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Politik - 12.11.2018

„Anne Will“-Talk: Volksparteien: „In einen Sack und dann draufhauen“

Von Felix Franz


Nach dem Verzicht von Angela Merkel auf den CDU-Parteivorsitz tritt wohl auch Horst Seehofer zurück. Die Volksparteien stecken tief in der Krise. Bei Anne Will wird ein Grund dafür klar: der ewige Zoff.

Pünktlich zu Beginn von Anne Wills Livesendung flattert eine gewaltige Nachricht ins Studio: Nach massivem Druck aus seiner eigenen Partei folgt Horst Seehofer Angela Merkels Beispiel und kündigt seinen Rücktritt als CSU-Parteivorsitzender an, berichtet die Deutsche Presse-Agentur aus Teilnehmerkreisen der CSU-Sitzung am Sonntag Abend. Passender hätte der Zeitpunkt für Wills Talk zur Frage "Der Machtverlust – gelingt den Volksparteien ein Neuanfang?" nicht sein können. Somit dreht es sich am Abend viel um die Union. Die große Frage, ob die Volksparteien am Ende sind, kommt glücklicherweise trotzdem nicht zu kurz.

Es diskutieren die Partei- und Fraktionsvorsitzende der SPD Andrea Nahles, Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier von der CDU, Jürgen Trittin von den Grünen, die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch und der Cicero-Chefredakteur Christoph Schwennicke.

Die Diskussion beginnt mit den aktuellen Neuigkeiten. War Seehofers Abgang absehbar? War es vielleicht sogar höchste Zeit? Nahles möchte "nicht unkollegial sein" und Altmaier erklärt vorsichtig, Merkel habe gezeigt, das man nicht bis zum bitteren Ende an der Macht bleiben müsse. Trittin sagt, er habe fast Mitleid mit Seehofer, trotzdem habe er als deutscher Bundesbürger durchaus auf dessen Rücktritt gehofft. Schwennike verkündet, ihm sei das seit der Bayern-Wahl alles bereits klar gewesen.

"Aber ich bin doch noch ziemlich neu!"

Über Merkels Rücktritt von ihrem Parteivorsitz fällt in der Diskussion interessanterweise kein Wort. Wohl aber über ihren Nachfolger oder ihre Nachfolgerin. Jens Spahn wird mit einem Satz als chancenlos abgehandelt. Diskutiert wird, ob die Versuche der zwei verbliebenen Kandidaten, ihr Image abzulegen oder mindestens zu erweitern, funktionieren. Annegret Kramp-Karrenbauer, die "Mini-Merkel", forderte kürzlich eine härtere Linie gegen straffällige Asylbewerber und Friedrich Merz, "der Neoliberale" verkündete, er könne sich eine Koalition im Bund mit den Grünen gut vorstellen. Das sei doch alles nur Wahlkampf und habe im Endeffekt keine langfristigen Folgen, findet Trittin.

Die interessanteste und wahrscheinlich ehrlichste Analyse kommt per Einspieler vom SPD-Debattencamp. Dort sagen die Teilnehmer im Interview, mit Kramp-Karrenbauer könne man wohl besser zusammenarbeiten – "AKK wäre für mich OKK" – aber Merz wäre wohl besser für die Wahlergebnisse der Sozialdemokraten. Von ihm könne sich die "SPD endlich mal wieder so richtig abgrenzen".

Auf der Veranstaltung wurde jedoch auch gefragt, wofür die SPD denn derzeit stehe. Die Antworten reichten vom Klassiker "sozialer Gerechtigkeit" über eine wütendes "Mehrheitsbeschaffer" bis hin zum "schlecht im Recruiting". Spätestens zu diesem Zeitpunkt musste auch die letzte verbliebene Parteivorsitzende der Bundesregierung Stellung beziehen. Zum Abgang der Unionsvorsitzenden hatte Nahles bereits vorher gesagt, sie glaube durchaus, dass ein "neuer Besen gut kehren kann". Auf Wills Frage, ob sie mit einem Verzicht denn nicht auch der SPD einen Neuanfang ermöglichen würde, antwortet Nahles angestrengt lächelnd: "Aber ich bin doch noch ziemlich neu."

Große Parteien wie Staatsapparate

Die Diskussion über die große Frage des Abends eröffnet Cicero-Chefredakteur Schwennicke mit einer Erklärung zum "Suizid der Volksparteien". Die Parteifunktionäre hätten mit der Lebenswelt der Wähler zu wenig zu tun. Als Bespiel nennt er den beherzten Einsatz der SPD für ein Gesetz zur verpflichtenden Betäubung von Ferkeln bei der Kastration. Das sei zwar schön und gut, aber im Endeffekt doch nur "Gedöns". Das kommt weder bei den anderen Gästen, noch beim Studiopublikum gut an.

Die Politikwissenschaftlerin Münch bringt später ein nicht unähnliches Argument, präsentiert es aber weitaus cleverer. Sie sagt, die Volksparteien hätten durch eine extreme Professionalisierung den Bezug zum Volk verloren. So würden selbst Wahlkämpfe beispielsweise oft nicht mehr von der Basis geführt. Münch sagt weiter: "Die großen Parteien wirken wie Staatsapparate. Die große Kunst ist, dieses Wurzelgeflecht wieder herzustellen." Daraufhin nickt selbst die Berufspolitikerin Anderea Nahles enthusiastisch.

Altmaier sieht die Krise der Volksparteien in ihrem ständigen Streit und gibt eine Weisheit aus seiner Schulzeit zum Besten: "Bei uns wurde früher immer gesagt, wenn gestritten und gezankt wird, dann kommen alle in einen Sack und dann wird draufgehauen. Wir müssen wieder fröhlicher regieren." Daraufhin will Anne Will wissen, ob man denn auch für Fröhlichkeit gewählt werde. Er meine doch nur, dass man zum Beispiel nicht mit drei Entschuldigungen in eine neue Regierung starten dürfe.

Trittin wiederum sieht sieht vielmehr einen europäischen Trend gegen den man national nicht viel anrichten könne. Man müsse sich wahrscheinlich auf ein neues System einstellen, was jedoch weder Nahles noch Altmaier akzeptieren wollen. Ob es in Zukunft in der großen Koalition weniger Streit geben wird, lassen sie offen. Nahles rechnet damit, den Koalitionsvertrag zu erfüllen. Aber ob die Spannungen in der großen Koalition ausgehalten werden können "werde man sehen".

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