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Kultur - 17.12.2018

Astrid Lindgren: Alba August begeistert im Kinofilm

Rechtes Foto, klar, Astrid Lindgren. Auf dem linken Foto, auch ein bisschen Lindgren. Denn Alba August, so heißt die Dame aus einer bekannten skandinavischen Künstlerfamilie, sie spielt die junge Lindgren. Der Film läuft gerade im Kino. Und August begeistert.

Ihre Bücher kennt man fast auf der ganzen Welt. 2002 starb Astrid Lindgren (r.). Als Kind hat Alba August (l.) ihre Eltern manchmal zu Dreharbeiten begleitet. Fand sie aber langweilig.

Neulich, mitten in Stockholm, kommt eine Fremde auf sie zu, legt die Arme um sie, fängt an zu weinen und stammelt: „Es war so rührend.“ Ihre Freundin gesellt sich dazu, auch ihr kommen ein paar Tränen. „Da standen wir dann, drei schluchzende Frauen.“ So erzählt es Alba August. Der Grund für die emotionale Spontanbegegnung: „Astrid“, ein Film über die frühen und ziemlich traurigen Jahre der Astrid Lindgren, der nun auch bei uns in den Kinos läuft.

Alba August spielt die 18-Jährige, die ungewollt schwanger wird von dem um 30 Jahre älteren Zeitungsbesitzer in ihrer Heimatstadt Vimmerby, dann ihren Sohn Lasse 1926 im fernen Kopenhagen einer Pflegemutter überlassen muss – so verlangen es die Zeiten, die Familie, die Moral, die Kirche. So kam es aber vielleicht auch, dass aus dem jungen Ding vom Pfarrbauernhof im Småland erst eine Rebellin mit Kurzhaarfrisur wurde, dann eine Sekretärin in Stockholm, schließlich eine Schriftstellerin, die in kaum acht Jahren drei weltberühmte Trilogien zu Papier brachte: Pippi, Bullerbü und Meisterdetektiv Blomquist.

„Shootingstar“

Astrid Lindgren hat eine beeindruckende „Klassenreise“ hingelegt, wie es im Schwedischen heißt, „doch ihre Geschichte als junge Mutter handelt vor allem von Schande und Scham – und sie ist die Geschichte unzähliger anderer Frauen“. Auf die 25-jährige Alba August sind in den vergangenen Wochen viele Frauen in Dänemark und Schweden zugekommen, um von ihrem eigenen Schicksal oder dem ihrer Mütter und Großmütter zu erzählen. „Und ich habe mich gefragt: Wieso, zum Teufel, hast du von alldem nichts gewusst?“

Wohl auch deshalb, weil Lindgren selbst so wenig über das düsterste Kapitel in ihrem Leben gesprochen, schon gar nicht geschrieben hat. „Ihren kleinen Sohn weggegeben zu haben war ein lebenslanges Trauma für sie“, vermutet August. Lindgrens Erzählungen sind von einsamen, traurigen Menschen bevölkert, die wenigsten von ihnen sind erwachsen. „Astrid war immer aufseiten der Kinder, und im Grunde wollte sie ihr Leben lang selbst eines bleiben.“

Alba August in „Astrid“, einem ziemlich traurigen Film über die frühen Jahre der Schriftstellerin

August freut sich über die neu entfachte Liebe der Schweden zu Astrid Lindgren. Lange Zeit haben die ein bisschen schnöde auf die Märchentante in ihrer Mitte geblickt, sie haben ja ihren August Strindberg und die Selma Lagerlöf. Doch je mehr Zeit seit dem Tod Lindgrens 2002 vergeht, desto besser scheint man ihre enorme literarische Bedeutung zu begreifen. Gut möglich, dass dies auch an den 20-Kronen-Scheinen liegt, die seit drei Jahren im Umlauf sind und mit dem Konterfei Lindgrens und einer kleinen Pippi-Figur tagtäglich durch die Hände aller Schweden wandern. „Und mal im Ernst, gibt es sonst noch jemanden, den wirklich alle Welt gelesen hat?“, fragt August.

Im europäischen Filmgeschäft ist auch Alba August ein bekannter Name, weil sie bei der Berlinale 2018 als „Shootingstar“ geehrt wurde. Seit sie im Frühjahr in der Hauptrolle von „The Rain“ zu sehen ist, einer in Dänemark entwickelten und gedrehten Netflix-Serie, kennen Teenager in aller Welt ihren Namen, plötzlich hat sie „sogar Fans in Brasilien und Mexiko“, erzählt sie. „Verrückt, oder?“ Sie kommt direkt von den Dreharbeiten zur zweiten Staffel des postapokalyptischen Überlebenskampfes, noch steht sie unter Strom und Bewegungsdrang: „Seit dem Morgen haben wir im Tivoli gedreht. Uff.“ Man sei die ganze Zeit auf den Beinen, „ständig ist Action, es geht körperlich zu“, und ja, „die Serie ist sehr kommerziell gemacht“. Dagegen sei ihre Rolle als Lindgren eine „fantastische emotionale und psychologische Reise“, natürlich auch „ein Kindheitstraum“ gewesen.

Seit mehr als 70 Jahren fasziniert Pippi Langstrumpf Generationen von Kindern

Für ihre Rolle hat sie gelernt, im selben Duktus und mit beinah identischer Stimme vorzulesen, so wie es die Lindgren auf ihren berühmten Einspielungen getan hat. Sie hat auf einer alten Schreibmaschine geübt, bis ihre Nachbarn sich über den nächtlichen Lärm beschwerten, und dann diese Tanzszene, eine Charleston-Nummer auf den Dielen einer Bretterbühne: Es sieht aus, als würden Pippi Langstrumpf, Astrid Lindgren und Alba August in einem Wechselspiel von Bewegung und Mimik zu einer einzigen Figur zusammenfinden. August hat ein Gesicht für uralte Zeiten und für postapokalyptische Zukunftsserien, für heute, morgen, aber auch für hundert Jahre her. „Das kommt vielleicht daher, dass ich früh erwachsen geworden bin. Oft fühle ich mich älter, als ich bin. Aber ein gutes Kostümbild hilft natürlich immer, wenn ich vor der Kamera mein Alter ändern muss.“

Alba Augusts Weg zur Schauspielerin war vorgezeichnet

Die Tanzszenen wurden in Deutschland eingespielt, erzählt sie, fast drei Wochen lang war das Filmteam im thüringischen Altenburg und außerhalb von Berlin stationiert. „Die Stimmung war super, die Deutschen waren freundlich und cool. Wir hatten sogar einen Trailer mit Musik und Kaffee und Essen für die Crew. In Dänemark steht höchstens mal ein Tischchen mit einer Kaffeepumpe herum.“ Ein freies Wochenende hat August in Dresden verbracht und dort in einem Tattooshop Pippi-Langstrumpf-Motive entdeckt. „Und Ampelfrauen mit Pippi-Zöpfen gibt’s dort auch. Ich habe mich gefühlt wie zu Hause.“

Im wirklichen Leben wird das demnächst wohl wieder in Schweden sein. Bei den gerade beginnenden Dreharbeiten zu der Verfilmung des Lebens von Thomas Quick, der lange als schlimmster Massenmörder Schwedens galt, habe sie sich plötzlich daheim gefühlt. „Alle waren so gelassen und konzentriert bei der Sache, oder sie sagten: Hey, toll, Alba, super, nimm’s mal mit der Ruhe. Ich war total gerührt. Es war so, als wäre alles an seinen Platz gerutscht.“ Nach fünf Jahren in Kopenhagen sei es wieder mal an der Zeit: „Ich werde also nach Schweden zurückziehen.“

Albas Weg zur Schauspielerin war ziemlich klar vorgezeichnet. Ihre Mutter ist die schwedische Schauspielerin Pernilla August („Star Wars“), ihr Vater der dänische Filmregisseur Bille August („Fräulein Smillas Gespür für Schnee“) – ein cineastisches Traumpaar Skandinaviens. Allerdings nicht für ewig: Nach der frühen Trennung der Eltern wuchsen Alba und ihre Schwester Asta bei der Mutter in Stockholm auf. „Wenn Gäste kamen, haben wir einen Tanz hingelegt oder gesungen. Wir haben uns sogar Geschichten ausgedacht und Drehbücher geschrieben.“ Keine Überraschung: Asta August ist heute Theaterschauspielerin in Kopenhagen.

Ab und zu haben die beiden ihre Eltern zu Dreharbeiten begleitet. „Das war langweilig. Meistens wartete man nur. Oder zeichnete.“ Vor allem ihr Vater Bille war ständig unterwegs: „Ich erinnere mich an die SMS-Nachrichten, die ich von ihm bekam: Bin in Shanghai. Oder: Grüße aus Tokio.“ Dass ihr Vater acht Kinder mit vier Frauen hat, fand sie früher eher schwierig, mittlerweile entlockt es ihr Respekt und eine knappe Geste: Daumen hoch! „Wenn meine Eltern bei uns waren, waren sie es meist nur physisch, mental befanden sie sich oft in anderen Welten.“ Das erlebe sie an sich selbst jetzt auch: „Wenn ich arbeite, lebe ich in einer Art Blase. Es ist schwer, andere dorthin zu holen.“ Natürlich kann sie mit den Eltern über ihre Schauspielarbeit sprechen, „das ist schön. Doch wir sind alle ziemlich schlecht darin, uns bei den anderen zu melden oder uns zu merken, wo die anderen gerade sind und was sie so machen. Ich weiß nicht mal, ob meine Eltern mich jetzt als Schauspielerin sehen.“

Wie Pippi ohne Zöpfe

Alba war ein junges, rastloses Mädchen. „Ich hörte nie, was die Lehrer gesagt haben, ich war im Geist immer woanders.“ Noch heute falle es ihr schwer, sich „auf die wichtigen Sachen zu konzentrieren. Es passieren immer so viele Dinge um einen herum. Wenn Leute mit mir sprechen, dann kann es passieren, dass ich mich hinterher an ihre Bewegungen oder an das Muster ihres Hemdes erinnere, aber nicht an das, was sie gesagt haben.“

In ein paar Minuten wird sie sich voll auf ihr Gegenüber konzentrieren müssen. Sie trifft sich mit ihrem Ex, gleich um die Ecke. Die Sache ist vor einem halben Jahr zu Ende gegangen, die Situation ist kompliziert. Sie war es, die Schluss gemacht hat, sagt sie. Jetzt ist ihr ein bisschen bange, ihre Hand flattert vielsagend: Wenn das mal gut geht! Und auf einmal sieht sie aus wie eine 14-jährige Version ihrer selbst. Wie Pippi Langstrumpf, nur ohne Zöpfe.

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