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Kultur - 10.11.2018

Bjarne Mädel verkaufte im echten Leben schon Autos in Afrika

Er spielte den Bürodeppen, den Dorfpolizisten, den Blutaufwischer: Bjarne Mädel verleiht kleinen Figuren eine große Würde. Woher er das hat, erzählt er in einem Rückblick auf sein aufregend unstetes Leben.

Bjarne Mädel, 50, im Hamburger Hafen. Die TV-Serien „Mord mit Aussicht“, „Stromberg“ und „Der Tatortreiniger“ machten ihn zum Publikumsliebling.

HAMBURG, ELIM-KRANKENHAUS

Meine Eltern kommen aus Hamburg, und so wurde ich 1968 im Elim-Krankenhaus in Eimsbüttel geboren, wo übrigens auch Angela Merkel und Olli Schulz zur Welt kamen. Kurz nach meiner Geburt war ich das erste Mal „unterwegs“: Wir sind nach Trelde in Niedersachsen gezogen. Da war ich bis zur zweiten Klasse. Nachdem mein Vater eine Baufirma in Wentorf gegründet hatte, ging’s zurück Richtung Hamburg nach Reinbek.

REINBEK, KÜCKALLEE

Ich habe meine Kindheit als sehr behütet wahrgenommen. Mit Freunden durfte ich oft im Garten zelten, das war gefühlt ein großes Abenteuer. Wenn’s geregnet hat, konnten wir allerdings immer schnell ins Haus zurück. Natürlich bin ich mit meinen Kumpels auch mal nach Hamburg gefahren zum HSV oder ins Kino. Aber ich war eher noch die Kleinstadtpflanze aus Reinbek. Auf dem Fußballplatz des TSV habe ich meine Kindheit verbracht.

HAMBURG, GÄNSEMARKT

Ein prägender Ort für meine Entwicklung. Im Winter 1978/79 war die Firma meines Vaters dort mit den Erdarbeiten für einen großen Neubau beauftragt. Es war ein strenger Winter, alles war gefroren, und deshalb stand alles lange still. Aufgrund der Verzögerungen stand der Unternehmer für den Abtransport der riesigen Bodenmengen nicht mehr zur Verfügung. Um den Auftrag dennoch abzuwickeln, wurden Lkw angemietet, was zu erheblichen Kosten führte und der Firma Mädel GmbH etwas später das Genick brach. Wir waren gezwungen, unser schönes Haus im Grünen aufzugeben und in eine Wohnung in Bergedorf an einer stark befahrenen Straße zu ziehen. Wir hatten weniger Geld und mussten uns ganz schön einschränken. Ich war zwölf und dieser soziale Abstieg echt nicht einfach für mich. In dem Alter definiert man sich auch darüber, was für ein Auto die Eltern fahren, wo man so wohnt. Im Nachhinein war das aber eine der wichtigsten Lektionen für mich und der Grund dafür, warum ich bis heute auf dem Boden geblieben und nicht irgend so ein verwöhntes Reichenkind geworden bin.

AJAOKUTA, NIGERIA

Um von dem Schuldenberg runterzukommen, nahm mein Vater 1981 einen Job bei einer deutschen Baufirma in Nigeria an. Ich besuchte ihn dort ein halbes Jahr später über Weihnachten mit meiner Mutter und meiner Schwester. Ich sagte meinen Eltern, dass ich wahnsinnig gern bleiben würde. Weil mein Vater in Deutschland oft beruflich unterwegs gewesen war, kannte ich ihn eigentlich nur von den Wochenenden, und ich freute mich darauf, ihm endlich etwas näher zu sein. Ich besuchte die deutsche Schule dort, wir waren etwa 65 Schüler. Wir lebten mit anderen Familien in einem abgeschlossenen Camp. Drum herum gab’s nichts. Eine intensive Zeit: erste Freundin, das erste Mal Alkohol und Zigaretten und viel Neue Deutsche Welle.

LANGENHAIN, HESSEN

Meine Mutter war ziemlich geschockt, als ich zurückkam. Ich war im Stimmbruch gewesen, hatte mir ein Ohrloch gestochen und rauchte. Das war nicht mehr ihr kleiner Bjarne, der da am Flughafen ankam. Nach der Rückkehr fand ich erst mal alles doof. Meine Freunde hatten noch nicht diesen Entwicklungssprung gemacht, mal über den Tellerrand rauszugucken. Ich war dadurch vielleicht ein bisschen reifer als sie und fühlte mich eine gewisse Zeit sehr allein in Bergedorf in der Schule. Nach der zehnten Klasse bin ich mit meiner Mutter nach Hessen zu ihrem neuen Lebensgefährten gezogen. Zunächst nach Bad Nauheim, dann nach Langenhain, wo gefühlt nur zweimal am Tag ein Bus fuhr. Ich brauchte unbedingt ein Fortbewegungsmittel.

HAMBURG, ALTER ELBTUNNEL

Ich wollte mir ein Moped kaufen, und die Frage war: Wie komme ich als 17-Jähriger schnell zu Geld? Mein Stiefvater hatte Kontakte zu einer Firma im Hamburger Hafen. Eigentlich durfte man da erst ab 18 arbeiten, aber ich bekam eine Sondergenehmigung. Um mich in Hamburg bewegen zu können, lieh ich mir Geld, kaufte mir eine Yamaha RD 80 und bin mit dem Ding über die Autobahn von Friedberg bis Hamburg gefahren, immer schön mit 80 hinter den Lkw. Dann habe ich fünf Wochen richtig gekeult. Kupferschlacke wegschaufeln. Jeden Morgen ging’s mit dem Moped durch den Alten Elbtunnel. Das war immer die Entspannungsphase, in diesem Fahrstuhl zu stehen. Dann rüber auf die andere Elbseite, wieder hoch, und ziemlich direkt da war der Eingang. Da ging’s ziemlich steile Treppen hinab, als ginge man unter Tage. Da waren diese Spinde, wo man sich Blaumann und Helm rausholte. Eine Schutzmaske bekam ich nicht, also brachte ich selbst eine aus Papier mit, wie ich sie mittlerweile auch als Schotty im „Tatortreiniger“ trage. Nachts bin ich oft aufgewacht, weil ich keine Luft kriegte. Wenn ich mir die Nase putzte, kam erst schwarze Kupferschlacke und dann Blut. War nicht gesund, glaube ich, was ich da so gemacht habe. Ich habe durchgehalten, worauf ich sehr stolz bin. Aber es waren eben nur fünf Wochen. Andere machen das ihr Leben lang. Wenn ich mich mal darüber ärgere, dass ich bei Dreharbeiten fünf Stunden umsonst warten muss, denke ich oft: Mein Gott, ich sitze hier, kann mir ein Brötchen nehmen und einen Kaffee, es gibt echt schlimmere Jobs als meinen. Ich sitze in so einem Wohnmobil und warte darauf, dass ich spielen darf.

PALM SPRINGS UND REDLANDS, USA

Anfang der 60er Jahre war die Cousine meiner Oma mit ihren Kindern in die USA ausgewandert und hatte sich in Palm Springs niedergelassen, was ja eher eine Reiche-Leute-Gegend ist. Aber es muss auch Leute geben, die die Häuser dieser reichen Leute anmalen und ihre Autos reparieren. Das hat meine Familie gemacht. Nachdem mein Vater und ich 1983 auf dem Weg von Nigeria zurück nach Deutschland dort einige Wochen verbracht hatten, war klar: Hier könnte ich mir vorstellen zu leben. Da ich nach dem Abitur nicht zur Bundeswehr musste – ich war ausgemustert worden –, hatte ich anderthalb Jahre Zeit gewonnen. Ich dachte: Gehst du mal rüber und guckst, wie das so ist. Ich wohnte erst mal bei Onkel und Tante und arbeitete im Malerbetrieb mit. Als mein Vater uns besuchte, sagte er: „Hier auf dem Bau zu arbeiten ist doch alles Quatsch, du wolltest doch mal was lernen.“ Nur wusste ich überhaupt nicht, was. Ich habe mich daraufhin ein bisschen umgesehen und bin auf den Campus der Redlands University geraten, wo ich sofort ein tolles Gefühl hatte. Ich fing an, Literatur und kreatives Schreiben zu studieren, weil ich immer schon Geschichten erfinden wollte. Ich stellte mir das so vor: Irgendwann sitzt du da und schreibst einen Roman in deine Schreibmaschine. War aber dann viel anstrengender, als ich dachte.

SAHARA, ALGERIEN

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Trotzdem hätte ich das gern noch länger gemacht, aber dann rief mein Cousin an. Er wollte mit seinen Kumpels von Hamburg aus Autos nach Afrika transportieren und dort verkaufen. 1989 war das, ich war 20 und dachte, wenn ich das jetzt nicht mache, dann nie. Später sitzt du nicht mehr wochenlang hinterm Steuer und pennst im Auto oder Schlafsack. Ich bin also wieder nach Hamburg, wir haben uns innerhalb weniger Tage die Visa besorgt, uns impfen lassen, und los ging’s. Mit der Fähre von Genua rüber nach Tunis, von dort weiter durch Algerien. In der Sahara haben wir die Autos im Kreis geparkt und in der Mitte die Schlafsäcke ausgerollt. Das Tollste in der Sahara war die Stille. Du liegst da und hörst plötzlich Stimmen aus deinem Leben. Es ist so leise, dein Gehirn kennt so was nicht und verarbeitet alte Sachen. Irre. In Niger haben wir dann drei Autos verkauft. Das Geld haben wir in unsere Unterhosen gesteckt, falls uns einer filzt bei einer der Straßensperren, in die wir immer mal wieder geraten sind. Man musste die Polizei schmieren. Über Benin und Togo fuhren wir nach Ghana, wo wir schließlich unseren Kombi losgeworden sind. Ich war einige Jahre später mit meiner Freundin im Senegal, und diese Afrika-Reisen haben mich tief geprägt. Es waren schöne Zeiten, aber ich habe auch viel Elend gesehen und erlebt, wie Menschen zurechtkommen und leben müssen. Was für ein Glück ich hatte, als Weißer in Deutschland geboren zu sein! Das habe ich mir nicht verdient, nichts dafür getan, das ist einfach so passiert, und andere Menschen hatten nicht dieses Glück.

ERLANGEN, BAYERN

Zurück aus Afrika, saß ich wieder in Hessen und überlegte: Was mache ich jetzt aus meinem Leben? Zum Geldverdienen sortierte ich Postkarten und Briefe bei der Post am Frankfurter Flughafen. Ich besorgte mir diesen grünen Studienführer und habe alles, was ich doof fand, mit einem schwarzen Edding durchgestrichen. Am Ende blieben Germanistik, Amerikanistik, Journalistik und Theaterwissenschaften übrig, was irgendwie gut und spannend klang. Ich landete zum Studium schließlich 1990 in Erlangen. Ich habe in verschiedenen WGs gewohnt, unter anderem in einer mit fünf Frauen. Da konnte ich nie ins Bad. Gleich bei der Erstsemester-Party fragte mich jemand, ob ich nicht Lust hätte, Theater zu spielen. Das ging schnell semiprofessionell zu: viel Theorie, hartes Körpertraining. Wir haben Straßentheater gemacht, unsere Stücke selbst entwickelt und eine freie Gruppe gegründet. Mir war klar: Ich will auf die Schauspielschule!

POTSDAM, HOCHSCHULE FÜR FILM UND FERNSEHEN

Das erste Mal in meinem beruflichen Leben hatte ich das Gefühl, angekommen zu sein, endlich zu wissen, was ich will, was mich ausfüllt. An der Schauspielerei fasziniert mich, dass du nie fertig bist, bis zum Ende unterwegs und auf der Suche. Du kannst und musst dich immer weiterentwickeln als Schauspieler, und trotz aller Routine sagen viele Kollegen, dass man immer unsicherer wird, je länger man das macht. Nach meinem Abschluss 1996 hatte ich gleich ein festes Engagement in Rostock. Anfänger verdienen eher wenig am Theater, deswegen werden die gern genommen. Über den Umweg der Wiener Festwochen bin ich vom Schauspielhaus Hamburg für ein Vorspielen eingeladen worden.

HAMBURG, SCHAUSPIELHAUS

Als ich da 2000 angefangen habe und mein erstes Stück spielte, musste ich von ganz hinten bis nach ganz vorn an die Rampe gehen. Das Licht im Zuschauerraum war noch an, ich dachte, ich mach mir in die Hosen. Die waren auch noch kurz, da hätte gar nicht viel reingepasst. Aber für mich war das später alles perfekt. Hamburg! Das Schauspielhaus ist für mich immer noch das schönste Theater, das ich kenne. Es ist ein Geschenk, da zu stehen. Immer wieder. Das nächste Mal am 28. November in dem Stück „Benefiz – Jeder rettet einen Afrikaner“. Ohne mein Engagement am Schauspielhaus wäre ich bestimmt nicht da, wo ich jetzt bin.

HAMBURG, VOLKSPARKSTADION

Das erste Mal bin ich 1974 zum HSV gegangen. Mit meinem Vater und meinem Onkel Jens. Welches Spiel das war, weiß ich nicht mehr, auf jeden Fall ein Abendspiel, also wohl Uefa-Pokal. Ich weiß aber noch, wie wir da rein sind, das Flutlicht, die Atmosphäre, wie alles dampfte, weil’s so kalt war. Seitdem bin ich Fan.

BERLIN, KREUZBERG

Vor zwölf Jahren bin ich mit meiner Freundin nach Berlin gezogen. Berlin ist für mich schwer zu fassen. Hamburg hat dieses Zentrum, die Alster, den Hauptbahnhof, die Mönckebergstraße. Von dort aus weißt du, wo alles ist. In Berlin weißt du gar nicht, von wo aus du die Stadt denken sollst. Du verlässt nur selten deinen Kiez. Ich wohne in Kreuzberg, und für mich ist schon der Prenzlauer Berg eine andere Stadt. Früher war mir das egal, wo ich war, wo ich unterwegs war. Zu Hause war immer dort, wo meine Matratze lag, wo meine Freunde waren. Aber seit der Zeit am Schauspielhaus fühle ich mich in Hamburg zu Hause. Immer, wenn ich dort ankomme, habe ich so ein Heimatgefühl. Ich kann mir nicht vorstellen, in Berlin alt zu werden. In Hamburg schon. Obwohl: Eigentlich kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, alt zu werden.

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