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Politik - 01.12.2018

Letzte CDU-Konferenz in Berlin: Merz über Kopf?

Friedrich Merz (l.), Annegret Kramp-Karrenbauer und Jens Spahn in Berlin.

Von Judith Görs, Berlin


Nach acht Konferenzen in acht Städten scheint in der CDU alles gesagt. Doch eine Frage bleibt offen: Wird die Partei das Experiment wählen – oder doch die sichere Bank? Am Ende könnte ein Gefühl über den Parteivorsitz entscheiden.

Ihre Anekdoten, Wahlsprüche und Thesen – sie füllen jetzt einen ganzen Tag. Oder eben acht mal drei Stunden. Im Berliner Estrel endet für Friedrich Merz, Annegret Kramp-Karrenbauer und Jens Spahn am Freitagabend eine wahre Ochsentour. Der Kongresssaal des Vier-Sterne-Hotels ist kurz zuvor eigens angemietet worden, nachdem sich das BCC in Mitte als zu klein für die entflammte christdemokratische Neugier erwiesen hat. Am Ende kommen rund 2000 Gäste; trotz des strömenden Regens in der Hauptstadt. Sie wollen sich ein eigenes Bild machen von den drei Kandidaten für den CDU-Vorsitz, wollen jede kleine Geste lesen, jede versteckte Spitze deuten – und teilhaben an dieser erfrischend neuen Ungewissheit nach Jahren der Voraussehbarkeit. Doch was soll nach zwei Wochen, acht Städten und unzähligen Fragen noch Neues kommen?

Tatsächlich scheint das Risiko zunächst groß, dass alle Kandidaten nur ihr übliches Programm abspulen. Jens Spahn darf als erster sprechen. Wieder einmal will der Münsterländer die CDU-Mitglieder ins Jahr 2040 mitnehmen. Wieder einmal betont er sein Alter ("Als der Soli eingeführt wurde, war ich neun"). Und wieder einmal will er "Vertrauen zurückgewinnen". Bei den beiden anderen ist es ähnlich. Merz hebt in seiner Rede erneut die Fehler der Vergangenheit hervor und erklärt, was die CDU alles (verhindern, ändern, sein) muss. Kramp-Karrenbauer hingegen wird einmal mehr grundsätzlich, verweigert sich dem Bashing der politischen Konkurrenz (mit Ausnahme der Grünen) und beschwört die Einheit der Partei – gerade jetzt, wo die Entscheidung über den CDU-Vorsitz kurz bevorsteht.

AKK will im Falle ihres Erfolges, das verspricht sie, auch die enttäuschten Merz- oder Spahn-Fans einbinden. Und Gleiches erwartet sie umgekehrt auch von ihren Rivalen. Dass es nach der Wahl am 7. Dezember in Hamburg sehr viele enttäuschte AKK-Anhänger geben wird, glauben aber offenbar die wenigsten. Das Herz der CDU-Basis schlägt zwar für Merz, das ist auch in Berlin deutlich zu spüren – aber der Kopf will es eben anders. Der neue Vorsitzende dürfe "nicht nur in eine Richtung denken", sagt Peter Wein aus Zeesen. "Er muss für alles ein Rezept haben." Auch wenn sich viele Mitglieder nach einem konservativeren Profil sehnen: Die Sorge bleibt, aus der starken Partei der Mitte zur schwächeren Partei am nicht ganz so rechten Rand zu werden. Und die Mitte – das ist AKK.

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Laut aktuellem RTL/n-tv-Trendbarometer sähen es 38 Prozent der Bundesbürger am liebsten, wenn Kramp-Karrenbauer neue CDU-Vorsitzende würde. 26 Prozent wollen Merz. Nur fünf sind für Spahn. Die Frage ist: Werden die 1001 Delegierten in einer Woche nach dem Herzen entscheiden oder doch der Vernunft folgen? Womöglich entscheiden darüber am Ende nur noch Nuancen. Und auch in Berlin sind es letztlich Kleinigkeiten, die den einen souveräner, kompetenter oder zugänglicher erscheinen lassen als die anderen. Was im Gedächtnis bleibt, ist folgendes:

  • Der Bullshit des Abends. Jens Spahn plädiert in seiner Rede für einen "modernen Patriotismus, der zu seiner christlich-abendländischen Kultur steht, zu seinen Werten – und zu seinen Symbolen". Mit letzteren meint der 38-Jährige auch die deutsche Flagge und moniert, dass deren Träger auf der "Unteilbar"-Demo vor einigen Wochen in Berlin bespuckt und beschimpft worden seien. Belege für diese Behauptungen, die vor allem in den sozialen Medien kursierten, gibt es bis heute nicht. Trotzdem schließt Spahn daraus, wir (die Deutschen) würden "nicht mal zu unseren eigenen Symbolen stehen" – und das müsse sich ändern. Populismus, gelernt von Populisten.
     
  • Das Zitat des Abends. Es kommt von Merz. "Der Mensch fängt nicht erst beim Abiturienten an", sagt er – und meint damit, dass die Fachausbildung in Deutschland wieder mehr Zuspruch erhalten muss. Eine konkrete Antwort auf die Frage eines Besuchers, wie er dem Fachkräftemangel im Handwerk begegnen will, hat er zwar auch nicht. Aber er appelliert an die Jugend – "für eine berufliche Bildung, und nicht irgendein Studium, das am Ende in die Arbeitslosigkeit führt". Er selbst machte übrigens 1975 sein Abitur und studierte an der Uni Bonn Rechtswissenschaft.
     
  • Der Flirt des Abends. Annegret Kramp-Karrenbauer will die Briten zurückholen. Denn ohne sie sei Europa irgendwie nicht vollständig, sagt die Saarländerin mit hörbarem Bedauern in der Stimme. Die Schuld für den Brexit sieht sie auch bei den Politikern. Sie hätten zu lange "alles Schlechte immer auf Brüssel geschoben". AKK ist ohnehin die einzige der Kandidaten, die immer wieder kritisch die Parteiarbeit der letzten Jahre hinterfragt. Als es um die mangelhafte Ausrüstung der Bundeswehr geht, sagt sie den bemerkenswerten Satz: "(Wolfgang) Schäuble hatte auch nicht mehr Geld für die Bundeswehr."
     
  • Der Lacher des Abends – geht an keinen der drei Kandidaten, sondern an den Neuköllner Vize-Bürgermeister Falko Liecke. Der tritt ans Mikro, nachdem Merz, Spahn und auch AKK in ihren Einführungsreden auf die Clan-Kriminalität in Berlin eingegangen sind. Der Staat dürfe sich nicht vorführen lassen, erklärte Kramp-Karrenbauer – weder von Steuerhinterziehern noch von "Clans, die durch die Straßen marodieren". Merz sagte später sogar, die Türsteherszene sei der "Schlüssel zur kriminellen Szene". Liecke kommentiert das alles im trockensten Beamtensprech: "Sie befinden sich hier übrigens in einem Clan-unsicheren Gebiet." Das Estrel steht mitten in Neukölln.
     
  • Das Gespenst des Abends. Migration, Rente, Europa, Digitalisierung – in den acht zurückliegenden Regionalkonferenzen kam jedes erdenkliche Thema mindestens einmal zur Sprache. Doch zum Klimawandel haben offenbar weder die Kandidaten noch die CDU-Mitglieder viel zu sagen. Auch in Berlin fällt das Wort nur ein einziges Mal. Merz sagt es, als er über die Führungsrolle der Partei in Europa spricht. Selbst als die Kandidaten gefragt werden, wie sie Grünen-Abwanderer zurückholen wollen, kommt keiner von ihnen auf den Klimawandel als naheliegendes Wahlkampfthema. Und das, obwohl vor der Tür drei einsame klitschnasse Greenpeace-Aktivisten "Mut zu mehr Klimaschutz" fordern.

Kein Zweifel, es gibt Ermüdungserscheinungen. Nicht mehr jede Antwort sitzt nach dem 24-Stunden-Redemarathon der letzten zwei Wochen. Trotzdem ist die Anerkennung in der Partei hoch für die Leistung der Kandidaten. Stehenden Beifall gibt es dieses Mal nicht nur für Friedrich Merz, sondern für alle drei Redner. Es könnte also ein harmonischer Abschluss sein für die Werbetour um den CDU-Vorsitz. Doch nach den Regionalkonferenzen ist vor dem CDU-Landesparteitag in Sachsen. 900 Besucher und 230 Delegierte warten schon am Samstagmorgen auf Merz, Spahn und Kramp-Karrenbauer. Dieses Mal in Leipzig.

Judith Görs ist Redakteurin und Chefin vom Dienst am Newsdesk von n-tv.de und berichtet für die Politik vor allem über Frankreich.

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