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Deutschland - 16.11.2018

„Dieser Prozess tut gut“

Die erste Kandidaten-Debatte der CDU für die Merkel-Nachfolge gerät zu einem Fest der Vielfalt und des Miteinanders in der Partei. Vor allem Kramp-Karrenbauer und Merz kommen an. Christoph Strack berichtet aus Lübeck.

Ex-Unionsfraktionschef Friedrich Merz, Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer und Gesundheitsminister Jens Spahn

„Dieser Prozess tut der Partei gut. Da ist Aufbruch und Freude an der Debatte“, sagt Jens Spahn beim Rausgehen aus der Halle. Mehr als drei Stunden haben die drei Kandidaten für die Merkel-Nachfolge an der CDU-Spitze in Lübeck rund 900 Parteimitgliedern aus Norddeutschland Rede und Antwort gestanden und ihren Blick auf die Partei vorgetragen. Gesundheitsminister Spahn, die bisherige Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, Seiten-Wiedereinsteiger Friedrich Merz. Mit Offenheit, Ernsthaftigkeit und gelegentlichem Streit, wie es das in der Merkel-Partei lange nicht mehr gab. „Ein Super-Auftakt“, bilanziert Daniel Günther, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein und heute Abend Gastgeber.

Der Auftakt überrascht durchaus. Das Los bestimmt „AKK“, wie die Generalin Annegret Kramp-Karrenbauer meist genannt wird, zur ersten Rednerin. Sie legt einen Schwerpunkt ihrer zehnminütigen Rede auf die Frage der Flüchtlingspolitik. Und wirbt dafür, im Frühjahr die Ereignisse vom Herbst 2015 – die Aufnahme von vielen hunderttausend Menschen in Deutschland – aufzuarbeiten und dafür zu sorgen, „dass sich das nie mehr wiederholt“.

Distanz zu Merkel

Es bleibt nicht das einzige Thema, bei dem Distanz zur scheidenden Parteivorsitzenden deutlich wird. Keiner der beiden anderen Kandidaten geht zum Anfang noch auf das Thema ein. Merz legt Schwerpunkte auf Außen- und Europapolitik und einen starken Rechtsstaat, auch Spahn betont Rechtsstaat und Sicherheit und wirbt offensiv für den Generationswechsel.

Die CDU macht aus der Verunsicherung über eine größere Kandidatenzahl die Tugend eines Schaulaufens. Binnen 16 Tagen treffen die drei noch sieben mal aufeinander. Von Lübeck im Norden bis Böblingen im Süden, von Düsseldorf und Idar-Oberstein im Westen bis Eisenach und Halle im Osten.

„Regionalkonferenzen“ heißt das. Dieses Format diente in den CDU-Planern bislang der gelegentlichen Selbstvergewisserung zwischen Chefin Merkel und der Basis, wenn Entfremdung zu groß zu werden drohte. 2011 etwa bei sechs Treffen nach dem Ausstieg aus der Atomkraft und dem Abschied von der Wehrpflicht. 2016 bei vier Terminen angesichts des Über-Themas Flüchtlinge.

Auf das Regionalreffen der CDU in Lübeck folgen noch sieben weitere Städte

Längster Beifall für AKK

Aber diesmal geht es um mehr. Es geht um eine Richtungsentscheidung der Partei. Favoriten für die Merkel-Nachfolge sind AKK (56), die in Umfragen vorne liegt, und Merz (63). Bei der Vorstellung in Lübeck bekommen sie deutlich mehr Applaus als Spahn (38). Bei Merz gibt es fast den meisten Beifall, auch einige Bravo-Rufe. Das ist nach den je zehnminütigen Auftaktreden schon anders. AKK bekommt gut 40 Sekunden, Merz 30, Spahn dann halb so viel.

Aber die Aussprache zu 20 Fragen zeigt, dass längst nichts entschieden ist. AKK kokettiert mit ihrer Bindung zur Basis und ihrer sommerlichen Zuhör-Tour durch die ganze Republik. Bei Merz brandet tosender Jubel auf, als er anhebt mit: „Es macht richtig Spaß wieder dabei zu sein.“ Aber Murren, als er nachschiebt, er wisse nun, „was mir in den letzten Jahren ein bisschen gefehlt hat“. Spahn scheitert zwei Mal am Begriff „Konservativismus“ und sucht andere Worte. Aber am Ende seiner Vorstellung berichtet er vom Besuch bei den Eltern am Wochenende, der Frage von „Mama“, warum er all das auf sich nehme. Dann spricht er von allen Umbrüchen und gesellschaftlichem Wandel und erwähnt kurz am Rande auch seine Homosexualität.

Die Basis „wieder stolz“

Im Saal mal Stille, mal Begeisterung, ja auch Euphorie. „Heute Abend sei er wieder stolz, in der CDU zu sein“, sagt einer. „Das kommt zehn Jahre zu spät“, kommentiert ein anderer. Strittige Themen wie Dieselverbote und Abschaffung der Wehrpflicht und Flüchtlingspolitik – und mehrmals verständigen sich die drei vorne, wer welche Teilfrage beantwortet.

Dabei schenken sie sich nichts. Als Merz wieder von einer Steuerreform spricht, nimmt Kramp-Karrenbauer das auf und zeigt sich dankbar, wenn der Wirtschafts-Fachmann sich damit in die Partei einbringe. Als AKK bei den Umbrüchen der Digitalisierung Vorbehalte zum autonomen Fahren äußert, erwidert Spahn: „Die Kutscher haben früher auch gedacht: Ist so schön auf dem Bock.“ Und als sich Merz zum Streit von 2015 äußert und CSU-Chef Horst Seehofer wegen seiner barschen Merkel-Schelte kritisiert, kommentiert der Jüngere: „Wäre schön, wenn er das schon 2015 gesagt hätte.“ Spahn wird souveräner im Laufe des Abends. Trotzdem – ganz offen kritisieren wollen sie einander nicht. „Wir haben verabredet, dass wir nur gut übereinander sprechen“, sagt Merz auf die Publikumsfrage nach Unterschieden zwischen den Dreien.

Nach 21 Uhr. Ein halbes Dutzend schwarze Limousinen rauscht davon in den kalten Abend. Der halbe Mond steht über der stolzen Stadt. Am Dienstag geht die Tour an der Mosel weiter. In 16 Tagen steigt in Berlin die letzte Debatte. Und acht Tage später wählt der CDU-Bundesparteitag in Hamburg den oder die neue Vorsitzende.

Es werden spannende Wochen. Entschieden ist längst noch nichts. „Ein Kampf auf Augenhöhe, aber fair miteinander“, erwartet Daniel Günther. Die CDU – so wirkt es – erfindet sich neu. Wieder mal.

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