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Deutschland - 17.02.2019

Klimawandel und Kollaps der Weltordnung

Zum ersten Mal waren der Klimawandel und daraus resultierende globale Probleme ein Thema im Hauptprogramm der Münchner Sicherheitskonferenz. Der Zusammenbruch des Ökosystems verursacht schon jetzt Fluchtbewegungen.

Schüler-Proteste gegen den Klimawandel in Berlin Ende Januar

Mögen Schulkinder auf die Straße gehen, um gegen die Untätigkeit der Regierung in ganz Europa zu protestieren und mögen Wissenschaftler extreme Wetterbedingungen und katastrophale Lebensmittelknappheit auf der ganzen Welt vorhersagen – für die Delegierten der Münchner Sicherheitskonferenz scheint der Klimawandel kein sehr dringliches Problem zu sein. Der große Konferenzsaal war rappelvoll, als Angela Merkels ein Plädoyer für Multilateralismus hielt und als US-Vizepräsident Mike Pence Donald Trump zum „Kämpfer für die Freiheit“ erklärte. Doch er war halb leer, als unter anderem Vertreter Kenias, Norwegens und aus Bangladesch über die offensichtlichen Zusammenhänge zwischen Klimawandel und globalen Sicherheitsproblemen diskutierten. Die einzige Großmacht in der Runde waren die Vereinigten Staaten, vertreten durch einen Senator.

Klimawandel als Sicherheitsproblem

Immerhin: Es war das erste Mal, wie die Panelgäste feststellten, dass der Klimawandel es überhaupt ins Hauptprogramm der Münchner Sicherheitskonferenz geschafft hat. Gleichzeitig waren es die Sicherheitsexperten, die den Klimawandel zuerst als „Bedrohungsmultiplikator“ identifizierten. Anders gesagt: Der Klimawandel erhöht die Wahrscheinlichkeit von Massenmigration, Terrorismus, grassierenden Infektionskrankheiten und damit von globaler Instabilität.

Über den Klimawandel diskutieren Bangladeschs Premierministerin Sheikh Hasina, Norwegens Außenministerin Ine Eriksen Soreide, ihre Kollegin Monica Juma aus Kenia, Sheldon Whitehouse vom US-Senatsausschuss für Umwelt und Infrastruktur und Bunny McDiarmid von Greenpeace (v.l.n.r.)

Es war der ehemalige US-Außenminister John Kerry, der im Publikum aufstand und auf den Ernst der Lage hinwies. „Wir begehen gerade einen einvernehmlichen Selbstmord an unserem Planeten“, sagte Kerry mit wütendem Unterton. „Wir wissen, wie man Dinge tut, aber wir tun sie nicht! Wir sind auf dem Weg zu einem Temperaturanstieg von vier Grad in diesem Jahrhundert. Reden wir auch darüber?“

„Tatsache ist, dass wir schon seit einigen Jahren über den Klimawandel als Sicherheitsproblem sprechen“, so Kerry im Anschluss zur DW. „Wir hatten Treffen mit Vertretern des Militärs im ganzen Land und haben über den Multiplikator-Effekt der Bedrohung diskutiert“, erklärte er. „Hohe Generäle in unserem Land haben über den Klimawandel als grundlegendes Sicherheitsproblem geredet und wir hatten ein Büro im Pentagon, das sich auf den Umgang mit dem Klimawandel konzentrierte – bis Trump das Büro geschlossen hat.“

Ex-US-Außenminister John Kerry meldet sich bei der Klimadiskussion mit DW-Moderatorin Melinda Crane zu Wort

Auf dem Podium erklärte die kenianische Außenministerin Monica Juma, wie ethnische Landstreitigkeiten aufflammten, als der Turkana-See im Norden ihres Landes austrocknete. Schlimmer noch: Die Dürre im Turkana-Becken bedrohe auch die Lebensgrundlage einer halben Million Menschen. „Es ist also keine Überraschung, wenn immer mehr Analysen zeigen, dass einer der größten Konflikte, den wir erleben werden, vermutlich der Krieg um Wasser sein wird“, so Juma.

Bangladeschs Premierministerin Sheikh Hasina, deren Land bereits von katastrophalen Überschwemmungen heimgesucht wurde, beschreibt, wie ihre Regierung mangels internationaler Unterstützung gezwungen war, ganz alleine Maßnahmen zu ergreifen. John Kerry bezeichnete das, was mit Bangladesch geschah, denn auch als „unmoralisch“.

Das Versagen des Kapitalismus

Sheldon Whithouse sieht die Regierungen in der Pflicht

Die sozialen Auswirkungen des Klimawandels sind bereits deutlich spürbar. „Wir stehen gerade auf der Schwelle zu massiven Verwerfungen bei den natürlichen Systemen der Erde“, erklärte Sheldon Whitehouse, demokratischer US-Senator und Mitglied im Ausschuss für Umwelt und Infrastruktur, der sich für eine Klimasteuer einsetzt. 

„Das führt zu Vertreibungen der menschlichen Spezies. Das verursacht Leiden, und wenn Menschen leiden, wollen sie Erklärungen, sie wollen Verantwortlichkeit und Gerechtigkeit.“ Und das fiele dann auf die Politik zurück. „Und wenn die Menschen auf diese Zeit zurückblicken, werden sie sagen: Kapitalismus und frei gewählte Demokratien haben gemeinschaftlich versäumt, Schaden von mir und meiner Familie fernzuhalten.“

Viele Menschen beschäftigt das bereits. Eine aktuelle Studie des Pew Research Center zeigt, dass der Klimawandel in fast allen der 26 untersuchten Länder die größte Angst der Menschen ist: in Brasilien, Mexiko, Kanada, Argentinien, Südkorea und den meisten großen Ländern Europas.

Vom Klimawandel zum Krieg

Aber die Bedrohung wird allgemein als Umweltproblem wahrgenommen – als etwas, wogegen Umweltschützer protestieren sollten. Nur wenige Menschen stellen den Zusammenhang zwischen Klimawandel und Krieg her. Ein Artikel des „Bulletin of Atomic Scientists“ aus dem Jahr 2016 argumentierte, dass der Klimawandel den Streit um Kaschmir verschärfen könnte, da Pakistan und Indien über den Zugang zum Gletscherschmelzwasser aus der Himalaya-Region streiten.

Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender der Grünen, warnt vor den Folgen des Klimawandels

Auch wenn diese Konflikte weit entfernt von Städten wie München zu sein scheinen, ist ihre Wirkung auf die wohlhabenden Teile der Welt bereits spürbar. Einige Studien haben sogar gezeigt, dass Dürren in Nordafrika zur Flucht vieler Menschen beigetragen haben, die 2015 in der bayerischen Landeshauptstadt und Deutschland angekommen sind.

„Die Klimakrise wird künftig die dominierende Ursache für Migrationsbewegungen sein“, betonte der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Anton Hofreiter, im Gespräch mit der DW. „Wenn schwächere Länder mehrere Dürrekatastrophen oder Überschwemmungen erleben, ist dies möglicherweise nicht die einzige Ursache für den Zusammenbruch eines Landes. Aber diese Länder geraten eher in Bürgerkrieg und Chaos.“

Diskussionsteilnehmer Bunny McDiarmid, Co-Exekutivdirektor von Greenpeace, erinnerte das Publikum daran, was außerhalb der Konferenzräume in ganz Europa vor sich geht. „Wir haben Schulkinder, die auf der Straße marschieren, weil sie nicht glauben, dass Politiker schnell genug handeln“, so McDiarmid. „Sie sind die wahren Erwachsenen.“

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