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Deutschland - 23.01.2019

Deutsche und ihr Recht aufs Rasen

Der Klimaschutz macht’s möglich: Deutschland diskutiert mal wieder über ein Tempolimit auf Autobahnen. Befürworter und Gegner stehen sich unversöhnlich gegenüber – denn für viele geht es um mehr als nur um ein Gesetz.

„Das ist in Deutschland so, als wenn Sie für Männer eine Art amtlich verfügte Potenzminderung durchsetzen würden“. Als Grünen-Politiker Cem Özdemir am Dienstag im ARD-Morgenmagazin diesen Satz sagte, dürfte manchem Zuschauer die Kaffeetasse ins Müsli gefallen sein. Thema des Gesprächs war das Tempolimit, und Özdemir machte klar: „Diese Debatte wird in Deutschland leider sehr irrational geführt“.

Eine irrationale Debatte im vermeintlich ach so rationalen Deutschland? Ja, denn Fakt ist: Das Auto gilt seit Jahrzehnten als des Deutschen liebstes Kind und auf rund 60 Prozent aller Autobahnabschnitte gilt kein Tempolimit. „Freie Fahrt für freie Bürger“, forderte 1974 der Automobilclub ADAC, und auch 45 Jahre später sehen viele nicht ein, wieso sie diesen Grundsatz aufgeben sollten.

Cem Özdemir: „Debatte über Tempolimit ist irrational“

Denn beim schnellen Fahren geht es vielen um mehr als einfach nur darum, schnell am Ziel zu sein. Es geht um ein Gefühl von Freiheit und die Überzeugung, sich ausgerechnet beim Lieblingsthema Auto nicht von der Politik gängeln lassen zu wollen. Eine starke Lobby aus Autofahrern und Autobauern hat es in Deutschland bisher immer verstanden, Diskussionen ums Tempolimit im Keim zu ersticken.

Bremsen für den Klimaschutz

Und doch steht jetzt nach den jüngsten Empfehlungen einer von der Bundesregierung beauftragten Expertenkommission genau das wieder zur Debatte. Ausgerechnet in Deutschland – dem Land, dessen Schlüsselindustrie die Automobilbranche ist und das die ganze Welt mit leistungsstarken Motoren beliefert.

Anlass sind die Klimaschutzziele, die sich die Bundesregierung selbst bis 2030 gesetzt hat. Mitglieder der Expertenkommission sind unter anderem Vertreter von IG Metall, ADAC, dem Industrieverband BDI, des Autobauerverbands VDA, der Deutschen Bahn, von Volkswagen sowie von den Umweltverbänden Nabu und BUND.

Expertenkommission Klimaschutz warnt: Zunehmender Verkehr sorgt für zunehmende Treibhausgasemissionen

Der Hintergrund: Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes war der Autoverkehr in Deutschland 2017 für die Emission von 115 Millionen Tonnen des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) verantwortlich. Im Vergleich zum Jahr 2010 war das ein Plus von sechs Prozent. Da in den vergangenen Jahren der CO2-Ausstoß im Autoverkehr also gestiegen ist und Motoren mit höherer Leistung mehr Kohlendioxid ausstoßen, sehen die Experten in einem generellen Tempolimit von 130 km/h eine mögliche Lösung.

Lobby gegen Tempolimit

Der Sturm der Entrüstung ließ nicht lange auf sich warten. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) bezeichnete den Vorschlag eines Tempolimits und den ebenfalls von der Kommission vorgelegten Vorschlag einer höheren Dieselsteuer als „gegen jeden Menschenverstand“ gerichtet. Einige Kommissionsmitglieder wollten ihre „immer wieder aufgewärmte Agenda“ durchdrücken, so der Bayer mit Blick auf die Umweltverbände, die in der Kommission sitzen.

Der ADAC zweifelt an, dass eine Tempobegrenzung tatsächlich etwas fürs Klima bringt. „Der Effekt für den Klimaschutz ist gering“, sagt Ulrich Klaus Becker, Vizepräsident des ADAC. Vielmehr verringere ein guter Verkehrsfluss die Gefahr von Staus und Unfällen und trage dazu bei, den Ausstoß von CO2 zu senken, so der ADAC-Vertreter. Auch vor Unfällen würde ein solches Tempolimit nicht schützen, so der ADAC-Mann mit Verweis auf die Unfallstatistiken in Nachbarländern mit generellem Tempolimit.

Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) zweifelt am Menschenverstand der Expertenkommission

Der Verband der Automobilindustrie (VDA) –  der mächtige Zusammenschluss der deutschen Automobilhersteller – ist wenig überraschend auch gegen ein Tempolimit. Stattdessen gibt er sich überzeigt, selbst am besten zu einer niedrigeren Umweltbelastung beitragen zu können: „Es gibt geeignetere Maßnahmen für den Klimaschutz als ein generelles Tempolimit auf Autobahnen“, so der VDA in einem Statement. Ein wichtiger Hebel sei die Digitalisierung des Straßenverkehrs. „Durch die Vernetzung von Fahrzeugen untereinander und mit der Infrastruktur kann der Verkehrsfluss verstetigt und Staus vermieden werden“.

Außerdem führen Tempolimit-Gegner an, dass die Autobahn nicht so gefährlich sei, wie ihr Ruf besagt. 2017 legten Kraftfahrzeuge nach Daten der Bundesanstalt für Straßenwesen etwa ein Drittel ihrer Strecke auf Autobahnen zurück. Aber nur jeder achte Verkehrstote (12,9 Prozent) entfiel auf eine Autobahn. Und von diesen starb wiederum rund die Hälfte, weil gegen Verkehrsregeln verstoßen wurde, nicht, weil der befahrene Abschnitt keine Geschwindigkeitsbeschränkung aufwies. 

Rasen, drängeln, rechts vorbei: Alltag auf deutschen Autobahnen

Langsam Fahren für die Sicherheit

Die Gewerkschaft der Polizei sieht dagegen ein Tempolimit als sinnvoll an – und zwar gerade, weil so weniger Unfälle passieren würden. Deren Vize-Chef Michael Mertens macht klar: „Wenn wir uns nicht damit abfinden wollen, dass jedes Jahr rund 3.200 Menschen im Straßenverkehr ums Leben kommen, müssen wir uns etwas einfallen lassen“. Denn: „Je schneller Fahrzeuge bei einem Zusammenstoß sind, desto größer sind auch die Kräfte, die auf die Insassen wirken“, so Mertens. Die GdP hat dabei allerdings nicht nur die Autobahnen, sondern vor allem auch die unfallträchtigen Landstraßen im Blick.

Die Diskussion ist verhärtet und auch im Verkehrsministerium will man offenbar erstmal Zeit gewinnen. Das ursprünglich für Mittwoch geplante Treffen der Arbeitsgruppe für mehr Klimaschutz im Verkehr wurde am Dienstag von Ressortchef Andreas Scheuer abgesagt – zunächst müsse man das weitere Vorgehen aller Arbeitsgruppen koordinieren. Ein neuer Termin? Noch unbekannt.

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