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Deutschland - 04.12.2018

Peene-Werft: Wieso Wolgast an Saudi-Arabien denkt

Deutschland stoppt die Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien, um international ein Zeichen zu setzen. Der Region, wo Schiffe gebaut werden, kommt das teuer zu stehen. Kay-Alexander Scholz berichtet aus Wolgast.

Wolgast im November ist rau. Ein kalter Seewind weht, abends sieht man kaum Menschen auf den Straßen. Die mittelalterliche Hafenstadt hat trotzdem Charme: viele Fachwerkhäuser und kaum Neubau-Sünden. Doch Wolgast liegt mitten in einer so genannten strukturschwachen Region. Das merkt man schon auf dem Weg von Berlin dahin. Irgendwann gibt es mehr rote Warnlichter von Windrädern auf den Feldern als Autorücklichter auf der Autobahn. Nach einer Weile blinkt gar nichts mehr.

Muss diese Straße bald gesperrt werden? Das Fördergeld ist schon da, aber der Eigenanteil der Stadt könnte bald zu teuer sein

In das kleine Städtchen angekommen, wird man wachgerüttelt: Die Straße, die zum Hotel führt, muss noch saniert werden. „Eigentlich müssen wir die Straße sperren“, sagt Bürgermeister Stefan Weigler. Sein Traum von sanierten Straßen ist aber wohl erstmal geplatzt, genau genommen: 180 Kilometer weiter südlich, in Berlin. Dort hat die Bundesregierung ein Exportstopp für Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien verhängt. Ein Teil davon – Patrouillenboote – wird in der 70 Jahre alten Werft an der Ostsee produziert. So kam die ganz große Politik auch nach Wolgast – und macht Angst. 

Nicht 200, sondern nur 40 Bockwürste

In einem kleinen Hotel unweit der Peene-Werft mit ihren riesigen blauen Hallen sitzen drei Männer beim Abendbrot zusammen. Sie sind Leiharbeiter. Günstige Hotels sind ihre zweite Heimat, zum täglichen Pendeln wäre der Arbeitsweg einfach zu weit. Das Leben „auf Montage“, fern ab der Heimat, macht nicht glücklich, das sieht man ihnen an. Namentlich wollen sie nicht zitiert werden. Schließlich würden auf der Werft Rüstungsgüter produziert. Das heißt: hohe Sicherheitsstufe. Schon zu DDR-Zeiten seien hier Schiffe für die Volksmarine gebaut worden. 

4000 Leute arbeiteten 1989 auf der Werft, dann Privatisierung, Stellenabbau, Insolvenz – 2013 schließlich der rettende Auftrag für die Patrouillenboote. „Einer der jetzt 300 Werftarbeiter ernährt drei andere in der Region“, umreißt der Gesprächigste der drei die ganze Dramatik. Die Werft-Kantine habe es schon zu spüren bekommen: Nicht wie sonst 200, sondern nur 40 Bockwürste gingen täglich weg, sagt sein Nachbar betrübt. 

Für Wolgast wäre es der „Todesstoß“

Wolgasts Bürgermeister Stefan Weigler kämpft um seine ohnehin schon gebeutelte Stadt an der Ostseeküste

Für Stefan Weigler – parteilos, 38 Jahre, seit zehn Jahren Bürgermeister der Stadt, ist der gestoppte Rüstungsexport-Deal mit Saudi-Arabien, das wichtigste Thema momentan. Sie seien alle mitgenommen, „wenn ich ‚wir‘ sage, dann meine ich natürlich die Werft, aber man ist so eng zusammen, dass es alles ‚wir‘ ist.“ Ein Drittel der Industriearbeitsplätze der Region würden an der Werft hängen. Die Boote werden in Wolgast fix und fertig montiert und eingerichtet. Vom Auftrag leben hiesige Heizungs-, Elektro- und Sanitärfirmen – geschätzt sind das 1800 Jobs, die daran hängen. 

Dabei geht es, zumindest für die Werftarbeiter, gar nicht um Arbeitslosigkeit. Schiffbau boomt gerade. Die benachbarten Werften suchen 400 Fachkräfte. Die Wolgaster, viele von ihnen hochspezialisierte Schweißer, wären schnell weg, sollte es hier für sie keine Zukunft mehr geben, sagt Weigler. Für die Stadt aber wäre es der „Todesstoß“. Vor allem auch finanziell – im Jahr 2019 bräche ein Viertel des Haushalts weg.

Die Sorgen sitzen nicht nur in den Stirnfalten des Bürgermeisters. Das sei hier Gesprächsthema Nummer eins, berichtet die Inhaberin eines Mittagsimbisses mit gutbürgerlich-deutscher Küche. Viele Ehefrauen von Werftarbeitern sorgten sich. „Es ist traurig“, seufzt eine Hausbesitzerin im Werftviertel, unweit der kaputten Straßen. „Die Schiffe werden doch trotzdem weiter gebaut und geliefert, nur von einem anderen Land“.

Warum der Produktionsstopp so heikel ist

Ende Oktober 2018: Ein Patrouillenboot für Saudi-Arabien liegt am Ausrüstungskai der Peene-Werft

Der Auftrag für Saudi-Arabien umfasst 34 Boote, 15 sind bereits raus. Sechs weitere sind fertig, dürfen nun aber nicht geliefert werden. Zwölf fehlen noch – die hätten die Werft bis Mitte 2020 ausgelastet. Die besondere Tragik: „Sie können jetzt nicht einfach einen anderen Auftrag zwischenschieben“,  erklärt der Bürgermeister. Weil die riesigen Produktionshallen auf jeden Auftrag hin umgebaut werden. Hinten fängt man an, vorn kommt das fertige Schiff raus, fast wie auf einem Fließband, nur viel größer. Doch sollten die Aufträge und dann auch noch die Fachkräfte fehlen, könnte der Unternehmer, die deutsche Lürssen-Gruppe, den Standort dichtmachen.

Zehn Jahre alte Luftaufnahme der Peene-Werft: Damals wurden noch richtig große Boote (wie rechts im Bild) produziert

Die drei Arbeiter beim Abendbrot schütteln den Kopf. Deutschland wolle der Welt mal wieder zeigen, wie toll man sei, sagt einer von ihnen. Aber die Politik werde sich noch wundern und selbst einen hohen Preis für ihr Verhalten zahlen. „Bei den letzten Wahlen haben die Leute in manchen Dörfern schon mehrheitlich die NPD gewählt“, fügt der dritter Arbeiter hinzu. Ganz abgesehen von den vielen AfD-Wählern, denn ihr Anteil ist hier deutschlandweit am höchsten.

Noch mehr Futter für die AfD

Bürgermeister Weigler wundert das wenig. Er zeigt auf ein Luftbild seiner Stadt: „Sehen Sie die Eigenheimsiedlung oben?“. Dort, bei den gut Situierten und Mittelständlern habe die AfD 40 Prozent geholt. „Das sind nicht alles Rechtsradikale, die haben nur die Schnauze voll, es war ein Hilferuf an die Politik.“ Immer, wenn es in den letzten Jahren darum gegangen sei, die Infrastruktur im Bundesland zu bündeln, habe die Stadt verloren. So wie beim Schließen der Geburtenstation, ein Beschluss der zuständigen Ministerin kurz vor Weihnachten. Obwohl mehr Kinder geboren würden. Oder beim Schließen des Amtsgerichts. „600 Jahre Tradition ausgelöscht, 85 Arbeitsplätze weg!“. Er selber könne gar nichts entscheiden. „Das ist furchtbar für mich!“, sagt der Bürgermeister.

Und nun schon wieder: Vom Ausfuhrstopp habe er durch die Medien erfahren, kein Anruf aus Berlin. Dabei habe noch im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung gestanden, dass alle genehmigten Rüstungsaufträge abgearbeitet würden. Für 2018 waren Aufträge für 416 Millionen Euro nach Saudi-Arabien genehmigt.

„Wir akzeptieren die Entscheidung Berlins. Punkt. Aber Vertrauen und konsequente Politik sieht anders aus“, sagt Weigelt. Die 18 Boote würden die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien wohl auch nicht verändern. Und dass sie für die Seeblockade vor Jemen eingesetzt würden, sei „schiffbautechnischer Unsinn“. Die Schiffe seien aus Aluminium. Sie sollen schnell sein, um Piraten-Schiffe zu verfolgen. Keine Kampfschiffe, „hauen Sie da mit einem Vorschlaghammer drauf, ist ein Loch drin!“, sagt der Bürgermeister. 

Die Bundesregierung soll die Boote kaufen

Trotz aller Rückschläge ist Wolgast – wie hier an vielen Stellen – eine schöne Stadt

Mitte November hat der Bürgermeister mit einem Brandbrief an die Abgeordneten das Schicksal seiner Stadt zum überregionalen Politikum gemacht. Im Landtag gab es nun extra eine Debatte darüber. Für die AfD – aber nicht nur für die Rechtspopulisten – ist das alles eine Steilvorlage.

Es wundere ihn, wie wenig die „Altparteien“ im Thema seien, sagt Nikolaus Kramer, AfD-Fraktionsvorsitzende im Landtag, nach der Debatte. Da würde von Umschulungsmaßnahmen gesprochen, die am Thema vorbeigingen. „Hier wird letztendlich Politik für das eigene Parteiprogramm gemacht und nicht für den Bürger“, kritisiert Kramer.

Nicht nur die AfD, auch bei der Linkspartei gibt es viel öffentliche Kritik. Barbara Syrbe war 17 Jahre Landrätin hier, sie ist jetzt im Ruhestand. „Die reiche Bundesrepublik kann doch die Region nicht hängen lassen“, sagt sie mit bebender Stimme. „Da kann doch die Region nichts dafür, dass die Saudis Krieg machen und die Politik darauf reagieren muss.“

Von Rüstungsexporten an Saudi-Arabien halte die AfD im Übrigen auch nicht viel, sagt Kramer. „Umso mehr vom Einhalten von Verträgen“, fügt er hinzu. Die Bundesregierung sei in der Pflicht und sollte die Schiffe nun abkaufen. Sonst würde Wolgast die nächste „abgehängte“ Stadt in der Region.

Geht so Politikverdrossenheit?

Lars Bergemann, von der Linken, ist seit 1999 aktiv in der Kommunalpolitik. Natürlich gebe es gerade einen Spagat in seiner Partei, sagt er. Grundsätzlich sei man gegen Rüstungsexporte. Aber Politik müsse auch pragmatisch sein. „Die Leute müssen ihr Brot, ihre Hauskredite bezahlen können!“ Von Ideologien allein werde niemand satt. Überall in der Welt helfe Deutschland. „Und hier?“, fragt Ex-Landrätin Syrbe. „Wo sind die Ministerpräsidentin – oder die Kanzlerin?“.

 

Auch in manchem kleinen Hotel könnten bald die Lichter ausgehen, wenn keine Leiharbeiter mehr zum Übernachten kommen

Der Bürgermeister hat inzwischen dafür gesorgt, dass es Krisentreffen dazu geben wird. Eins in ein paar Tagen vor Ort, ein weiteres ist in Berlin geplant. Dann wollen Abgeordnete und Ministerien über die Lage beraten. 

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