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Politik - 01.11.2018

Abwarten in Zeiten des Umbruchs: Die Union baut um, die SPD schaut zu

Eine Debatte über personelle Konsequenzen lehnt Parteichefin Andrea Nahles ab.

Von Benjamin Konietzny


Die CDU steht vor einem gigantischen Umbruch: die Ära Merkel endet. Auch bei der CSU kündigen sich Veränderungen an. Einzig der dritte Koalitionspartner SPD scheint im gefährlichen Stillstand gefangen zu sein.

Was wird eigentlich aus Horst Seehofer? Das historisch schlechte Abschneiden der CSU bei der Bayern-Wahl vor rund zwei Wochen hatte eine Debatte um seinen Posten als Parteichef ausgelöst. Einzig in der CSU-Führung, so schien es damals, wollte man diese Debatte nicht führen. Doch das ist nur der Anschein. Während die Augen der Republik auf den Umsturz der vermeintlichen Unveränderbarkeiten bei der CDU gerichtet sind und auf Angela Merkels mögliche Nachfolger, wird auch bei der CSU ein Neuanfang geplant.

Das politische Schicksal Seehofers scheint besiegelt. Der "Bild"-Zeitung liegt nach eigenen Angaben der "Fahrplan für die Nachfolge" vor. Demnach könnte sich die Frage nach seiner Zukunft schon am übernächsten Wochenende, wenn in München die einflussreichen CSU-Bezirkschefs tagen, geklärt haben. Bei dem Treffen wird der Beschluss über einen Sonderparteitag erwartet, bei dem die Führungsfrage geregelt werden soll. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" will aus Parteikreisen erfahren haben, dass selbst Seehofers Unterstützer nicht damit rechnen, dass er sein Amt behält. Aber auch der CSU-Chef hat sein Schicksal akzeptiert. Schon wenige Tage nach der Wahl sagte er im Bayerischen Rundfunk: "Nochmal mache ich einen Watschnbaum nicht" und weiter: "Eher stelle ich mein Amt als Parteivorsitzender zur Verfügung – ich glaube, klarer kann man sich nicht ausdrücken."

Die Pläne, die von der CSU-Führung weder bestätigt noch dementiert wurden, sehen ein durchgetaktetes Programm vor: Ende dieser Woche soll ein Koalitionsvertrag mit den Freien Wählern stehen. Die Zustimmung von Parteivorstand und Landtagsfraktion kommt am Sonntag. Am Montag konstituiert sich der Landtag, am Dienstag wird Markus Söder zum Ministerpräsidenten gewählt. Am Mittwoch und Donnerstag bewirbt sich CSU-Politiker Manfred Weber in Helsinki um den die Spitzenkandidatur der EVP bei den Europawahlen und am Wochenende darauf findet besagtes Treffen der Bezirkschefs statt. Neben einem Termin für den Sonderparteitag soll dabei noch etwas anderes beschlossen werden: eine gesichtswahrende Exit-Strategie für Seehofer. Auf dem Parteitag soll es kein "Drama" geben und offensichtlich ist der Parteichef dazu bereit. Er und Ministerpräsident Markus Söder haben es ja im vergangenen Jahr schon einmal geschafft, Teile der Macht ohne "Showdown" von Seehofer abzuziehen, als Söder den Job als Landesvater übernahm.

Die SPD macht erstmal weiter wie bisher

Wer auf Seehofer folgt, ist noch offen. Allerdings scheint die CSU keinen Gefallen an der Idee einer Kampfabstimmung wie bei der CDU zu finden. Eine Einigung könnte das Treffen der Bezirkschefs bringen. Ilse Aigner werden Ambitionen nachgesagt, doch sie konnte schon beim Rennen gegen Söder um die Spitzenkandidatur vergangenes Jahr keine Mehrheit finden. Unwahrscheinlich, dass sich das plötzlich geändert hat. Auch Weber soll mit dem Posten liebäugeln. Er geht durch sein Brüssel-Engagement jedoch auf gefühlte Distanz zur Heimat. Die besten Aussichten hat zweifellos Ministerpräsident Söder. Er hat die Landtagsfraktion hinter sich, deren Abgeordnete größtenteils als Kreisvorsitzende die Delegierten im Griff haben. Und er war in der Vergangenheit "nah dran" an den Leuten. Das ist wichtig in Bayern. Zudem hat die Personalunion von Ministerpräsident und Parteivorsitzender in der CSU lange Tradition.

Und die SPD? Gemessen an den Veränderungen, die sich bei CDU und CSU ankündigen, stehen die Zeichen bei den Sozialdemokraten dagegen auf Stillstand. Einem Personalwechsel wie bei den Unionsparteien erteilt die Parteispitze nach der desaströsen Wahlen in Bayern und Hessen umgehend eine klare Absage. Parteichefin Andrea Nahles und Vizekanzler Olaf Scholz sind aus ihrer eigenen Sicht und der des 45-köpfigen Vorstands offenbar weiterhin geeignete Kandidaten, um die Krise der SPD zu beenden. Auch wenn die Stimmung an der Parteibasis eine andere sein dürfte.

Auch Nahles versucht es mit einem "Fahrplan". In dem am Montag nach der Hessen-Wahl vorgestellten sechsseitigen Papier werden Forderungen an die Bundesregierung formuliert. Das sind im Grunde sozialdemokratische Kernziele aus dem Koalitionsvertrag: das Gute-Kita-Gesetz von Familienministerin Franziska Giffey, das Familienentlastungsgesetz, die Grundrente. Diese Vorhaben sollen bis Ende 2019 umgesetzt werden. Die Erwartung: die Menschen sollen sehen, dass die SPD ihr Leben besser macht. Doch selbst in der eigenen Partei wird der Fahrplan als zu schwach kritisiert. Juso-Chef Kevin Kühnert schrieb in einem Gastbeitrag für das "Handelsblatt", der Fahrplan solle "klugerweise durch tagespolitische Tretminen wie den Umgang mit Automobilkonzernen im Dieselskandal und einen restriktiveren Umgang mit Waffenexporten ergänzt werden". Dass das alles zu wenig sein könnte, ahnte Nahles auch selbst. Bei der Präsentation am Montag sagte sie rat- und hilflos: "Das sind Punkte, die eigentlich klar sein müssten."

Näher an der Fünf-Prozent-Hürde als an der Union

Vor der Vorstandsklausur am Wochenende nimmt die Kritik in den eigenen Reihen unterdessen weiter zu. Der frühere Kanzlerkandidat Peer Steinbrück bezeichnete in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" die SPD als "Krankenwagen der Gesellschaft", der "hier mal einen Rohrbruch abdichtet, mal eine Schraube anzieht". Die Partei brauche "eine Person wie Bernie Sanders, nur 30 Jahre jünger", spielte er auf die Ablösung von Nahles durch Kühnert an. Auch die Forderungen nach einem Ende der GroKo werden wieder lauter. "Die SPD muss ihr Profil schärfen", sagte Partilinke Hilde Mattheis den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Das bedeutet: Die SPD muss raus aus der Großen Koalition." Unzählige Male scheint es die Forderung bereits gegeben zu haben.

Die Situation für die Sozialdemokraten wird immer unbequemer. Auf der einen Seite muss der Vorstand die GroKo-Gegner versuchen zu beruhigen. Denn ein Ende der Koalition könnte Neuwahlen bedeuten und wäre für die SPD mit dem Risiko eines historischen Bedeutungsverlustes im Bund verbunden. Die jüngsten Umfragen sehen die Partei hinter der CDU, den Grünen und der AfD bei 14 Prozent. Die SPD ist näher an der Fünf-Prozent-Hürde als am Wert der Union. Auf der anderen Seite weiß noch niemand, mit wem man es künftig in der CDU zu tun haben wird. Mit Merkels Wunschkandidatin Annegret Kramp-Karrenbauer wäre eine Zusammenarbeit sicherlich möglich. Mit Friedrich Merz oder Jens Spahn, aus Sicht der SPD konservative Hardliner, wäre das deutlich schwieriger. Aber so lange diese Frage noch nicht geklärt ist, scheint die SPD irgendwie an der Regierung festzuhalten und abzuwarten. Möglicherweise bis sie vor vollendeten Tatsachen steht.

Benjamin Konietzny ist Politik-Reporter bei n-tv.de.

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