. Das alles lähmt die Partei, die nach der vermasselten Bundestagswahl 2017 noch so einheitlich das Mantra "SPD erneuern" besungen hat. Nun lautet die Devise: Bloß nichts wagen! Bloß keine neuen Fehler mehr machen! Dabei haben die Sozialdemokraten schon längst kaum noch etwas zu verlieren. Regieren bis zur Selbstaufgabe – das kann jedenfalls nicht die Lösung sein. Es wird Zeit, die alten Zöpfe abzuschneiden.

Judith Görs ist Redakteurin und Chefin vom Dienst am Newsdesk von n-tv.de und berichtet für die Politik vor allem über Frankreich.

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