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Kultur - 20.11.2018

TV-Tipp: Boko Haram: Das Trauma der Chibok-Mädchen

2014 entführte die Terrorgruppe Boko Haram 276 Schülerinnen aus einem christlichen Internat. Drei Jahre später kamen einige der Mädchen wieder frei. In der Arte-Dokumentation sprechen sie erstmals über ihre traumatischen Erlebnisse.

Die als Chibok-Mädchen bekannt gewordenen Schülerinnen waren nach mehr als drei Jahren aus der Gewalt der islamistischen Terrormiliz Boko Haram freigekommen. Foto: Olamikan Gbemiga/AP

Die islamistische Terrormiliz Boko Haram macht in Nigeria immer wieder mit Entführungen auf sich aufmerksam. Zu den Opfern gehören überwiegend junge Mädchen zwischen 11 und 19 Jahren, die als Sexsklavinnen gehalten, zwangsverheiratet oder bei Selbstmordattentaten eingesetzt werden.

Die spektakulärste Aktion erfolgte am 14. April 2014, als die Terrormiliz 276 Schülerinnen aus einem christlichen Internat im nordnigerianischen Chibok verschleppte.

Drei Jahre später kamen 82 Mädchen unter bisher nicht geklärten Umständen wieder frei. Heute leben sie an einem sicheren Ort in der Hauptstadt Abuja, abgeschottet von Medien und Öffentlichkeit. Der Filmemacherin Gemma Atwal ist es erstmals gelungen, die Opfer vor die Kamera zu bringen. Die Dokumentation «Boko Haram: Das Trauma der Chibok-Mädchen» an diesem Dienstag (20. November, 20.15 Uhr) auf Arte zu sehen, folgt den Mädchen bei ihrer Rückkehr in ein normales Leben und konzentriert sich auf die Frage, wie sie ihre traumatischen Erlebnisse verarbeiten.

Es sind weitgehend unaufgeregte Bilder, Alltagsszenen aus einem zutiefst zerrütteten Land, die die Regisseurin zeigt. Zwischendurch baut sie Archivaufnahmen von Boko Haram ein, darunter das von der Terrorgruppe veröffentlichte Video aus dem Jahr 2016, in dem ein Vermummter die Freilassung inhaftierter Kämpfer fordert. Um ihn herum sitzen etwa 50 Chibok-Mädchen, viele von ihnen mit Kindern auf dem Arm.

Schon diese Bilder wirken verstörend. Um einiges schockierender sind die Geschichten, die die Opfer zu erzählen haben. Sie sprechen frontal in die Kamera, ihr Blick ist ernst. In den Augen spiegelt sich das Leid, das sie drei Jahre lang ertragen mussten. Ihre bunten Trachten stehen dabei in Kontrast zu der düsteren Stimmung, die die Interviews prägt. Sie erzählen von gewaltsamen Einbrüchen, Massenvergewaltigungen und dramatischen Fluchtaktionen. Einige von ihnen verloren Familienangehörige, die Boko-Haram-Kämpfer vor ihren Augen erschossen hatten.

Während die Chibok-Mädchen heute in mehr oder weniger sicheren Verhältnissen leben, haben es Tausende junger Frauen, die ebenfalls von der Terrormiliz misshandelt wurden, schlechter: In der Öffentlichkeit scheinen sie nicht zu existieren, auch weil ein großer Teil der Bevölkerung ihnen nach ihrer Flucht misstraut und glaubt, sie stünden mit den Extremisten in Verbindung. Ein Verdienst des Films besteht darin, dass er auch diesen Mädchen eine Stimme gibt.

Im Mittelpunkt des Films steht die 20-jährige Margret, die an einem abgeschotteten Ort in der Hauptstadt sehnsüchtig auf den Besuch ihrer Mutter wartet. Wie alle anderen Chibok-Geiseln hat auch sie seit der Entführung keinen Kontakt zu ihrer Familie gehabt. Ihr ältester Bruder ist schließlich der Erste, den Margret nach langer Zeit in die Arme nehmen darf. Der junge Mann will das Wiedersehen dafür nutzen, seiner Schwester schonend beizubringen, dass ihre Mutter mittlerweile verstorben ist. Doch er findet nicht die Kraft, diese Nachricht zu übermitteln. Die Angst, Margret könnte einen psychischen Rückschlag erleiden, ist zu groß.

Anhand dieses Konflikts spannt die Regisseurin einen dramaturgischen Bogen, der über mehrere emotionale Stationen führt. Dadurch entsteht ein bedrückender, ruhiger Film voller Intensität. Er geht unter die Haut, macht einerseits Hoffnung und andererseits ratlos, weil er daran erinnert, dass Boko Haram weiterhin Hunderte von Mädchen pro Jahr verschleppt.

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