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Deutschland - 14.11.2018

Wie Deutschlands Sozialdemokraten um Migranten werben

Die SPD war jahrzehntelang die beliebteste Partei unter Migranten. Zuletzt ging die Zustimmung aber stark zurück. Die SPD sucht nach Gründen – und einer neuen Strategie.

Patricia Baumanns erster Kontakt mit der SPD war ein Nicht-Kontakt. Als sich die Frau aus Sierra Leone im vergangenen Jahr entschied, in die Politik zu gehen, war sie bei einer Info-Veranstaltung aller Parteien in Berlin. Eigentlich dachte sie, die SPD wäre etwas für sie. „Gerechtigkeit, Freiheit, Solidarität – die Ideologie schien zu passen.“ Von den Sozialdemokraten wurde sie aber nicht angesprochen – stattdessen warb die rechtspopulistische AfD um die dunkelhäutige Frau.

„Wow, was soll ich jetzt machen?“, erinnert sich Patricia Baumann an ihre Reaktion. Tatsächlich hörte sie der AfD kurz zu, entschied sich dann aber doch für die SPD. Seitdem ist sie im Ortsverein Berlin-Lankwitz aktiv, hat aber immer wieder erlebt, dass Menschen wie sie in der SPD nicht willkommen sind: „Die haben eine andere Farbe oder sehen ausländisch aus und die anderen Mitglieder wollen wenig mit denen zu tun haben.“

Der SPD sind die Zuwanderer davongelaufen

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„Welche Partei gefällt Ihnen zurzeit am Besten?“

Für die SPD sind solche Geschichten eine Katastrophe, denn sie zeigen, wie tief das Problem steckt. Die Sozialdemokraten haben ihren jahrzehntelangen Nimbus als Migranten-Partei verloren. Eine Studie des Sachverständigenrats Migration und Integration zeigt, dass nur noch ein Viertel der Deutschen mit ausländischen Wurzeln die SPD gut finden. Vor zwei Jahren war die SPD noch die beliebteste deutsche Partei bei Zuwanderern.

Raed Saleh findet diese Zahlen alarmierend. Saleh ist Fraktionsvorsitzender der Sozialdemokraten im Berliner Abgeordnetenhaus und damit einer der wenigen führenden SPD-Politiker mit Migrationshintergrund. Mit seinen Eltern kam er Anfang der 80er Jahre aus dem Westjordanland nach Deutschland. Politisiert wurde er, wie er sagt, vor dem Fernseher: „Mein Vater hat immer in gebrochenem Deutsch gesagt: die SPD ist für uns, die CDU ist gegen uns. Das ist der Grund warum ich heute in der SPD bin.“

Arbeiterpartei hieß auch „Gastarbeiter“-Partei

Seit Anfang der 50er Jahre Arbeitskräfte aus Italien, Spanien und vor allem der Türkei nach Deutschland kamen, war die Arbeiter- und Arbeitnehmer- Partei SPD auch die Partei der Ausländer. „Die SPD hat immer gesagt: Willkommen, ihr gehört dazu. Die CDU hat gesagt: Irgendwann geht’s zurück in die Heimatländer. Und deswegen haben Menschen mit türkischen Wurzeln bis 2002 zu 80% SPD gewählt“, sagt Raed Saleh.

Türkische Gastarbeiter bewundern im Jahr 1962 das neue Auto eines Kollegen. Das Thema Aufstieg ist eine ursozialdemokratische Erzählung.

Egal ob an den Fließbändern von Mercedes oder in den Kohlezechen des Ruhrgebiets, die überwiegend ungelernten „Gastarbeiter“ waren für den Wirtschaftsaufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg mitverantwortlich. Ihre Interessen vertraten Gewerkschaften und die SPD. Gemeinsam mit ihren deutschen Kollegen kämpften Zuwanderer und SPD für höhere Löhne und sozialen Aufstieg.

Als in den 80er Jahren Migranten Opfer von Rassismus wurden, stellten sich Sozialdemokraten unter ihrem Vorsitzenden Willy Brandt vor die ausländischen Mitbürger unter dem Motto „Mach meinen Kumpel nicht an!“ Die SPD setzte sich für das kommunale Wahlrecht der Migranten ein und später sorgte SPD-Kanzler Gerhard Schröder mit der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts dafür, dass die Kinder der Gastarbeiter einen deutschen Pass bekommen konnten. Und heute?

Auf einmal macht die SPD die Kumpel an

Dass es für die SPD zuletzt so bergab ging, hat für Saleh einen Grund – die Partei hat ihre ausländerfreundliche Haltung verloren. „Wir müssen uns an die eigene Nase fassen. Vieles von dem ist deshalb passiert, weil wir nicht klar genug in der Haltung waren: Stopp bis hierher und nicht weiter.“ Saleh meint konkret den Fall Thilo Sarrazin. Der umstrittene Buchautor hätte aus Sicht Salehs schon 2009 aus der SPD ausgeschlossen werden sollen.

„Ich möchte nicht, dass wir zu Fremden im eigenen Land werden.“ Thilo Sarrazin (SPD)

Thlio Sarrazin war damals eigentlich Finanzsenator für die SPD in Berlin. Dann fing er aber an, sich zu Migrations- und Identitätsfragen zu äußern. Sein Buch „Deutschland schafft sich ab“ aus dem Jahr 2010 gilt als Einstieg in einen neuen ausländerfeindlichen Diskurs in Deutschland, der auch den Aufstieg der AfD ermöglicht hat. Bis heute ist Sarrazin Parteimitglied der Sozialdemokraten und für Saleh ein Anti-SPD-Argument: „Würden Sie sich gerne beschimpfen lassen?“

Die SPD-Politiker Aydan Özoguz weiß, wie es ist, beschimpft zu werden. Die türkischstämmige Özoguz war im Kanzleramt Staatsministerin für Migration, als die AfD sie 2017 „in Anatolien entsorgen“ wollte. In der neuen Regierung bekam Özoguz kein neues Amt, und auch aus dem SPD-Vorstand verschwand sie. Kritiker sagen, die SPD habe sie fallen gelassen, sei vor der AfD eingeknickt. Ein fatales Zeichen.

Die Fälle Sarrazin und Özoguz mögen der SPD geschadet haben. Die Partei hat es aber auch versäumt, aktiv um Wähler nichtdeutscher Herkunft zu werben, glaubt der Partei-Linke Ralf Stegner. „Wir haben das vielleicht in Teilen links liegen lassen und gedacht, das geht von allein, aber das geht es nicht.“ Stegner glaubt, die SPD muss künftig „die Kraft, die in der Vielfalt steckt nutzen“, statt etwa gut ausgebildete Leute abzuschieben: „Das muss aufhören“, so Stegner.

Die Antwort auf den Absturz heißt: mehr Vielfalt

„Die SPD muss vielfältiger werden“, fordert auch der Generalsekretär der Sozialdemokraten, Lars Klingbeil. Der 40-jährige organisiert gerade die „Erneuerung“ der Partei, die 2017 mit 20,5% ihr schlechtestes Wahlergebnis jemals bei einer Bundestagswahl erzielt hat. Auch von den Deutschtürken haben einer Studie der Uni Duisburg Essen zufolge nur noch noch 35 % die SPD gewählt.

Klingbeil will nicht nur alte Wähler sondern auch neue Kandidaten finden, damit deutlich wird, „dass Menschen mit Migrationshintergrund bei uns willkommen sind“. Klingbeil hat sich die Kongresswahlen in den USA genau angeschaut und gesehen, wie vielfältig die Demokraten waren und mit welchem Erfolg. Dahin will er auch die SPD bringen und sucht „Gesichter, die das Ganze repräsentieren.“

„Bei uns zählt nicht woher Du kommst, sondern wohin Du willst“, Katarina Barley (SPD)

Ein solches Gesicht hat die SPD für die Europawahl gewinnen können. Spitzenkandidatin wird Katarina Barley sein. Im aktuellen Kabinett von Angela Merkel ist sie die einzige Ministerin, die einen sogenannten Migrationshintergrund hat. Barleys Vater ist Brite, was die Tochter zur Rarität in der Regierung und zur symbolträchtigen Hoffnungsträgerin für die SPD macht. „Die Migrationsgeschichte meines Vaters prägt mich“, sagt Barley im Video der „AG Vielfalt und Migration“ der SPD.

Die Arbeitsgruppe wurde extra eingerichtet, um sich bei den Sozialdemokraten um ausländische Wählergruppen zu kümmern. Irena Rudolph-Kokot ist im Vorstand der AG und hat gerade beim SPD-Debattencamp erklärt, wie russischsprachige Wähler über Soziale Medien gewonnen werden können. Aber auch sie glaubt, dass vor allem wirkt, „wenn Menschen mit entsprechenden Wurzeln, aufgestellt werden, kandidieren und in den Parlamente sitzen.“

Gesucht: Mandatsträger mit Migrationshintergrund

Rudolph-Kokot hat ein Beispiel parat – wenn auch nicht aus ihrer eigenen Partei, sondern von der liberalen FDP. Als die Liberalen 2011 den in Vietnam geborenen Philipp Rösler zum Parteivorsitzenden und Wirtschaftsminister machten, „hat auf einmal die ganze vietnamesische Community in Deutschland FDP gewählt.“ In den USA stellen die Demokraten deshalb vermehrt Afroamerikaner und Hispanics bei Wahlen auf. Aber bei der SPD?

„Die SPD muss auch die Migranten berücksichtigen, die schon lange hier leben. In letzter Zeit wurde nur über Flüchtlinge geredet“, rät Patricia Baumann ihrer Partei.

Inzwischen leben über 19 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland – Tendenz steigend. Eine Gruppe, die bei der letzten Bundestagswahl über 10,2 Prozent der Wahlberechtigten ausgemacht hat. Alles potentielle SPD-Wähler, die „von einem sozialen, gerechten und solidarischen Deutschland Träumen“, glaubt der Berliner SPD-Politiker Saleh. Er spürt unter ihnen „eine Sehnsucht nach ihrer alten Tante SPD, die ihnen Halt gibt, die ihnen Orientierung gibt.“

Vielleicht kann den Sozialdemokraten dabei auch Patricia Baumanns Theorie Hoffnung machen. Die Berlinerin aus Sierra Leone glaubt, dass es an Angela Merkels Flüchtlingspolitik lag, dass Migranten in Scharen von der SPD zur CDU übergelaufen sind. Zuwanderer hätten sich Merkel „verbunden gefühlt“, sagt Baumann, „und gedacht, dass die CDU für Ausländer ist und nicht die SPD, aber das ist ein Missverständnis.“ Die Sozialdemokraten wollen das Missverständnis in den nächsten Monaten korrigieren – mit Katarina Barley. Die erste SPD-Spitzenkandidatin mit Migrationshintergrund soll das Gesicht des Neuanfangs werden.

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